In Zusammenarbeit mit:
Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie (ATB)
Bio-Tankstoff für den Traktor
Text: QUERFELDEIN
Anfang 2024 füllten Traktorkolonnen deutsche Großstädte und Nachrichtensendungen. Tausende Landwirtinnen und Landwirte protestierten lautstark gegen Steuererhöhungen auf Agrardiesel, die die Regierung unter anderem aus Klimaschutzgründen angekündigt hatte. Ein Forschungsteam des Leibniz-Instituts für Agrartechnik und Bioökonomie (ATB) hat nun eine Technologie entwickelt, die für beide Seiten eine Lösung sein könnte: Sie ersetzt Diesel komplett durch einen günstigen Kraftstoff aus nachwachsenden Rohstoffen.
Herr Prof. Amon, warum ist Diesel für die Landwirtschaft so wichtig?
Thomas Amon: Dieselmotoren sind Stand der Technik mit allen Vor- und Nachteilen. Sie sind für viele Aufgaben sehr gut geeignet, vom Transport auf der Straße bis zur schweren Bodenbearbeitung auf dem Feld. Allerdings verschlechtern sich die Rahmenbedingungen für Diesel zunehmend. Schon heute ist ein hoher technischer Aufwand nötig, um die Abgasnormen einzuhalten, und Agrardiesel soll künftig stärker besteuert werden. Über allem steht die Tatsache, dass wir den Klimaschutz auch in der Landwirtschaft umsetzen müssen und das bedeutet, dass wir die fossilen Energieträger durch erneuerbare Energien ersetzen müssen. Genau hier setzen wir mit unserem Projekt an: Wir ersetzen Diesel durch so genanntes Bio-CNG, das wir aus Biogasanlagen gewinnen.
Was genau ist Bio-CNG?
Amon: CNG steht für “Compressed Natural Gas”. Unser Bio-CNG unterscheidet sich stofflich nicht von Erdgas und ist im Prinzip zu 98 Prozent reines Methan. Der große Unterschied ist, dass Bio-CNG aus einer erneuerbaren Quelle stammt. Außerdem verzichten wir aus Kostengründen auf eine Odorierung. Bio-Erdgas ist also geruchlos.
Welchen Unterschied macht es denn, ob das Gas riecht oder nicht?
Amon: Normalerweise ist das eine Schutzmaßnahme, um Explosionen zu vermeiden. Wenn Sie zu Hause eine undichte Gasflasche oder einen undichten Gasherd haben, dann sollen Sie das riechen können. Wir haben das Problem anders gelöst: Unser Tanksystem ist so konstruiert, dass gefährliche Gasansammlungen gar nicht erst entstehen können, weil ständig Luft durchströmt. Bei einem Leck wird das Gas sofort verdünnt, so dass keine Explosionsgefahr besteht.
Herr Dr. Ammon, woher kommt das Bio-CNG?
Christian Ammon: Unser Ausgangsprodukt ist Biogas aus einer Biogasanlage. Das wird aus Gülle, Futterresten und anderen organischen Abfällen gewonnen, die auf einem landwirtschaftlichen Betrieb anfallen. Biogas besteht zu etwa 60 Prozent aus Methan, der Rest ist hauptsächlich Kohlendioxid. Um den Motor eines Traktors anzutreiben, reicht dieses Gasgemisch noch nicht aus. Deshalb haben wir eine Aufbereitungsanlage entwickelt, die das Biogas entnimmt und mit Hilfe eines Kompressors und einer Membran so reinigt, dass es zu etwa 98 Prozent aus Methan besteht. Das ist unser Bio-CNG.
Was passiert mit dem Kohlendioxid, das Sie dem Bio-CNG in Ihrer Anlage entzogen haben, um die hohe Reinheit zu erreichen?
Ammon: Wir führen das restliche Gas einfach wieder in die Biogasanlage zurück, wodurch sich der Methangehalt dort um etwa 10 Prozentpunkte verringert. Biogas mit einem Methangehalt von 50 Prozent kann aber immer noch seine ursprünglichen Funktionen erfüllen, zum Beispiel Wärme und Strom erzeugen. Mit unserer Bio-CNG-Tankanlage können also Betriebe mit Biogasanlagen ihre Traktoren und andere Großmaschinen betanken, ohne dass sie nennenswerte Einbußen bei der Biogasnutzung hinnehmen müssen.
Ein Betrieb mit Biogasanlage muss also den Rohstoff für Bio-CNG gar nicht erst einkaufen. Aber wie teuer ist denn die Aufbereitung des Bio-CNG in der Tankanlage selbst?
Ammon: Auch hier haben wir große Erfolge erzielt. Mit nur einem Kompressor erledigen wir zwei Arbeitsschritte auf einmal: Wir reinigen das Gas wie beschrieben und verdichten es anschließend auf einen Druck von über 200 bar. Dieser Druck ermöglicht es, den Traktor allein durch die Druckdifferenz zwischen Tankanlage und Gastank zu betanken, ohne dass eine Pumpe benötigt wird. Die einzige Komponente der Anlage, die nennenswert Energie benötigt, ist somit der Kompressor. Durch die Beschränkung auf nur einen Kompressor konnten wir die Kosten erheblich senken.
Amon: Nicht unerwähnt bleiben dürfen die monetäre Verwertbarkeit der eingesparten CO₂-Emissionen und der Wegfall der Agrardieselsteuer. Beides verbessert die Wirtschaftlichkeit zusätzlich.
Wieso setzen Sie auf eine Alternative für Erdgas aus nachwachsenden Rohstoffen, anstatt zum Beispiel auf Elektroantrieb?
Amon: Für Arbeiten, die direkt auf dem Hof anfallen, kann elektrischer Strom die Maschinen direkt antreiben, also zum Beispiel Entmisten, Füttern oder Reinigen. In diese Richtung geht auch die Entwicklung. In unserem Projekt geht es um eine Alternative für mittlere und schwere Traktorarbeiten auf dem Feld. Hier ist laut Forschung eine Elektrifizierung bis 2050 nicht absehbar, da die Batterien nicht die notwendige Energiedichte liefern können. Ausnahme ist der Gartenbau, wo leichtere Arbeiten in kürzeren Intervallen anfallen und der Traktor nicht 12 oder 24 Stunden am Stück laufen muss.
Für welche Art von Betrieb sehen sie Ihre Tankanlage denn vor? Müssen zum Beispiel die Biogasanlagen eine Mindestgröße haben, damit die Tankanlage wirtschaftlich betrieben werden kann?
Amon: Unser Ausgangspunkt sind Betriebe, die einen geschlossenen Kreislauf haben, in denen also Tierhaltung und Ackerbau zusammen geht. Das sind Betriebe, die entweder schon eine Biogasanlage zur Kraft-Wärme-Kopplung haben oder aktuell eine bauen. Uns geht es nicht so sehr um die wenigen, sehr großen Betriebe, deren Biogasanlagen sogar am Gasnetz hängen. Uns geht es um die vielen Betriebe mit einem Tierbestand von vielleicht 100 Kühen und mehr. Für die haben wir eine technische und wirtschaftliche Lösung entwickelt, die natürlich nach oben offen ist. Wenn ein Betrieb 500 Kühe hat, kann er unsere Technik noch wirtschaftlicher einsetzen.
Ammon: Unser Prototyp kann vier bis fünf Kubikmeter Bio-CNG pro Stunde erzeugen. Für den Praxisbetrieb ist mindestens die doppelte Menge geplant. Je mehr Volumen die Anlage produziert, desto günstiger wird sie natürlich. Wird die Anlage optimal wirtschaftlich betrieben, produziert sie sogar mehr Gas, als auf einem Hof verbraucht wird. Dann können die Betriebe auch Kunden in der näheren Umgebung beliefern. Alles, was mit Erdgas fährt, kann einfach Bio-CNG tanken: Fahrzeuge von Speditionen, Busunternehmen und so weiter. Das wäre ein Ansatz, Bio-CNG auch in größerem Maßstab zu nutzen.
Wie viele Betriebe in Deutschland könnten das potenziell machen?
Amon: Mit über 9000 Anlagen ist Deutschland das Land mit den meisten Biogasanlagen in der EU. Fast alle wären geeignet, sie mit unserer Bio-CNG-Technologie zu ergänzen.
Können Sie kurz erläutern, worin genau der Vorteil für den Klimaschutz liegt? Wenn Bio-CNG stofflich identisch ist mit Erdgas, dann entstehen natürlich auch Treibhausgasemissionen.
Amon: Zunächst einmal: Wir ersetzen Diesel. Damit wird nicht mehr Kohlenstoff, der vor Jahrmillionen in tiefen Erdschichten abgelagert wurde, in unsere heutige Atmosphäre gepumpt. Zweitens muss man sehen, dass die organischen Abfälle, die in die Biogasanlage kommen, sowieso verrotten und Methan emittieren würden. Die Biogasanlage und jetzt zusätzlich unsere Bio-CNG-Tankanlage nutzen diese ohnehin anfallenden Emissionen und führen sie einer produktiven Nutzung zu.
Konkrete Zahlen werden derzeit noch in umfangreichen Ökobilanzen ermittelt. Dies geschieht im Rahmen des EU-Projekts RES4LIVE, zu dem unser Projekt gehört. Aber um trotzdem eine Annäherung zu wagen: Der Dieselverbrauch in der Landwirtschaft liegt bei ca. 2 Milliarden Liter Diesel pro Jahr, ca. 6% des gesamten Dieselverbrauchs in Deutschland. Das ist unser Einsparpotenzial mit Bio-CNG.
Wie ausgereift ist Bio-CNG? Wo gibt es noch Hürden bis zur Marktreife?
Amon: Derzeit ist die Technik für mittlere Arbeiten mit einem Bedarf von 50 bis 200 Kilowatt ausgereift. Mit der Entwicklung effizienterer Motoren wird Bio-CNG auch für die große Feldarbeit mit mehr als 200 Kilowatt nutzbar. Für unser Projekt haben wir Motoren recht aufwändig umgebaut. Das ist aber eher eine Zwischenlösung, kostet zusätzliches Geld und die Abgasnormen sind damit nur schwer einzuhalten. Speziell entwickelte Gasmotoren unterscheiden sich in ihrer Leistung schon heute kaum noch von Dieselmotoren. Das macht Bio-CNG zu einer echten Alternative, die Diesel ersetzen kann. Mit dem zusätzlichen Vorteil, dass weniger Schadstoffpartikel ausgestoßen werden.
Ammon: Ein limitierender Faktor ist derzeit noch die Treibstoffmenge, die wir mitnehmen können. CNG hat eine dreimal geringere Energiedichte als Diesel. Ein 80-Liter-Dieseltank müsste also durch einen 240-Liter-Gastank ersetzt werden. Das ist nicht einfach, aber eine Größenordnung, die noch machbar ist. Anders als zum Beispiel bei Wasserstoff, der eine noch viel geringere Energiedichte hat. Bio-CNG ist, wie gesagt, für mittelschwere Arbeiten ausgereift. Für größere Leistungsanforderungen arbeiten wir an Lösungen. Zum Beispiel gibt es Überlegungen, weitere Gastanks so auf den Feldern zu verteilen, dass Traktoren “zwischentanken” können.