In Zusammenarbeit mit:
Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF)
Die unsichtbare Schönheit der Luzerne
Text: JÖRG STAUDE
Ob schön oder nicht, spielt bei den vielen anderen Qualitäten der Luzerne eigentlich keine Rolle. Und Vorzüge hat sie so viele, dass sich sowohl Wissenschaft als auch Landwirtschaft bei ihren Lobeshymnen einig sind. In einem Projekt von Land-Innovation-Lausitz untersuchten Forschende des Leibniz-Zentrums für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) die grundlegenden Eigenschaften der Luzerne. Landwirtschaftsbetriebe aus der Lausitz wandten diese Erkenntnisse erfolgreich in der Praxis an und untermauerten mit ihren Erfahrungen aus Feld und Stall die Empfehlungen der Forschung.
Schön ist die Luzerne vor allem im Sommer auf den ersten Blick nicht. Sie ist eine krautige Erscheinung, wächst bis über einen Meter hoch und trägt kleine violette bis leicht rosa Blüten. Ursprünglich stammt die Luzerne aus Südasien. Die Römer sollen damit ihre Rösser gefüttert haben, später arabische Eroberer ihre Pferde in Spanien. So kam die Luzerne nach Europa. Für Pferde wird sie heutzutage als modernes »Superfood« vermarktet, für Wiederkäuer ist sie eine der wichtigsten Futterpflanzen. Ihre meisten Qualitäten verbirgt die Luzerne unsichtbar in der Erde. Die erste ist eine Pfahlwurzel, die von allen in Deutschland genutzten Kulturpflanzen am tiefsten in den Boden reicht und diesen mehrere Meter tief auflockert.
Auf gut 700 Hektar baut die Bauern AG Neißetal in der Niederlausitz die Luzerne an, mittlerweile als festen Teil der Fruchtfolge mit Getreide. Umbrochen werden die Luzerneflächen alle vier Jahre. Die tieferen Wurzelkanäle bleiben dabei erhalten, halten die Erde locker und das Regenwasser auf den Feldern, sorgen für reges Bodenleben und erhöhen den Humusgehalt. Das wirkt sich positiv auf die Bodenfruchtbarkeit aus. »Wir haben Flächen, auf denen vor 20 Jahren Luzerne gewachsen ist, aber die Effekte sieht man immer noch«, erzählt Bernd Starick, Vorstand der Bauern AG Neißetal. Von 2020 bis 2023 erprobten Starick und seine Kollegen zusammen mit dem Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) und dem Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung IAP, ob sich die Luzerne doppelt nutzen lässt – als wertvolles Tierfutter und als Rohstoff für biobasierte Kunststoffe. FUFAPRO nannte sich das Forschungsprojekt abgekürzt.
Die Luzernewurzel als Problemlöserin
Ein Luzerne-Fan war der umtriebige Starick nicht immer. Das nahm erst seinen Anfang, als das Agrarunternehmen ab dem Jahr 2000 in der Region nordöstlich von Cottbus die Rekultivierung ehemaliger Kohletagebauflächen übernahm. Rund 800 Hektar hatte der Betrieb einst an die Braunkohle verloren. Was vom Bergbaubetreiber an Flächen zurückkommt, ist biologisch de facto unbelebter Boden ohne Humusschicht. »Die Luzernewurzel ist ein Problemlöser für Vieles, was der Kippenboden mit sich bringt. In der Rekultivierung ist ohne Luzerne fast nicht zu arbeiten«, bringt Bernd Starick zwei Jahrzehnte Sanierungserfahrung auf den Punkt.
»Luzerne wird neben Steinklee für die Rekultivierung von Kippenböden verwendet, weil beide Pflanzen sehr gut durchwurzeln und Humus aufbauen. Die Luzerne hat aber noch andere große Vorteile«, erläutert Dr. Johann Bachinger von der Arbeitsgruppe Ressourceneffiziente Anbausysteme des ZALF und federführend beim FUFAPRO-Projekt. Mit ihrem tiefen und verzweigten Wurzelsystem kann sich die Luzerne auch Wasser aus Schichten holen, die andere Pflanzen nicht erreichen. »Die Luzerne besitzt die größte Trockenheitstoleranz aller Ackerfrüchte«, hebt Bachinger hervor. Habe sich die Pflanze einmal etabliert, komme sie mit Trockenheit sehr gut zurecht. An ihren Wurzeln hält sich die Luzerne auch einen ganzen Hof unsichtbarer, aber nützlicher Helfer. Zur Familie der Leguminosen gehörend lebt die Pflanze symbiotisch mit Knöllchenbakterien (Rhizobien). Diese können Stickstoff aus der Luft binden, indem sie diesen zu Ammoniak oder Ammonium wandeln. So wird der Stickstoff für die Pflanze verfügbar. Damit der Prozess klappt, sorgt die Pflanze ihrerseits für die richtige Sauerstoffkonzentration in den Knöllchen der Bakterien.
»Jeder Hektar Luzerne düngt bei uns umgerechnet einen drei-viertel Hektar Getreide«, bilanziert Landwirt Starick. Zusätzlich ist es das wichtigste eiweißreiche Futter für die Hochleistungskühe der Bauern AG. Agraringenieur Bachinger seinerseits veranschlagt die Stickstoffbindung in absoluten Zahlen von 350 bis 500 Kilogramm pro Hektar und Jahr. Für den Landwirtschaftsbetrieb im Neißetal ist der von der Luzerne in den Boden gebrachte Stickstoff bares Geld wert, denn die Herstellung von Stickstoffdünger ist energieintensiv. Die Luzerne kann also nicht nur aktuell die Düngerkosten senken, sondern auch vor Preissteigerungen schützen.
Zu den winzigen Helfern, die sich an die Wurzeln der Luzerne heften, gehören auch Mykorrhizapilze. Deren sehr dünne Wurzelfäden können Nährstoffe und Wasser noch effektiver als die Pflanze aufnehmen, erläutert ZALF-Experte Bachinger. Im Ergebnis verbessern die Pilze die Lebensbedingungen für die Pflanze. Die Luzerne verfügt dabei von allen Kulturpflanzen, so Bachinger, über das höchste Infektionspotential mit Mykorrhizapilzen. Soll übersetzt heißen: Die Luzerne sorgt am besten dafür, dass sich die Pilze im Boden wohlfühlen und in der Fruchtfolge weitere Nutzpflanzen durch die Symbiose mit den Pilzen profitieren können.
Humusaufbau dank Luzerne
Die fruchtbringenden Eigenschaften der Luzerne tragen zum Humusaufbau im Boden bei. Bernd Starick hat Zahlen parat: Bei Rekultivierungsböden erhöhte der Anbau von Luzerne den Humusgehalt um etwa 0,1 Prozent pro Jahr. Normalerweise haben die sandigen Brandenburger Böden in seiner Region zwischen den Städten Guben im Norden und Forst im Süden im Schnitt einen Humusanteil von 1 bis 4 Prozent. Johann Bachinger überrascht dieses Humuswachstum nicht.»Die Luzerne hat die höchste Humusreproduktion aller Fruchtarten«, bekräftigt er. Und am Ende zahlt sich das auch bei der Ernte aus. Die Luzerne biete den höchsten Proteinertrag bei bester Qualität des Futtereiweißes, sagen seine Daten. Allerdings ist es so einfach nicht, die Luzerne in ein »Superfood« für die Tiere umzuwandeln. »Die Luzerne ist anspruchsvoll im Handling. Sie gehört auch eher zu den schwer vergärbaren Arten«, berichtet Starick.
Bei der Optimierung von Anbau und Verwertung war die Kooperation mit dem ZALF für die Betriebe unentbehrlich. So rieten die Forschenden, die Pflanze gut 10 Zentimeter über dem Boden früh zu schneiden. So kann sie schnell wieder austreiben. Inzwischen setzt man die Luzerne im Unternehmen auf zwei Arten gezielt ein: die Spitzen der Pflanzen für die Fütterung sowie den faserhaltigen Teil aufbereitet für den Einsatz in der unternehmenseigenen Biogasanlage. Vom Verhältnis her werden bei der Bauern AG Neißetal etwa drei Viertel der Luzerne verfüttert, ein Viertel wird zu Biogas.
Die Qualitäten der Luzerne als Bodenverbesserin und Futtermittel sichtbar zu machen – in dieser Hinsicht ist das FUFAPRO-Projekt ein Erfolg. Bei der Kooperation hatten und haben Starick und Bachinger aber auch größere Ziele im Blick. Beide sehen die Rolle der Landwirtschaft nicht mehr nur klassisch in der Sicherung von Ernährung, sondern auch als Lieferant biobasierter Rohstoffe für die Industrie. Gerade im Bereich Verpackung gebe es immer mehr Unternehmen, die möglichst nachhaltige Materialien einsetzen wollen, bestätigt Bachinger. Auch bei den Herstellern von Zellstoff wachse das Interesse. Einen Grund sieht der ZALF-Experte im Waldumbau in Deutschland weg von schnellwachsenden Nadelbaum-Monokulturen hin zu Mischwäldern. Damit drohe der Zellstoffbranche eine wichtige Rohstoffquelle zu versiegen, sagt er.
Luzernefaser als industrieller Rohstoff?
Technisch ist die Idee, die Faser der Luzerne als industriellen Rohstoff zu nutzen, keineswegs auf Lausitzer Sand gebaut. Das zeigen vorläufige Ergebnisse von FUFAPRO. Die Stängelmasse ist für die Herstellung von Kartonagen und Papier »ausgesprochen« gut geeignet, heißt es im vorläufigen Bericht. Für die Produktion naturfaserverstärkter Kunststoffe sei die Pflanze jedoch noch nicht »optimal«. Dazu bedürfe es noch weiterer Forschungen. Auch ist die Trennung des faserreichen Stängels von den für Tierfutter gedachten Luzerneblättern noch nicht zufriedenstellend gelöst.
Das Hauptproblem für einen Boom der Luzernefaser ist allerdings ein anderes: Die landwirtschaftlichen Betriebe können noch nicht die Lieferung der nötigen Mengen garantieren. »Wir bräuchten zehn Lieferanten von der Größe der Neißetal AG, damit das für die Papier- und Zellstoffbranche lohnend wird«, schätzt Bachinger. Davon scheint Deutschland tatsächlich weit entfernt. Erst auf 2 bis 3 Prozent der landwirtschaftlichen Anbaufläche wächst aktuell Luzerne. Vor allem in Brandenburg sei es dem ZALF gelungen, sagt er, mit Vorträgen und Feldtagen große Betriebe von den Qualitäten der Luzerne zu überzeugen. Das Land Brandenburg gehört auch zu den wenigen Bundesländern, in denen Luzerne als Ackerpflanze gefördert wird. In der derzeitigen GAP-Förderperiode geschieht dies innerhalb der Ökoregelung 2 »Vielfältige Kulturen«, mit der ein 10-prozentiger Anteil von Leguminosen unterstützt wird, also auch die Luzerne. Diese Regelung werde gut genutzt, teilt das Landwirtschaftsministerium in Potsdam auf Nachfrage mit.
Johann Bachinger schaut bei der Luzerne schon über Futter und Faser hinaus. So entstehe bei der Fermentation in der Biogasanlage auch Ammoniak. Der darin enthaltene Stickstoff gehe aber bisher weitgehend verloren, bedauert der ZALF-Experte. Dabei sei es inzwischen technisch möglich, das Ammoniak abzuscheiden und dieses beispielsweise als klimaneutralen Chemierohstoff zu vermarkten. Bachinger hält es sogar für möglich, mit dem umfassenden Einsatz von Luzerne sogenannte negative CO2-Emissionen in der Landwirtschaft zu erzielen, sofern beispielsweise auch die CO2-Bindung im verstärkten Humusaufbau in die Treibhausgasbilanz einberechnet wird. Die ganzen Qualitäten der Luzerne – auch als Klima- und Umweltschützerin – harren noch ihrer Entdeckung.