In Zusammenarbeit mit:
Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF)
Die Augen der Landschaft

Text: HEIKE KAMPE
Auf dem Acker erkennt man Sölle meist an ihrem Pflanzenbewuchs, der sich deutlich von der Umgebung abhebt. Allein in Nordostdeutschland existieren mehr als 150.000 dieser Kleinstgewässer. Forscherinnen und Forscher des ZALF untersuchen diese Biotope, auch, weil man an ihnen viel über den Zustand der Landschaft ablesen kann.
Die Geografin Dr. Marlene Pätzig ist von Orten wie diesen begeistert: »Es sind Hotspots der Biodiversität«, sagt sie, »reich an Pflanzen-, Insekten- und Amphibienarten, darunter auch viele geschützte.« Dabei sind die Biotope von außen eher unscheinbar. Als »Sölle« bezeichnen Fachleute diese Relikte der letzten Eiszeit: kleine, mit Wasser gefüllte Kuhlen, die wie Kleckse auf Feldern und Äckern verteilt sind. Doch so unscheinbar sie sein mögen, sie sind aus vielen europäischen und nordamerikanischen Landschaften nicht wegzudenken. Allein in Nordostdeutschland gibt es zwischen 150.000 und 300.000 dieser Kleinstgewässer, auch »Augen der Landschaft« genannt.
Für die Wissenschaft sind Sölle interessant, da ihr Zustand viel über die angrenzende Landschaft verrät. Als Vertiefungen in den Feldern nehmen sie wie ein Sammelbecken Stoffe der Umgebung auf, wie Pflanzenschutzmittel, Dünger oder erodiertes Bodenmaterial. Das Vorkommen wildlebender Pflanzen- und Tierarten lässt sich an ihnen ebenfalls in konzentrierter Form ablesen. Sölle und ihre komplexen Wechselwirkungen mit der Landschaft zu verstehen ist alles andere als einfach. Auch deshalb kann sich ZALF-Forscherin Pätzig so für sie begeistern. Ihr Kollege, Prof. Gunnar Lischeid, ist den Geheimnissen der Sölle schon seit rund zehn Jahren auf der Spur.
Geheimnisvolle Augen
»Man glaubt, ein Soll verstanden zu haben, dann steht man vor dem nächsten und fängt wieder von vorne an«, so Lischeid. »Und sogar ein einzelnes Soll kann von Jahr zu Jahr ganz anders aussehen.« Einige dieser Kleinstgewässer trocknen im Sommer aus, manche umgibt ein dichter Vegetationsgürtel, andere sind nur spärlich bewachsen. Wetter und Wind, die Lage im Gelände, Boden und Ackerbewirtschaftung – es gibt zahlreiche Faktoren, die bestimmen, welche Stoffe darin gelöst oder gebunden sind und welche Organismen darin leben. Und noch etwas ist bisher weitestgehend unbekannt: Wie wirken sich die Kleingewässer auf ihre Umgebung aus? Beherbergen sie etwa für die Landwirtschaft nützliche Tierarten wie Laufkäfer, die auf den angrenzenden Feldern Schadinsekten jagen? Oder sind sie umgekehrt Brutstätte für Pilzerkrankungen?
Um diese Wissenslücken zu schließen, bietet das Landschaftslabor des ZALF in der Brandenburgischen Uckermark die besten Voraussetzungen. Seit mehr als 20 Jahren werden hier, im Einzugsgebiet des Flusses Quillow, Messdaten aus dem Boden, dem Grundwasser oder aus der Luft erhoben und Feldversuche auf Landschaftsebene durchgeführt. Insgesamt stehen hier auch 50 Sölle unter Langzeitbeobachtung, wovon zehn Sölle und ihre Umgebungen derzeit intensiv hydrologisch, biochemisch und biologisch untersucht werden.

Unterirdische Netzwerke
Dass sich der Aufwand lohnt, zeigt eine erst kürzlich gemachte Entdeckung der ZALF-Forscherinnen und Forscher. »Lange ist die Forschung davon ausgegangen, dass Sölle ausschließlich durch Regenwasser gespeist werden und keinen Abfluss besitzen. Doch inzwischen wissen wir, dass zahlreiche Sölle auch eine Verbindung zum Grundwasser haben«, so Pätzig. Ein Team um Gunnar Lischeid fand heraus, dass viele der Sölle unterirdisch miteinander verbunden sind. Das wirft ein völlig neues Bild auf Stoffflüsse und Wasserbilanzen der Kleingewässer, weil sie die Landschaft wie ein unterirdisches Netzwerk durchziehen. »Es erklärt auch, warum in einigen Söllen Pestizide gefunden wurden, die auf dem angrenzenden Feld gar nicht ausgebracht wurden«, so Lischeid.
Bedeutung für die Landwirtschaft
Am Rand der Sölle erfasst das Team Laufkäfer und Ackerwildkräuter. Mit speziell präparierten Leimkarten, auf denen Samen bestimmter Wildpflanzen geklebt sind, wird ermittelt, wie viele der Samen von Käfern oder anderen Organismen gefressen werden. »Diese Tiere, die vom Soll aus in den Acker hineinlaufen, können dort nützlich sein, indem sie etwa Beikräuter oder deren Samen fressen«, erklärt Pätzig. Ebenfalls untersucht wird, inwieweit Sölle als Ausbreitungsherde für Pilzbefall auf den Feldern fungieren.

Gerade solche Auswirkungen auf die landwirtschaftlichen Flächen sind besonders interessant. Denn letztendlich sind es Landwirtschaftsbetriebe, die auf ihren Feldern die Sölle erhalten. »Viele Landwirtinnen und Landwirte kennen den ökologischen Wert der Kleinstgewässer auf ihren Äckern und sie sorgen sich um die Gebiete«, weiß Pätzig. »Doch ökonomisch sind sie eher ein Hindernis – schließlich müssen sie umfahren werden und für ihren Erhalt werden die Betriebe nicht entlohnt.« Das Team um Lischeid und Pätzig arbeitet also auch an der Wissensgrundlage für ein effektives Naturschutzmanagement dieser hochkomplexen Systeme. Um sie bei diesen Aufgaben zu unterstützen, hat das ZALF 2019 das interdisziplinäre Pilotprojekt SWBTrans gestartet. Pätzig und ihr Team bleiben somit den Geheimnissen der Sölle weiter auf der Spur.
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