In Zusammenarbeit mit:
Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE)
Kartoffel-Talk – Kartoffelsorten im Bio-Anbau
Interview: AMANDA BIRKMANN (HNEE)
Wie können sich landwirtschaftliche Betriebe mit neuen und alten Sorten auf dem Kartoffelmarkt und in Zeiten des Klimawandels behaupten? Wie entsteht überhaupt eine Sorte? Wie hat sich die Züchtungsarbeit entwickelt? Auf diese Fragen antworten Christian Landzettel, Bioland-Fachberater für Kartoffelanbau, und Alexander Fuchs, Biobauer mit eigenem Betrieb in Süddeutschland.
Herr Fuchs, wie viele verschiedene Kartoffelsorten bauen Sie derzeit auf Ihrem Betrieb an?
Alexander Fuchs: In der Regel haben wir zwischen 15 und 20 Sorten im Anbau, darunter auch Spezialitäten wie blaue oder durchgefärbt rote Sorten. Die Auswahl hängt stark von der Vermarktbarkeit ab. Bei uns geht sehr viel in Richtung Abokisten und Naturkostgroßhandel, wo auch alte Sorten immer sehr gefragt sind.
Ein wesentlicher Aspekt unseres Betriebes ist, dass wir das ganze Jahr über Kartoffeln anbieten. Bis Ende Mai verkaufen wir die alte Ernte und ab Anfang Juni die neue. Dafür brauchen wir sehr frühe Sorten, Anschlusssorten, die bis in den Frühherbst verkauft werden, und schließlich Lagersorten, die bis zum nächsten Mai knackig und von guter Qualität bleiben müssen. Das bleibt auch mit Kühllager eine Herausforderung.
Sie wählen die Sorten also danach aus, was sich verkaufen lässt?
Fuchs: Ganz so einfach ist es nicht. Es gibt ein Spannungsfeld zwischen Vermarktbarkeit und Anbauwürdigkeit. Nehmen wir zum Beispiel die sehr alte Sorte “Linda”. Sie ist bei unseren Kundinnen und Kunden sehr beliebt, weil sie sich gut lagern lässt und einfach gut schmeckt. Aber sie ist sehr anfällig für Krautfäule und schwierig im Anbau. Letztlich lohnt es sich nur, weil wir für diese Sorte höhere Preise verlangen können und unsere Kundinnen und Kunden das akzeptieren. Grundsätzlich müssen wir aber sehr genau überlegen, welche Kartoffeln unter unseren Standortbedingungen gute Qualität und guten Ertrag bringen. Hier sind wir froh, auf die Erfahrung von Herrn Landzettel zurückgreifen zu können. Dank seiner Sortenversuche, die auch auf unserem Betrieb laufen, können wir verschiedene Sorten über Jahre auf verschiedenen Standorten beobachten.
Herr Landzettel, in den angesprochenen Feldversuchen testen Sie neue Sorten, zum Teil als sogenannte „Stämme“ noch vor deren Zulassung. Können Sie kurz erläutern, wie die Kartoffelzüchtung abläuft?
Christian Landzettel: In der Züchtung kreuzen wir verschiedene Sorten oder Zuchtlinien miteinander, um ein klar definiertes Ziel zu erreichen, zum Beispiel eine bessere Resistenz gegen Trockenheit. Zuerst entfernen wir die Staubbeutel an der Blüte der Mutterpflanze und bestäuben Narbe mit Pollen einer Vaterlinie. Die Blüte schützen wir anschließend mit einem kleinen Netz, damit Insekten sie nicht weiter bestäuben können. Wenn alles gut geht, ernten wir Beeren, die wie kleine Tomaten aussehen. Sie enthalten 200 bis 300 Samen, von denen jeder eine potenzielle neue Sorte ist. Diese werden in Gewächshäusern zu Kartoffelpflanzen herangezogen. Über Jahre hinweg werden nur die vielversprechendsten Kandidaten ausgewählt und weiter angebaut. Hier erinnere ich mich immer gerne an meinen Professor an der Universität. Der sagte damals: “Der gute Züchter beherrscht die Kunst, das Gute wegzuwerfen, um nur das Beste zu behalten”. Im besten Fall bleiben am Ende ein oder zwei neue Sorten übrig, die den Zuchtzielen entsprechen und auch in allen anderen Eigenschaften gut sind. Diese werden angemeldet und erhalten einen eigenen Sortennamen.
Auf welche Eigenschaften hat man in der Vergangenheit bei der Züchtung geachtet?
Landzettel: Die erste gezielte Züchtungsarbeit in Europa arbeitete zunächst mit Sorten, die mit unseren Tageslängen zurechtkamen. Bis heute ist es auch ein großes Thema, Sorten widerstandsfähiger zu machen. Spätestens nach der großen Hungersnot in Irland wurde intensiv daran gearbeitet, zum Beispiel die Resistenz gegen die Krautfäule zu erhöhen. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Züchtung aber sehr stark darauf konzentriert, Kartoffeln “schön” zu züchten. Die Ware soll im Supermarkt ansprechend aussehen: eine möglichst glatte und feine Schale in einem schönen gelben oder roten Farbton. Die Keimanlagen sollen möglichst flach liegen und nicht irgendwie vertieft sein. Die Vertiefung der Keimanlage oder die Rauigkeit der Schale ist aber letztlich etwas, was die Natur der Kartoffel auch mitgegeben hat, um widerstandsfähig zu sein. So wurden viele Kartoffeln im Laufe der Jahre empfindlicher, was den Betrieben eine entsprechende Vorsicht abverlangt.
Fuchs: Das war auch für mich in der Vergangenheit zu sehr im Fokus der Züchtung: die tolle Schale, die perfekte Form. Wir müssen wieder mehr auf Resistenzen achten, um auch unter widrigen Umständen gute Erträge und vor allem schmackhafte Knollen vom Feld zu holen. In dieser Richtung hat sich in der Züchtung in letzter Zeit einiges getan.
Herr Fuchs, welche Kartoffeleigenschaften sind aus Sicht Ihres Betriebes wichtig?
Fuchs: Auf unserem Betrieb haben wir zum Teil sehr unterschiedliche Standortbedingungen. Es gibt zum Beispiel Flächen mit sehr sandigen Böden, die wir nicht beregnen. Hier ist vor allem Schorf ein großes Thema, bei ungleichmäßiger Wasserversorgung aber auch Kindelbildung und Durchtreiben. Das sind Herausforderungen im Anbau, die wir bei der Sortenwahl berücksichtigen. Wir haben aber auch Flächen in unmittelbarer Gewässernähe mit sehr feuchten Böden. Hier ist der Krautfäule-Druck relativ hoch. Deshalb bauen wir dort seit fast acht Jahren Krautfäule-resistente Sorten an. Allerdings ist es nicht immer einfach, diese Sorten auf dem Markt gut zu positionieren. Die Konsumentinnen und Konsumenten kaufen lieber bewährte Namen oder alte Sorten. Aber mit entsprechenden Verkostungen und viel Werbung für diese neuen Sorten können wir schon einiges erreichen.
Die ganze Sortenwahl basiert auf jahrelanger Erfahrung, viel Versuch und Misserfolg. In der Vergangenheit ist es oft vorgekommen, dass eine neue Sorte in Anbauversuchen über Jahre sehr vielversprechend war. Endlich eine Sorte, die all das verspricht, was man sich schon so lange wünscht! Und dann kommt im vierten Jahr oder so eine besondere Witterung oder ein Schädling und die Sorte verfehlt ihr Ziel völlig. Sie ist nicht mehr zu gebrauchen.
Landzettel: Es ist auch wichtig zu wissen: Wir unterscheiden zwischen Kartoffelsorten für den Lebensmitteleinzelhandel, für verschiedene Zwecke der Verarbeitung und für die Direktvermarktung. Im Lebensmitteleinzelhandel wird der Markt stark von festkochenden Kartoffeln dominiert. Hinzu kommen vorwiegend fest und mehlig kochende Sorten und sie alle haben verschiedene Reifezeiten. Hier sind insbesondere Sorten gefragt, die gewaschen und verpackt gut aussehen. Wenn ich mir die Kartoffeln zur Verarbeitung ansehe, geht der Trend zunehmend zu Spezialsorten, die sich zum Beispiel besonders gut zur Herstellung von Chips oder Pommes frites, aber nicht als Speisesorte eignen. Wenn ich wie Herr Fuchs Direktvermarkter bin, dann geht es in erster Linie darum, die Kunden das ganze Jahr über mit einer großen Vielfalt und guten Qualität zu versorgen. Will ein Betrieb hier drei Kochtypen, drei Reifezeiten und noch 1-2 Spezialitäten anbieten, kommt er schnell auf 15 oder 20 Sorten.
Inwieweit spielt der Klimawandel in der Züchtung eine Rolle?
Landzettel: Viele der heutigen Sorten werden, ich sage es mal etwas überspitzt, durch den Klimawandel abgeschafft. Weil sie vielleicht in einer längeren Nässeperiode von der Krautfäule wegrasiert werden oder weil sie die zunehmende Hitze nicht vertragen. Dann können furchtbar zwiewüchsig werden, leiden optisch enorm und sind nicht mehr vermarktbar. Das sind Dinge, auf die sich die Züchtung zu Recht stark konzentriert und wo wir auch deutliche Fortschritte verzeichnen können. Mir ist es ein Anliegen, dass wir den Wert der Züchtung erkennen und verstehen, dass wir züchten müssen, um uns an den Klimawandel anzupassen. Es ist wichtig, dass wir alte Sorten als Kulturgut schätzen und uns trotzdem verbessern und weiterentwickeln. Es muss auch erwähnt werden: Eine neue Kartoffelsorte ist ernährungsphysiologisch mindestens genauso wertvoll wie eine alte. Es ist ein Märchen und sollte nicht in den Köpfen bleiben, dass alte Sorten per se besser sind. Alte Sorten sind wertvoll, aber neue Sorten sind oft „besser“, eben weil sie besser angepasst sind an das heutige Klima.
Und trotzdem steht die Marktfähigkeit einer Sorte am Anfang aller Überlegungen, weelche Kartoffeln angebaut werden?
Landzettel: Ja, aber ohne die anderen Aspekte zu vergessen: Ertrag, Qualität oder Nährstoffeffizienz im Anbau. Bei Herrn Fuchs zum Beispiel geht es auch sehr stark um Risikostreuung. In der Landwirtschaft muss man oft mit extremen Wetterbedingungen rechnen. Ich brauche eine möglichst gute Resistenz gegen Krautfäule in besonders nassen oder feuchtwarmen Phasen. Ich muss aber auch stresstolerant anbauen. Das merken wir in Süddeutschland sehr stark: Es kommt immer wieder vor, dass es mehrere Tage über 30, manchmal sogar über 35 Grad heiß ist. Das ist für die Kartoffel wirklich der Vorhof zur Hölle und macht ihr viel mehr zu schaffen als Trockenheit allein. Deshalb ist es sinnvoll, für wichtige Bereiche des Betriebes mehrere Sorten bereitzuhalten, die jeweils unter unterschiedlichen Bedingungen gut gedeihen. Das hilft, das Risiko zu streuen und die Ernte stabil zu halten.
Also ist unser Fazit: Sortenvielfalt ist das Entscheidende beim Kartoffelanbau?
Landzettel: Vielfalt ist immer gut. Sie verteilt das Risiko und der Betrieb sichert sich am Markt über verschiedene Standbeine ein Stück weit ab.
Mehr Informationen:
Dieser Text ist eine Zusammenfassung der Folge 3 des Podcasts „Kartoffel-Talk“, zu finden im “Öko-Blog Kartoffel” auf oekolandbau.de. Blog & Podscat geben Einblicke in den Bio-Kartoffelanbau: von der Sorten- und Standortwahl über die vorbereitenden Feldarbeiten, die Pflanzgutvorbereitung und Pflanzung, die verschiedenen Pflege- und Pflanzenschutzmaßnahmen bis hin zur Ernte, Lagerung und Vermarktung im Jahresverlauf. Das Projekt wird von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) und dem Julius Kühn-Institut (JKI) gestaltet.