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Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF)

Agrarumweltmaßnahmen – Kooperationsbereitschaft deutscher Landwirtinnen und Landwirte  

Agrarpolitik Biodiversität Landwirtschaft Umweltschutz
© Albrecht Fietz | Pixabay

Text: JENS ROMMEL, CHRISTOPH SCHULZE, BETTINA MATZDORF, VERA WECHNER, JULIAN SAGEBIEL

In einem Verhaltensexperiment im Rahmen des Projekts Contracts2.0 wurde die Kooperationsbereitschaft deutscher Landwirte und Landwirtinnen hinsichtlich einer kollektiven Umsetzung von Agrarumweltmaßnahmen in Deutschland untersucht. Die Kooperationsbereitschaft der Teilnehmenden war hoch und übertraf die Erwartungen von Experten und Expertinnen. Die kürzlich in der Fachzeitschrift Q Open veröffentlichten Ergebnisse (Rommel et al., 2022) liefern einen positiven Befund über das Potenzial kooperativer Agrarumweltmaßnahmen in Deutschland.

Motivation der Studie

Viele Umweltziele in der Landwirtschaft lassen sich auf größeren Skalenebenen durch die Zusammenarbeit von Landwirtinnen und Landwirten besser erreichen. In den Niederlanden werden Agrarumweltmaßnahmen im Rahmen der zweiten Säule der Agrarumweltpolitik ausschließlich mittels landwirtschaftlicher Naturschutzkollektive umgesetzt („Holländisches Modell“). Diese Kollektive erarbeiten gemeinsam mit den Behörden regionale Managementpläne. Auch in anderen EU-Ländern und der Schweiz gibt es Versuche, Maßnahmen zu entwickeln, welche Landwirte zur besseren Koordination bewegen sollen und Anreize zur Zusammenarbeit bieten.

Das Interesse am sogenannten „Holländischen Modell“ zur Umsetzung von Agrarumweltmaßnahmen ist in Deutschland groß. So spricht der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft in seinem Gutachten von 2019 folgende Empfehlungen aus: „(1) Prüfen, inwieweit Elemente des niederländischen Systems des kollektiven Vertragsnaturschutzes auch in Deutschland anwendbar sind, (2) die institutionellen Voraussetzungen für die Umsetzung kollektiver Modelle des Umwelt und Klimaschutzes verbessern, (3) den Zusammenschluss relevanter lokaler Akteure zu ‚Biodiversitätserzeugergemeinschaften‘ im Rahmen von Pilotprojekten schon in der gegenwärtigen Finanzperiode fördern.“ Über die grundsätzliche Bereitschaft von Landwirten und Landwirtinnen, Umweltziele gemeinsam zu verfolgen ist jedoch wenig bekannt. Hier setzt unsere Studie an.

Methodischer Ansatz: „Öffentliches Gut“-Spiel

Die Kooperationsbereitschaft von Landwirten haben wir in einem „Öffentliches Gut“-Spiel untersucht: Spieler und Spielerinnen verfügen über eine finanzielle Anfangsausstattung die zwischen einem privaten Konto und einem Gruppenkonto aufgeteilt werden muss. Das Geld auf dem Gruppenkonto wird mit einer Zahl multipliziert, die kleiner als die Anzahl der Teilnehmenden aber größer als eins ist. Dadurch haben Spieler und Spielerinnen keinen individuellen Anreiz, etwas zum Gruppenkonto beizutragen – obwohl dies im Interesse der Gruppe liegt. Durch dieses im Spiel angelegte soziale Dilemma lassen sich abstrakt Trittbrettfahrerverhalten und Kooperation untersuchen.

Tausende Laborexperimente zeigen, dass viele Menschen grundsätzlich bereit sind, auch mit Fremden zu kooperieren. Ein typisches Ergebnis ist, dass Teilnehmende in etwa die Hälfte ihrer Anfangsausstattung auf das Gruppenkonto einzahlen. Die Abbildung zeigt wie wir das Spiel mit vier Landwirten und einer Anfangsausstattung von 50 Euro in unserer Studie umgesetzt haben.

Darstellung des Spiels und möglicher Handlungsalternativen. Im Beispiel geben die Spieler 0 Euro, 0 Euro, 25 Euro und 50 Euro und erhalten somit am Ende entsprechend 87,50 Euro, 87,50 Euro, 62,50 Euro und 37,50 Euro. Der letzte Spieler erhält also in diesem Fall weniger als er eingezahlt hat, wohingegen die ersten beiden Spieler am meisten erhalten. (Quelle: eigene Darstellung; icon von flaticon.com by freepik)
Darstellung des Spiels und möglicher Handlungsalternativen. Im Beispiel geben die Spieler 0 Euro, 0 Euro, 25 Euro und 50 Euro und erhalten somit am Ende entsprechend 87,50 Euro, 87,50 Euro, 62,50 Euro und 37,50 Euro. Der letzte Spieler erhält also in diesem Fall weniger als er eingezahlt hat, wohingegen die ersten beiden Spieler am meisten erhalten. (Quelle: eigene Darstellung; icon von flaticon.com by freepik)

Das Experiment und die zusätzliche Befragung von Expertinnen und Experten

Das öffentliches-Gut-Spiel wurde in vielen Varianten bereits im Labor durchgeführt. In unserer Studie haben wir eine Auswahl möglicher Varianten vor dem Hintergrund kooperativer Agrarumweltmaßnahmen im Rahmen eines Workshops während der Grünen Woche 2020 in Berlin diskutiert. Neben einer Basisvariante wurden aus 17 Alternativen vier weitere Varianten des Spiels für unsere Studie ausgewählt: (1) Basisvariante: vier Teilnehmende teilen einen Betrag von 50 Euro zwischen Gruppenkonto und privatem Konto auf. Der Betrag auf dem Gruppenkonto wird verdoppelt und gleichmäßig aufgeteilt. (2) heterogene Anfangsausstattung: Teilnehmende verfügen entweder über einen hohen (75 Euro) oder einen niedrigen (25 Euro) Anfangsbetrag; (3) Vorbildverhalten: drei Teilnehmende können zunächst die Entscheidung des ersten Spielers oder der ersten Spielerin sehen und erst dann ihre Entscheidung treffen; (4) soziale Norm: Teilnehmende erhalten einen Hinweis, dass in ähnlichen Studien viele Teilnehmende hohe Beiträge geleistet haben; (5) soziales Optimum: Teilnehmende erhalten einen Hinweis, dass es im Interesse der Gruppe ist, wenn jede/r möglichst viel auf das Gruppenkonto einzahlt.

Parallel zur Studie mit den Landwirten und Landwirtinnen haben wir über 200 Experten und Expertinnen aus Wissenschaft und Praxis gebeten, das Verhalten der Landwirtinnen und Landwirten in unserem Experiment vorherzusagen. Zwar kam ein Großteil der Teilnehmenden aus der Wissenschaft. Es befanden sich aber auch Vertreterinnen und Vertreter aus der Praxis (z. B. Verbände, Beratung, Politik) unter den Teilnehmenden. Drei Teilnehmende wurden zufällig ausgewählt und haben einen Geldbetrag in Abhängigkeit von der Genauigkeit ihrer Schätzung erhalten.

Die Ergebnisse

Über 358 Landwirtinnen und Landwirte haben an unserem Online-Experiment teilgenommen. Teilnehmenden wurde zufällig eine der fünf Varianten präsentiert. Jede/r zehnte Teilnehmende hat eine echte Zahlung in Abhängigkeit vom eigenen Verhalten und dem Verhalten der anderen Teilnehmenden erhalten. Abbildung 2 zeigt, dass die Kooperationsbereitschaft von Landwirten im Schnitt sehr hoch ist. Vergleichbare Laborstudien mit Studierenden zeigen deutlich weniger Kooperationsbereitschaft. Die Variante welche das soziale Optimum betonte, erzielte mit über 80% die höchste Kooperationsbereitschaft.

Ergebnisse des Spiels in % der Anfangsausstattung. (Quelle: eigene Darstellung)
Ergebnisse des Spiels in % der Anfangsausstattung. (Quelle: eigene Darstellung)

Abbildung 3 zeigt in orange für jede der fünf Varianten die Verteilung des prozentualen Anteils, den Teilnehmende auf das Gruppenkonto einzahlen. Der Durchschnitt liegt in allen Varianten deutlich über 50% und somit höher als in vergleichbaren Laborexperimenten. Expertinnen und Experten sind zu pessimistisch, unterschätzen also die Beiträge der Landwirte und Landwirtinnen (um durchschnittlich mehr als zwanzig Prozentpunkte).

Verteilung der Beiträge durch die Landwirte im Spiel (orange) und Verteilung der Vorhersage der Experten (grün). (Quelle: eigene Darstellung)
Verteilung der Beiträge durch die Landwirte im Spiel (orange) und Verteilung der Vorhersage der Experten (grün). (Quelle: eigene Darstellung)

Das wichtigste Ergebnis aus der Studie ist, dass teilnehmende Landwirte und Landwirtinnen eine grundsätzlich hohe Kooperationsbereitschaft zeigen. Außerdem schätzen Experten und Expertinnen das Kooperationsverhalten der Teilnehmenden zu pessimistisch ein. Im Projekt Contracts2.0 werden wir diese Ergebnisse nun mit Praxispartnern diskutieren und in weiteren Studien Erkenntnisse über das Potenzial kooperativer Agrarumweltmaßnahmen sammeln. Unter anderem haben wir ähnliche Studien in den Niederlanden, Ungarn und Polen geplant und durchgeführt.

Weiterführende Informationen

Der Aufsatz ist auf Englisch in der Zeitschrift Q Open erschienen: Rommel, J., Schulze, C., Matzdorf, B., Sagebiel, J., & Wechner, V. (2022). Learning about German farmers’ willingness to cooperate from public goods games and expert predictions. https://doi.org/10.1093/qopen/qoac023

Die Studie wurde im Rahmen des von der EU finanzierten Projekts Contracts2.0 durchgeführt und gefördert (Förderkennzeichen Horizont 2020: 818190).

Jens Rommel arbeitet an der Schwedischen Agraruniversität in Uppsala. Bettina Matzdorf und Christoph Schulze arbeiten am Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung. Bettina Matzdorf ist außerdem Professorin an der Leibniz Universität Hannover. Vera Wechner studiert an der Humboldt-Universität zu Berlin und Julian Sagebiel arbeitet am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig.

Der Beitrag ist Teil des Special Issues zu ‘Evidenzbasierter Agrar- und Ernährungspolitik – Rolle der Forschung für die Politikgestaltung’ in der Fachzeitschrift Q Open. Dieser Special Issue wird durch die SGA (Schweizerische Gesellschaft für Agrarwirtschaft und Agrarsoziologie) realisiert. Gast-Editoren sind die SGA Vorstandsmitglieder Nadja El Benni, Robert Finger und Christian Grovermann.

Erschien zuerst im/auf: Agrarpolitik Blog
Institution: Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF)
Ansprechpartner/in: Prof. Bettina Matzdorf und Christoph Schulze

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