In Zusammenarbeit mit:
Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB)
Wissenschaft auf dem Acker
Text: MAREEN GERISCH & LUCIA BEHREND-JAUERNIG
Wenn die Blattlaus sich breit macht, sollte der Fressfeind am Start sein. Forschende des Leibniz-Instituts zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB) untersuchen zusammen mit Landwirtinnen und Landwirten, wie Schädlingskontrolle möglichst ohne Pestizide und Herbizide funktionieren kann. Es ist ein Austausch der Erfahrungen, der Perspektive, des Wissens. Gemeinsam versuchen sie, Ökologie und Ökonomie auf einen Nenner zu bringen. Ein Gespräch zwischen dem Traditionslandwirt Bernd Olligs und LIB-Wissenschaftler Prof. Dr. Christoph Scherber:
Christoph Scherber: Was können Landwirtinnen und Landwirte noch besser machen? Wie sieht für Sie die Landwirtschaft der Zukunft aus?
Bernd Olligs: Ich arbeite nachhaltig. Wir Landwirte sind immer daran interessiert, es besser zu machen. Vor 15 Jahren haben wir uns gar nicht die Frage gestellt, wie wir in der Landwirtschaft auf Biodiversität achten. Nun haben wir festgestellt, dass wir uns in diesem Punkt verbessern müssen. Es ist meine Aufgabe, als Bewirtschafter im Betrieb dafür zu sorgen, dass die übernächste Generation sagt: Der Opa hat das gut gemacht. Mein Ziel ist, alle Ideen aufzugreifen und zu sehen, ob es richtig oder falsch ist. Ich bin ein Landwirt, der mit dem Einsatz der modernen Technologien und auch mit Pflanzenschutz integriert wirtschaftet. Schon mein Vater und Großvater haben gesagt: „Ich muss verschiedene Sachen ausprobieren, um zu wissen, wo der richtige Weg ist.“
Scherber: In der Forschung probieren wir Dinge aus und schauen dann, was davon ökonomisch umsetzbar ist. Können wir noch mehr gemeinsam machen?
Olligs: Ich glaube, dass Forschung und Landwirtschaft gemeinsam viele spannende neue Sachen herausfinden können. Wir als Landwirte brauchen Beratung: Welche Fruchtfolge passt, welche Blühmischung geht und wann säen wir am besten aus? Wenn zehn landwirtschaftliche Betriebe alle dasselbe machen, könnten wir gemeinsam schauen, was funktioniert, wo es Forschungsbedarf gibt und wo man sich zu bestimmten Fragestellungen zusammenschließen kann. Das FlowerBeet-Projekt ist ein gutes Beispiel dafür. Wir haben erst begonnen, mit digitaler Technologie Daten festzuhalten, um nachvollziehen zu können, was gelaufen ist und um Informationen weitergeben zu können. Das Ergebnis der Beobachtungen bleibt zu oft bei einzelnen Landwirten hängen. Es geht im Wissenstransfer von Jung zu Alt darum zu wissen, was auf dem Acker los ist.
Scherber: Wie bringen Sie konventionelle und ökologische Landwirtschaft zusammen?
Olligs: Wir versuchen Insektizide zu vermeiden, indem wir die Pflanzen mit digitaler Technologie und künstlicher Intelligenz beobachten. Aufgrund dieser Schädlingsbeobachtungen treffe ich die Entscheidung, wie viel Pflanzenschutz ich wann einsetze. Dabei müssen wir gezielt bei Bedarf und nicht prophylaktisch arbeiten. Ich möchte die Option haben, den Schädling gezielt bekämpfen zu können, wenn er kommt. Wir Landwirte müssen betriebswirtschaftlich nachher in der Summe die Gewinner bleiben. Hier gibt es ein Ungleichgewicht innerhalb Europas, hier müsste die Politik aktiv werden: Es sollten keine Produkte aus Drittländern eingeführt werden, die unseren Standards nicht entsprechen und die mit Pflanzenschutzmitteln behandelt wurden, die in Deutschland nicht erlaubt sind.
Scherber: Und wie denken Sie über die Zulassung des Pestizids Glyphosat?
Olligs: Der Einsatz von Glyphosat ist für mich kein Widerspruch zur nachhaltigen Landwirtschaft, jedoch nur unter der Voraussetzung der richtigen Anwendung. Es sollte nur verantwortungsvoll eingesetzt werden, zum Beispiel vor der Aussaat oder nur auf ausgewählten Teilflächen mit hoher Präzision.
Scherber: Wenn es zu einer Wiederzulassung kommen sollte, dann sollten die Anwendungen, wenn überhaupt, maßvoll begrenzt werden, so dass eine Schädigung von Insekten und Wirbeltieren ausgeschlossen werden kann. Das betrifft zum Beispiel die Zeit der Krötenwanderungen und die Hauptvegetationsperiode, in der viele Bestäuber unterwegs sind. Ich möchte aber betonen: Eine Vielzahl an Studien belegt eindeutig, dass Glyphosat Insekten, Bodenmikroorganismen, Amphibien und Fische nachhaltig schädigt. Deshalb haben wir verschiedene Projekte neben FlowerBeet, in denen Betriebe sich darüber austauschen, wie sie auf Pflanzenschutzmittel verzichten können. Im Projekt FINKA zum Beispiel erproben wir eine Mischform aus ökologischer und konventioneller Landwirtschaft. Die Ergebnisse sind vielversprechend. Wie schätzen Sie die Ergebnisse beim Projekt FlowerBeet ein?
Olligs: Es gibt Tendenzen, dass wir mit dem Blühstreifen auch in vernetzter Struktur sehr positive Ergebnisse kriegen können. Wir beobachten, dass hier viele unterschiedliche Laufkäferarten die ganze Zeit schon dafür sorgen, dass wir noch nicht spritzen müssen. Das ist eine Art von Wissen, das wir festhalten und an die junge Generation weitergeben müssen. Dafür ist es wichtig zu wissen, was bei uns rum kreucht und fleucht. Mit digitaler Technik lässt sich schneller diagnostizieren, ob ein Käfer gut oder schlecht für den Ackerbau ist.
Scherber: Was die Blühstreifen betrifft: Es scheint, dass sie bis auf sechs Meter in die Zuckerrüben hinein so stark gewirkt haben, als hätte ich ein Insektizid gespritzt. Ich als Wissenschaftler hätte in der Form nicht erwartet, dass wir die Blattläuse so stark runter kriegen. Das war eine tolle Erfahrung. Die Frage ist, wie man dieses Projekt jetzt in die Praxis umsetzen kann, um damit Pflanzenschutzmittel einzusparen?
Olligs: Ja, wir können einen riesigen Effekt erreichen. Dafür brauchen wir auch politische Rahmenbedingungen. Wir brauchen die Politik, die uns bei unseren Maßnahmen unterstützt. Wir wollen als kompetente Gesprächspartner anerkannt werden. Wichtig ist, dass wir Ziele vereinbaren, zum Beispiel, dass wir Nützlinge in der Landwirtschaft etwa über Blühstreifen fördern wollen. Wir könnten ein Konzept entwickeln, in dem in der Fläche gewirtschaftet wird und dazwischen vernetzende Elemente wie Blühstreifen oder Hecken eingebaut werden.
Scherber: Wenn wir Artenvielfalt fördern wollen, müssen wir den Naturschutz ganz anders denken. Die breite Landbewirtschaftung muss mitgedacht werden. Denn seltene Arten in Schutzgebieten, die von Äckern umgeben sind, überleben nicht. Da sind die politischen Rahmenbedingungen auf Gemeindeebene in puncto Landschaftsplanung gefragt. Mit Blick auf die Artenvielfalt ist eine vernetzte Struktur wichtig. Da stellt sich die Frage in den Planungsbüros der Gemeinden, welche Flächen noch mit reingenommen werden, also in der Art: blühende Wiese statt Golfrasen.
Olligs: Ein Berufskollege hat eine kleine Blühfläche angelegt, weil er noch Platz bei den Rüben hatte. Diese Fläche war ein Trittstein zwischen zwei Biotopen. Hier konnten wir zwei Bienen finden, die wir bisher auf der roten Liste hatten.
Scherber: Wissenschaft, Politik, Landwirtschaft: Wir haben alle das gleiche Ziel und müssen miteinander reden.
Olligs: So ist das auch unter den Generationen. Meine Söhne kommen freitags nach Hause und sagen: „Papa, was du machst, ist alles falsch“. Und ich sage: „Alles klar, ich weiß.“ Aber am Sonntag sind wir wieder einer Meinung.
Scherber: Ich fand es spannend, dass Sie diese zwei Bienenarten erwähnt haben. Das stellt sich die Frage: Wie kann ich andere begeistern, darauf zu achten, was auf ihrem Acker los ist? Wir müssen die positiven Sachen nach vorne bringen. Und die Politik muss Landwirte honorieren, einen hochwertigen Blühstreifen mit einer guten Mischung anzulegen, der ökologisch was bringt. Was würden Sie sagen: Sollten wir Bereiche der Landschaft wieder sich selbst überlassen? Was wäre Ihre Strategie, um Agrarvögel wieder zurückzuholen?
Olligs: Bei einer guten Mischung für die Blühstreifen bekomme ich Rebhühner und Fasane zurück – und natürlich die Insekten. Die einjährigen Blühstreifen können schnell zur ökologischen Falle werden, weil die Tiere erst angelockt werden – und dann ist alles weg. Die mehrjährigen Blühstreifen bieten einen Ruheraum für Tiere und sind ökologisch wertvoller.
Scherber: Wo sehen Sie bei all dem die Rolle der Verbraucher, wo die der Politik?
Olligs: Der Verbraucher muss nur konsequent sein. Wenn er sagt, wir Landwirte sollen keinen Pflanzenschutz einsetzen und er möchte das Produkt perfekt produziert haben, wie in Deutschland unsere Ökolandwirte das machen, dann soll er deren Produkte kaufen und nicht auf günstigere zum Beispiel aus Osteuropa schauen, wo die Löhne niedriger sind. Auch sollte gesetzlich vorgeschrieben sein, was in welchem Produkt drin ist, wo es herkommt.
Scherber: Ich glaube, wir können es nicht nur den Verbraucherinnen und Verbrauchern auferlegen, Entscheidungen zu treffen. Es muss auch politisch gesteuert werden. Ich finde es auch wichtig, dass wir die nachwachsenden Generationen an die Landwirtschaft heranführen. Wir müssen schon vom Kindergarten an mit den jungen Leuten raus gehen. Die Menschen müssen wahrnehmen, wie die Natur funktioniert. Was gibt es für Tiere und Pflanzen im Weizenfeld? Wie erkenne ich einen bedrohten Schmetterling? Nur, wenn wir Bescheid wissen, können wir auch mündige Menschen sein und mit unserem Herzen entscheiden, was wir kaufen wollen.