In Zusammenarbeit mit:
Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU)
Platterbse nicht vergessen!
Text: Pressestelle Uni Giessen & querFELDein
Sie ist resistent gegen Trockenheit und verträgt auch hohe Niederschläge. Sie bindet Stickstoff und kann so den Bedarf an Düngemitteln verringern. Richtig verarbeitet kann sich die Platterbse zudem einen Platz in der innovativen, gesunden Küche erobern. Ein Forschungsteam der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) hat im Rahmen des EU-Projekts BioValue das beträchtliche Potenzial der derzeit kaum genutzten Nutzpflanze untersucht.
Für eine zukunftsfähige Landwirtschaft sind Pflanzen unerlässlich, die gegen Klimaveränderungen resistent sind, Nachhaltigkeit sowie Ernährungsvielfalt fördern und bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern gut ankommen. All diese Anforderungen erfüllt die Platterbse, eine der ältesten Kulturpflanzen der Welt, nahezu perfekt. Sie passt sich an unterschiedliche klimatische Bedingungen an und ist sowohl gegenüber Trockenheit als auch gegenüber übermäßigen Niederschlägen tolerant. Das macht sie zu einer widerstandsfähigen Kandidatin für Regionen mit unvorhersehbaren Witterungsmustern. Als stickstoffbindende Hülsenfrucht verbessert sie auf natürliche Weise die Bodenfruchtbarkeit, verringert die Abhängigkeit von synthetischen Düngemitteln und fördert umweltfreundliche landwirtschaftliche Praktiken. Zudem bereichert sie Fruchtfolgen, was insbesondere für den ökologischen Landbau von Vorteil ist.
Vergessen, aber nur fast
Trotz dieser Vorteile wird die Platterbse heute nur selten angebaut, und wenn, dann hauptsächlich als Futterpflanze. Sie ist eine „vergessene“ Pflanze. Umso besser, dass ein Forschungsteam an der JLU untersucht, wie gerade vergessene Pflanzen uns helfen können, dem Klimawandel zu begegnen. Im Fokus stehen dabei europäische Agrar- und Lebensmittel-Wertschöpfungsketten. Gemeinsam mit Partnern aus Deutschland, Serbien, Spanien und Frankreich hat das Team nun eine Fallstudie zur Platterbse veröffentlicht.
„Um das Potenzial dieser ‚vergessenen‘ Pflanze zu nutzen, müssen wir unsere Anbaumethoden anpassen und alle Akteure entlang der Wertschöpfungskette – vom Anbau bis zum fertigen Lebensmittel – zusammenbringen“, sagt Dr. Irina Solovieva, Erstautorin der Studie. „Darüber hinaus ist es entscheidend, dass die Preise für Produkte aus Platterbsen wettbewerbsfähig sind und dass ihre ernährungsphysiologischen, ökologischen und sozialen Vorteile bekannt gemacht werden.“
Wie kam es zum „Vergessen“?
Platterbsen und verwandte Arten werden seit langem in Südasien, Afrika südlich der Sahara und im Mittelmeerraum angebaut. Auch in Spanien waren sie früher weit verbreitet. Der Anbau ging jedoch zurück, als 1964 das Nervengift β-ODAP in der Pflanze entdeckt wurde. In großen Mengen kann die Aufnahme des Nervengifts zu Störungen des motorischen Nervensystems führen, insbesondere in Zeiten von Hunger oder Nahrungsknappheit, wenn mehr als 30 % der Nahrung aus Platterbsen bestehen. „Die bisherigen Erkenntnisse sprechen jedoch dafür, dass Platterbsen als Teil einer ausgewogenen Ernährung, die auch Getreide und Obst enthält, unbedenklich sind“, sagt Solovieva. Außerdem können bewährte Verarbeitungsmethoden wie Einweichen, Kochen, Fermentieren, Rösten usw. die Giftigkeit erheblich reduzieren und den Nährwert verbessern.
Neben den Bedenken bezüglich des Nervengifts gibt es weitere Aspekte, die die Platterbse zurückhalten. In Regionen wie Deutschland, wo die Platterbse in der Vergangenheit kaum verbreitet war, besteht ein erheblicher Mangel an umfassenden Informationen über ihren Anbau unter hiesigen Bedingungen. „Landwirtschaftsbetriebe verlassen sich oft auf Versuche im kleinen Maßstab und den Austausch von Erfahrungen, was die Übernahme bewährter Verfahren im großen Maßstab verlangsamen kann“, erklärt Solovieva.
Wertvoll für die menschliche Ernährung
„Die Samen der Platterbse sollten nicht roh verzehrt werden“, betont die Agrarökonomin, „richtig verarbeitet bietet die Pflanze jedoch viele Vorteile, auch für die menschliche Ernährung.“ So unterstützt sie beispielsweise die Darmgesundheit und könnte zudem für den Markt glutenfreier Produkte von Interesse sein. „Platterbsen enthalten viele Proteine, Mineralien und Antioxidantien und haben einen höheren Nährwert als herkömmliche glutenfreie Mehle“, so Solovieva. Durch geeignete Züchtung und Verarbeitung können diese vorteilhaften Eigenschaften zudem noch weiter gefördert werden.
Es besteht Hoffnung. In einer Welt, die sich zunehmend für die ökologischen Auswirkungen von Lebensmitteln interessiert, könnte sich die Platterbse als wichtige Kulturpflanze in der nachhaltigen Landwirtschaft positionieren – vorausgesetzt, ihre ökologischen und sozialen Vorteile werden effektiv kommuniziert. „Unsere Studie hat gezeigt, dass Platterbsen vielversprechende Kandidaten für die Entwicklung neuer Lebensmittel sind, die den aktuellen Trends und dem wachsenden Interesse an abwechslungsreichen, nachhaltigen und nahrhaften Alternativen entsprechen“, sagt Solovieva. “Es ist wichtig, dass neue Rezepte und Produkte auf der Basis von Platterbsen den Erwartungen der Verbraucherinnen und Verbraucher in Bezug auf Textur usw. entsprechen. Auch regionale Vorlieben und Gewohnheiten müssen berücksichtigt werden, denn eine breite kulturelle Akzeptanz ist entscheidend.
Um den Worten Taten folgen zu lassen, wurden im BioValue-Projekt bereits zwei kulinarische Verwendungen der Platterbse entwickelt: einen herzhaften Eintopf aus Buchweizen, Platterbse und Aubergine sowie aromatische Kekse aus Platterbsen- und Kichererbsenmehl.
Teil eines größeren Projektes
BioValue ist ein von der EU gefördertes Forschungsprojekt, in dessen Rahmen die aktuelle Studie des JLU-Teams entstanden ist. Das Projekt zielt darauf ab, den Zusammenhang zwischen biologischer Vielfalt, Wertschöpfungsketten in der Agrar- und Ernährungswirtschaft, Verbraucherpräferenzen und Gesundheit ganzheitlich zu untersuchen. Darüber hinaus unterstützt BioValue die erneute Einführung genetisch vielfältiger, bislang wenig genutzter Nutzpflanzen in ganz Europa.
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