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Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF)

Die »eierlegende Wollmilchsau« im Pflanzenbau  

Biomasse Biooökonomie Klimafolgen Landwirtschaft Nachhaltigkeit
Foto: Elke Thiele / ZALF

Text: HEIKE HOLDINGHAUSEN

Tank oder Teller? Forschende am ZALF haben darauf eine klare Antwort: Sowohl als auch! Sie arbeiten gemeinsam mit der Praxis daran, klimaresiliente und ressourcenschonende Landwirtschaftssysteme zu entwickeln, die eine Mehrfachnutzung ausgewählter Ackerfrüchte ermöglichen. So kann beispielsweise mit der gleichen Pflanze sowohl qualitativ hochwertiges Futter für Milchkühe erzeugt als auch Verpackungsmaterial produziert werden. Verknüpft mit einer Energie- und Düngerproduktion können die Ressourceneffizienz der Landwirtschaft – vor allem auf Grenzstandorten – beträchtlich gesteigert und Konkurrenzsituationen vermieden werden.

»In unserem Forschungsprojekt MEFAP suchen wir nicht weniger als die eierlegende Wollmilchsau«, sagt Projektkoordinator Klaus Gutser vom ZALF. Seit rund zwei Jahren erforscht der Agraringenieur gemeinsam mit Partnern Ackerfrüchte, die zusätzlich zur Ernährung von Mensch und Tier auch eine effiziente Energie- und Fasernutzung aus der Restpflanze ermöglichen – und das im Rahmen nachhaltiger Landwirtschaftskonzepte. MEFAP, das steht für die Mehrfachnutzung von Fasern und Proteinen klimaresilienter Nutzpflanzen. Auf einer halben Hektar großen Versuchsfläche im Brandenburgischen Müncheberg wachsen dazu auf 50 Parzellen beispielsweise Mais, Hirse, Luzerne, Lein und Sonnenblumen. Zwei Landwirtschaftsbetriebe erproben die Versuchspflanzen anschließend auf ihren Flächen in der Lausitz und im Spreewald unter realen Bedingungen. Einige Pflanzen erfüllten die Erwartungen der Forschenden nicht, Hanf zum Beispiel. »Auf guten Böden mit viel Niederschlag, etwa im Allgäu oder der Schweiz, ist das eine großartige Pflanze«, sagt Gutser, »aber bei uns in der Lausitz ist Hanf nur als Zweitfrucht etwa nach der Ganzpflanzensilage von Getreide sinnvoll.« Zwar herrsche in der Lausitz kein Wüstenklima, aber sandig und trocken sei es in niederschlagsarmen Jahren eben doch. Daher richte man das Augenmerk auf Pflanzen, die mit diesen besonderen Herausforderungen zurechtkommen – so wie auf den Wickroggen, der im Herbst angebaut wird.

»Der Roggen ist ja sowieso die spannendste Pflanze für Brandenburg«, sagt Gutser, »er liefert nicht nur Getreide, sondern ist auch eine gute Faserpflanze«. Verbunden mit der Wicke sei er nahezu »perfekt für sandige und regenarme Standorte«. Die Wicke – lange unterschätzt – sei doch eine halbe Erbse, wüchsig, proteinreich und damit ein gutes Tierfutter. Außerdem blühe sie im Juli und sei dann eine reichhaltige Nahrungsquelle für Insekten. Darum geht es Gutser: Den Landwirtschaftsbetrieben Pflanzen vorzuschlagen, mit denen sie eine hohe Flächeneffizienz erzielen und in regionalen Wertschöpfungsketten erfolgreich wirtschaften können – und zugleich etwas für den Klima- und Artenschutz zu tun.

Dr. Klaus Gutser (links) forscht am ZALF in der Arbeitsgruppe »Ressourceneffiziente Anbausysteme«. Hermann Dauser (rechts) unterstützt das LIL-Projekt zu verfahrenstechnischen Aspekten und mit Bewertungen aus Sicht des Praxisanwenders. Fotos: Elke Thiele / ZALF, Hermann Dauser

Getreidestroh liefert Fasern, Dünger und Zuckersuppe

An der Stelle kommt Projektpartner Hermann Dauser ins Spiel. Er ist Technischer Geschäftsführer der Firma Fibers365 mit Sitz im baden-württembergischen Lenningen. Auch er versucht, aus einer Pflanze möglichst viel Wertschöpfung zu erzielen. Aus den Halmen von Einjahrespflanzen wie Roggen oder Weizen lösen Dauser und seine Mitarbeitenden den Zellstoff heraus. Dabei bleibt etwa die Hälfte des Halms übrig. »Sind die cellulosereichen Fasern draußen, bleibt eine braune Zuckersuppe zurück, ideal für Biogasanlagen«, sagt Dauser. Gemeinsam mit anderen Reststoffen wird die Suppe zu Methan vergoren und anschließend ins Erdgasnetz eingespeist oder verstromt. Die Reste werden als Dünger auf den Acker ausgebracht. Den einen Teil des Strohs in die Zellstoffproduktion, den anderen in die Biogasanlage, die Reste aufs Feld – das sei ein hoch effizienter Kreislauf.

Die Nachfrage nach heimischen Fasern für die Produktion von Papier und Pappe sei auf jeden Fall da, ist er sich sicher. Bislang decke die Papierindustrie ihren beständig steigenden Bedarf mit Frischfasern aus importierten Hölzern. »Wir dagegen bieten Frischfasern an, ohne an Wälder gehen zu müssen«, sagt Dauser. Das Problem liege nicht auf der Nachfrage, sondern auf der Rohstoffseite. »Für industrielle Prozesse benötigen wir sehr homogenes Material in großen Mengen«, sagt Dauser, »die gemischte Blumenwiese als Zellstoff-Rohstoff ist der Alptraum«. Miscanthus und andere hoch wachsende Gräser seien hingegen gut geeignet. Vor allem aber setzt das Unternehmen auf Stroh. Dabei plant die Firma keine riesigen Standorte, sondern dezentrale Anlagen. Nicht der Rohstoff fährt zur Fabrik, sondern die Fabriken stehen dort, wo die Rohstoffe sind. In Bayern sei die Landwirtschaft für diesen Ansatz zu kleinteilig, pro Betrieb falle nicht genug Stroh an. Die Anlagen von Fibers365 lohnten in Gegenden mit Betrieben, die den Bedarf einer Produktionsanlage von mindestens 5.000 bis 10.000 Tonnen Stroh im Jahr abdecken können. »Dann gibt es zwei bis drei Lieferanten, die am besten noch am Projekt beteiligt sind«, sagt Dauser.

In seiner Überblicksstudie »BioRest« führt das Umweltbundesamt verschiedene Studien zur Verfügbarkeit von Stroh auf – je nach Landnutzungsszenario oder Tierzahlen. Genannt werden Potenziale zwischen 5 und 20 Millionen Tonnen Frischmasse an Weizen-, Gersten- und Roggenstroh im Jahr. Dies wären 20 bis 43 Prozent der in Deutschland geernteten Strohmenge. Das Deutsche Biomasseforschungszentrum in Leipzig geht von jährlich 5 bis 13 Millionen Tonnen verfügbarem Stroh für neue Anwendungen jenseits von Tierstreu und Humusbildung auf dem Acker aus. Die Erwartungen von Dauser liegen innerhalb dieses Rahmens: Er rechnet mit 10 Millionen Tonnen an verfügbarem Stroh pro Jahr. »Wenn davon ein bis zwei Millionen Tonnen nutzbar gemacht werden könnten, wäre das schon mal Wahnsinn«. Doch der Widerstand innerhalb der Landwirtschaft ist so groß wie die Tradition lang, Getreidestroh nach der Ernte zur Humusbildung unterzupflügen. »Das haben wir schon immer so gemacht«, das höre er bei seiner Suche nach Rohstofflieferanten häufig, sagt Dauser.

Moderne Landwirtschaftskonzepte als Alternative zur Braunkohleförderung

Hier sieht er eine große Chance für die ostdeutsche Landwirtschaft mit ihren riesigen Betrieben. Sie versuchten, sich auf klimatische Änderungen einzustellen, traditionelle Anbaumethoden und -kulturen zu verändern. »Im Osten habe ich eine viel größere Bereitschaft wahrgenommen, Neues auszuprobieren und nicht den alten Schmarren fortzusetzen«, sagt Dauser. Das Ziel des vom Bundesforschungsministerium finanzierten Bündnisses »Land-Innovation-Lausitz«(LIL), die Lausitz zu einer Modellregion für die Anpassung der Landnutzung an den Klimawandel zu machen, ergebe für ihn Sinn. »Es stellt sich doch die Frage, was kommt nach der Braunkohleförderung«, so Dauser, »dafür machen wir ein Angebot«.

Der Roggen ist eine spannende Pflanze für Brandenburg: Er liefert nicht nur Getreide, sondern ist auch eine gute Faserpflanze. Foto: Elke Thiele / ZALF

Mit diesem Konzept kehre die moderne Landwirtschaft zu ihren Wurzeln zurück, sagt Agraringenieur Gutser, »es ist doch kein Zufall, dass unsere Versuchsfelder bei Müncheberg nur 20 Kilometer Luftlinie zu Möglin liegen.« In Möglin am Rande des Oderbruchs erprobte der Agronom Albrecht Daniel Thaer Anfang des 19. Jahrhunderts die Vier-Felder-Wirtschaft, in der die Fruchtfolge der angebauten Pflanzen die Bodenfruchtbarkeit erhält. Eine wichtige Rolle spielen dabei Leguminosen, die im Jahr bis zu 500 Kilogramm Stickstoff pro Hektar binden können. Eine ausgeklügelte Anbaustrategie von Luzerne und Wickroggen in der Fruchtfolge mit anderen Ackerfrüchten ermöglicht eine ausreichende Humusbildung, so dass das Stroh von der Fläche abgefahren werden kann. Wenn Gutser über Leguminosen wie beispielsweise die lila blühende Luzerne spricht, gerät er nahezu ins Schwärmen: Die Luzerne sei eine der wichtigsten Kulturpflanzen. Ihr Eiweißreichtum ersetze Raps- und Sojafutter im Kuhstall, als Stickstoffsammler macht sie die Düngemittelindustrie überflüssig. Für den Ingenieur Dauser ist die Luzerne zwar »nicht die optimale Pflanze, um daraus Fasern für hochwertige Papiere und Pappe herzustellen. Aber einfache Verpackungen wie etwa Eierschachteln funktionieren.« Im landwirtschaftlichen Gesamtkontext sei die Luzerne deshalb eine gute Lösung. Soll heißen: mit der Luzerne und anderen Faserpflanzen könnte man einen Kreislauf anstoßen, der die Potenziale der Idee »Mehrfachnutzung von Pflanzen« zeige. Nach MEFAP soll es weitergehen, Folgeprojekte sind bereits in Planung – um die eierlegende Wollmilchsau zu erfinden, braucht es eben noch etwas Zeit.

Institution: Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF)
Ansprechpartner/in: Dr. Klaus Gutser

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