In Zusammenarbeit mit:

Landeskompetenzzentrum Forst Eberswalde (LFE)

Insektenwelt im Wald – Interview mit Dr. Katrin Möller  

Artenvielfalt Forstwirtschaft Insekten Schädlinge Waldumbau
Für unsere Wälder enorm wertvoll: Die Holzwespen-Schlupfwespe ist Insekt des Jahres 2025. Foto: Frank Vassen

Interview: querFELDein

Wenn wir von Wäldern sprechen, denken wir meist an Bäume – doch zwischen Borke und Wurzel haben Insekten einen entscheidenden Einfluss auf das Waldgeschehen, sei es als Schädlinge oder natürliche Waldschutzhelfer. Dr. Katrin Möller vom Landeskompetenzzentrum Forst Eberswalde (LFE) erklärt, warum der Blick allein auf die Bäume zu kurz greift und wie wir unsere Wälder fit für die Zukunft machen.

Frau Dr. Möller, was verstehen Sie als Biologin unter „Wald“?

Möller: Ein Wald ist ein Ökosystem, in dem Bäume ein markantes, geschlossenes Kronendach bilden. Dieses Kronendach schafft ein feuchtes und kühles Waldklima, das für viele spezialisierte Waldarten sehr wichtig ist. Bäume sind also prägend, aber bei weitem nicht die zahlreichsten Lebewesen, die im Wald zu finden sind.

Sie beschäftigen sich mit den Wäldern in Brandenburg. Was macht die so besonders, auch aus Sicht des Waldschutzes?

Möller: Besonders ist die Zusammensetzung der Baumarten. Auf fast 70 Prozent der Waldfläche Brandenburgs stehen überwiegend Kiefern, oft sogar in Monokultur. Das bringt Probleme mit sich. Da hört man oft: Das haben die Förster selbst verbockt! Aber wir müssen das vor dem Hintergrund der historischen Landnutzung sehen. Zu Beginn der Industrialisierung wurden viele Wälder übernutzt. Der Bedarf an Bauholz und Holzkohle sowie die Glasproduktion verschlangen massenhaft Holz. Nach den Weltkriegen wurde viel Holz geschlagen, um Reparationen an die Siegermächte zu leisten und in der DDR bestimmte das Ziel der Eigenversorgung mit Holz die Forstwirtschaft. Für eine schnelle Wiederbewaldung wurde verfügbares und erfolgversprechendes Pflanz- und Saatgut benötigt, wobei das Klima und die oft armen Böden in Brandenburg die Baumartenwahl einschränkten. Die Kiefer bot Vorteile, da sie auf sandigen Böden gedeiht, schnell wächst und das Saatgut verfügbar war. Der Vorwurf an die Förster ist also nicht ganz fair. Trotzdem bestimmen die vielen Kiefern meine Arbeit sehr intensiv.

Die Biologin Dr. Katrin Möller ist Fachbereichsleiterin für Waldschutz & Wildökologie am Landeskompetenzzentrum Forst Eberswalde. Foto: A. Neumann

Wieso machen Ihnen die Kiefernwälder Sorgen?

Möller: Diese Baumart ist ein gefundenes Fressen für bestimmte nadelfressende Insekten, von denen wir Massenvermehrungen kennen. Warme Temperaturen, sandige Böden und viele Kiefern sind ideale Bedingungen für den Kiefernspinner, die Nonne und die Forleule. Die Raupen dieser Nachtfalterarten fressen am liebsten die Nadeln von 40 bis 100 Jahre alten Kiefern. Das alles kommt in Brandenburg – leider – sehr gut zusammen. Auch potenziell schädliche Käfer und Pilze fühlen sich hier wohl.

Das Problem ist, dass in reinen Kiefernforsten die natürlichen Gegenspieler dieser Forstschädlinge fehlen, die das ökologische Gleichgewicht halten könnten, z. B. Vögel, Fledermäuse oder bestimmte Laufkäfer. Bei Massenvermehrungen haben diese Räuber jedoch keine Chance – im Ernstfall sind Tausende von Larven allein in einer Kiefernkrone für sie nicht zu bewältigen. Aber Schlupfwespen, Brackwespen, Erzwespen oder Zwergwespen kriegen das hin. Diese legen als sogenannte Parasitoide ihre Eier in die Eier und Larven der Schädlinge. Sie können sich exponentiell vermehren und so die Massenvermehrung der Schädlinge stoppen. Beim Kiefernspinner zum Beispiel übernimmt eine winzige Verwandte der Zwergwespen diese Aufgabe. Sie ist mit bloßem Auge kaum zu erkennen, aber äußerst effektiv. In einem Ei des Kiefernspinners entwickeln sich innerhalb von zwei Wochen bis zu 20 dieser Zwergwespen. Diese schwärmen dann aus und belegen neue Wirtseier.

Wenn aber die Schädlinge und damit das „Futter“ für Zwergwespen & Co. so zahlreich vorhanden sind, warum bleiben diese Parasitoide hier dann fern?

Möller: Viele Parasitoide benötigen als erwachsene Tiere Blüten zur Nektaraufnahme. Sie sind daher auf blühende Waldränder, Wiesen und Sträucher angewiesen. Zur Sicherung ihrer Fortpflanzung benötigen sie außerdem Nebenwirte: Insekten, die zu Jahreszeiten aktiv sind, in denen sich Kiefernspinner, Nonne etc. rar machen. Je größer die Vielfalt an unterschiedlichen Waldstrukturen, Bäumen, Sträuchern und krautigen Pflanzen, desto mehr Möglichkeiten haben Nebenwirte, Parasitoide und andere Räuber zu überleben. Dies fördert die natürlichen Regulationsmechanismen im Wald.

So gut sind die winzigen Parasitoide selten zu sehen: Schlupfwespe (links), Zwergwespe (mitte) und Brackwespe (rechts). Fotos: Matej Schwarz, gbohne (CC BY 2.0), Vengolis (CC BY 4.0)

Angenommen, die Bedingungen für die Parasitoide wären ideal. Könnte sich das Problem theoretisch auch umkehren? Also zu viele Parasitoide?

Möller: Nein, wenn es weniger Schädlinge gibt, gibt es zum Beispiel auch weniger Schlupfwespen. Außerdem kommen Hyperparasitoide ins Spiel, also Insekten, die Parasitoide parasitieren. Für einen Insektenkundler wird es dann immer spannender. Je vielfältiger ein Ökosystem ist, desto stabiler und widerstandsfähiger ist es.

Warum beschäftigt Sie als Waldexpertin das Thema Insekten so sehr?

Möller: Insekten sind faszinierend. Sie waren der Grund, warum ich Biologie studiert habe. Dass Insekten jetzt meine Arbeit bestimmen, empfinde ich schon als Privileg. Mir fällt aber auch auf, dass bei Problemen im Wald meist nur die Bäume im Fokus stehen. Wenn sie z. B. unter Trockenstress leiden, hat das auch Auswirkungen auf viele Insekten: Wenn der Wassergehalt in Nadeln oder Blättern sinkt, sind diese für Raupen häufig schlechter genießbar. Außerdem produzieren geschädigte Bäume in der Regel weniger Abwehrstoffe, die unter anderem die Nadeln für Raupen weniger schmackhaft oder schlecht verdaulich zu machen. Der Harzfluss reicht nicht mehr aus, um zum Beispiel die Brutgänge der Borkenkäfer zu verschließen und deren Larven abzutöten. Wenn das „Immunsystem“ des Baumes nicht funktioniert, hilft das potenziellen Schadinsekten.

Das betrifft aber auch die aus unserer Sicht nützlichen Insekten wie die erwähnten Parasitoide. Einige von ihnen orientieren sich an den Signalen der Bäume. Diese geben bei Befall bestimmte Duftstoffe ab, um Nützlinge anzulocken – eine Art chemischer Hilferuf. Um diese Stoffe produzieren zu können, muss der Baum allerdings über genügend Reservestoffe verfügen. Zunehmende Wetterextreme wie Trockenheit oder Hitze haben gleichzeitig direkte Auswirkungen, u. a. auf viele Schlupfwespen oder Raupenfliegen. Blütenpflanzen verwelken schneller oder kommen gar nicht erst zur Blüte, wodurch wichtige Nahrungsquellen versiegen. Auch unter den Insekten gibt es also Gewinner und Verlierer des Klimawandels.

Der Kiefernspinner ist einer der bedeutendsten Kieferngroßschädlinge des nordostdeutschen Tieflandes. Schon einmaliger Kahlfraß der Kiefern durch die Raupen dieses Nachtfalters kann bestandesgefährdende Schäden verursachen. Fotos: Katrin Möller (LFE), animalia.bio (CC BY 4.0)

Wie schnell reagiert ein Baum auf einen Befall? Dauert es Tage, Wochen oder Monate, bis die Abwehrmechanismen greifen?

Möller: Die Reaktion erfolgt schnell. Sobald Nadeln angefressen oder die Rinde verletzt wird – sei es durch Insekten oder andere Tiere – setzen im Baum chemische Prozesse ein. Dabei werden u. a. Abwehrstoffe oder Duftsignale produziert. Das können auch Insekten. Wären unsere Nasen empfindlicher, würden wir im Wald eine irre Duftwolke wahrnehmen. Insekten „riechen“ übrigens einzelne Moleküle.

Sind es nur diese Monokulturen, ob Kiefer, Fichte oder andere Baumarten, die es den Schädlingen so leichtmachen?

Möller: Nein, Trockenheit, Sturm, Hagel und Waldbrände verschlimmern die Situation. Nehmen wir zum Beispiel die Bäume, die in der Nähe von Waldbränden stehen. Sie sind zwar nicht verbrannt, aber durch die Hitze geschädigt. Die Zunahme extremer Wetterereignisse begünstigt komplexe Schadereignisse und Abfolgen von Störungen. Ein Problem folgt dem anderen. Die Bäume haben immer weniger Zeit, sich zu erholen.

Wie kann der Mensch hier aktiv werden – auch angesichts des Klimawandels?

Möller: Mit kleinräumigen Maßnahmen kann viel erreicht werden. Waldumbau bedeutet nicht nur, großflächig Mischwälder zu etablieren. Waldinnen- und -außenränder, Waldwiesen und die gezielte, auch truppweise, Einbringung anderer Baumarten schaffen mehr Vielfalt. Auch wenn viele private Waldbesitzerinnen und -besitzer in ihren kleinen Waldflächen jeweils „nur“ einzelne Maßnahmen umsetzen, kann dies in der Summe viel bewirken. Vernetzt angelegte und gepflegte Waldränder mit verschiedenen Sträuchern und Krautsäumen sind ökologisch wirksamer als ein Mischwald mit nur zwei Baumarten.

Ein weiterer Aspekt ist der Verlust von Waldrändern durch Siedlungs- und Straßenbau. Dabei geht es mir nicht nur um den Waldverlust an sich, sondern auch darum, dass z. B. beim Ausbau von Autobahnen kilometerweise ökologisch gewachsene Waldränder und damit Lebensgemeinschaften verschwinden. Stattdessen grenzt dann der Wald, im ungünstigsten Fall ein Kiefernreinbestand, direkt an den Asphalt.

Unter anderem die ausgeprägte Neigung zu Massenvermehrungen in unregelmäßigen Abständen, sehr hohe Raupendichten sowie der intensive Fraß der Raupen haben zur Einstufung der Nonne als Großschädling geführt. Fotos: Pascal Ebert, Frank Pastowski (LFE), Katrin Möller (LFE).

Würden Sie hier sogar vorschlagen, mehr Bäume zu fällen, um Platz für einen neuen, vielfältigen Waldrand zu schaffen?

Möller: Ökologisch wäre das richtig und wichtig, denn Waldränder können eine diverse Lebensgemeinschaft beherbergen, nicht nur von Insekten, Vögeln oder Fledermäusen und Reptilien. Außenwaldränder schützen den Wald auch vor Hitze-, Emissions- oder Sturmschäden. Wichtig ist aber: Wir sollten vorher gut überlegen, wo und was sinnvoll ist und jemand muss sich langfristig um die Waldränder kümmern. Das kostet wiederum Geld.

Müsste man diese Kosten nicht den Schäden gegenüberstellen, die entstehen, wenn der Waldumbau unterbleibt? Baumsterben, Sturmschäden etc.

Möller: Das ist ein Aspekt, mit dem sich viele Forschende beschäftigen, der aber finanziell sehr schwer zu fassen ist. Das fängt schon bei der Frage an: Was ist ein Schaden im Wald? In dem einen Waldstück wird mit Holz Geld verdient, in dem anderen gibt es einen Barfußpfad. Das allein führt schon zu sehr unterschiedlichen Vorstellungen.

Wir haben anhand konkreter Fälle in Brandenburg berechnen lassen, wie teuer ein Monitoring zum Waldschutz und Maßnahmen gegen Schadinsekten sind. Im Vergleich zu einem großflächigen Baumsterben durch Schadinsekten ist dieser Aufwand deutlich günstiger. Solche Bewertungen sind aber sehr schwierig, da es für viele Ökosystemleistungen der Wälder keinen Rechenmodus gibt und wir den Wert der Wälder im Zusammenhang mit dem Klimawandel wahrscheinlich noch unterschätzen. Es ist gut vorstellbar, dass die Suche nach kühlem Schatten im Sommer noch eine ganz andere Bedeutung gewinnen wird. Der Klimawandel „jagt“ uns also vor sich her. Was es zusätzlich schwierig macht: Wenn wir heute beginnen, Wälder nachhaltig umzubauen, werden wir viele Ergebnisse erst in 30 Jahren oder viel später sehen.

Ich wundere mich in diesem Zusammenhang auch über Blauäugigkeit nach dem Motto: Wenn wir den Wald sich selbst überlassen, wird schon alles gut. Der Klimawandel läuft viel zu schnell ab, das können natürliche Prozesse schwer auffangen.

Aber wird das den Waldfachleuten nicht schon in der Ausbildung vermittelt?

Möller: Nur zum Teil. Biologische Grundkenntnisse und ökologische Zusammenhänge zwischen Insekten und Bäumen, wie ich sie beschrieben habe, kommen meiner Meinung nach in vielen Studienrichtungen zu kurz. Ökosysteme werden zunehmend aus der Ferne betrachtet. Oft stehen Modellierung oder Fernerkundung im Vordergrund. Echte „Feldarbeit“ findet immer weniger statt. So gibt es immer weniger Spezialistinnen und Spezialisten mit wirklich guten Artenkenntnissen. Es fehlt an Fachleuten, die fundierte Analysen für so komplexe Ökosysteme wie Wälder durchführen können, vor allem, wenn auch die extrem artenreiche Gruppe der Insekten mit betrachtet werden soll.

Aber ich bin optimistisch! Vor Jahren haben mir Förster gern schon mal gesagt: „Du mit deinen Bienen und Schmetterlingen. Das ist ein reines Waldschutzthema, für meine Arbeit nicht so wichtig“. Aber das Bewusstsein für die Zusammenhänge zwischen Biodiversität und Waldgesundheit wächst, auch wenn sich viele mit Insekten noch schwertun, sei es, weil das Thema sehr komplex ist oder Insekten einen geringen „Kuschelfaktor“ haben. Ich versuche gerne über Waldameisen Begeisterung für Insekten und ihre ökologische Bedeutung zu wecken. Rote Waldameisen sind bekannt, soziale Tiere, vielfältig im Ökosystem vernetzt und für viele Menschen auch Sympathieträger.

Hinweis:

Einige der in diesem Beitrag verwendeten Bilder stehen unter der Creative Common 2.0 oder Creative Common 4.0-Lizenz.

Erschien zuerst im/auf: querFELDein
Institution: Landeskompetenzzentrum Forst Eberswalde (LFE)
Ansprechpartner/in: Dr. Katrin Möller

Newsletter abonnieren

Vier- bis sechsmal jährlich informieren wir über Fakten, News und Ideen rund um die Landwirtschaft der Zukunft.