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Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau (IGZ)

Materialforschung für Urbane Bioräume  

Ernährungssicherheit Ernährungssouveränität
Advanced Fiber Placement-System für die Herstellung von komplexen Faserverbundbauteilen © WFBB, Fotograf: Jungblut & Büssemeier
Advanced Fiber Placement-System für die Herstellung von komplexen Faserverbundbauteilen © WFBB, Fotograf: Jungblut & Büssemeier

Das Interview führte: JULIA VOGT | IGZ

Im Gespräch mit Jakob Sabban: Der Materialwissenschaftler über Urbane Bioräume, wie Materialtests durchgeführt werden und erste Ergebnisse aus seinem food4future Projekt “Etablierung urbaner Bioräume”.

Für diejenigen, die lieber hören, statt lesen

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VR-Simulation food4future © Creative Media Group der HTW Berlin für die Koordinierungsstelle „Agrarsysteme der Zukunft“ (IGZ)

Was sind die urbanen Bioräume, nach denen Ihr Projekt benannt wurde?

Urbane Bioräume sind diejenigen Orte innerhalb einer urbanen – also städtischen – Umgebung, die zukünftig für die Kultivierung von neuen Nahrungsmitteln genutzt werden sollen. Prinzipiell könnte dies jeder Ort sein, der derzeit nicht aktiv gewerblich oder als Wohnraum genutzt wird. Beispiele hierfür wären leerstehende Industriebauten, nicht genutzte U-Bahn-Tunnel, Freiflächen neben der Stadtautobahn oder Ähnliches. In diese Bereiche könnten Produktionssysteme für Nahrungsmittel integriert werden, die in den jeweiligen besonderen klimatischen Verhältnissen optimale Wachstumsbedingungen für verschiedenste Organismen bereitstellen. Neben gemäßigten Temperaturen und der Bereitstellung von Nährstoffen und Salzwasser sollen hierfür beispielsweise auch UV-LEDs integriert werden.

Die mit Makroalgen und Halophyten bepflanzte food4future-Designstudie des Fraunhofer IAP auf der Internationalen Grünen Woche im Januar 2020. © J. Vogt | IGZ
Die mit Makroalgen und Halophyten bepflanzte food4future-Designstudie des Fraunhofer IAP auf der Internationalen Grünen Woche im Januar 2020. © J. Vogt | IGZ

Warum ist es sinnvoll, geschlossene Produktionssysteme für die urbane Lebensmittelproduktion aus Leichtbau-Materialien zu entwickeln?

Für eine maximale Ausnutzung des urbanen Raums muss die Nahrungsmittelproduktion in die Vertikale verlagert werden – d. h. wir arbeiten nach einem Vertical Farming-Prinzip. Dementsprechend müssen sehr viele der geschlossenen Produktionseinheiten – sogenannte Kompartimente – übereinander in einem größeren System angeordnet werden. Die Verwendung von Leichtbaumaterialien ermöglicht es hierbei das Gewicht der Kompartimente zu minimieren und somit die erlaubten Traglasten der jeweiligen Unterkonstruktionen einzuhalten. Bedenkt man die enormen Wassermengen, die für die Kultivierung insbesondere von insbesondere bei Algen oder Quallen benötigt werden, ist hier die Gewichtsreduzierung der Kompartimente besonderes relevant. Zusätzlich kann die Energieeffizienz des gesamten urbanen Bioraums durch effektiven Leichtbau deutlich gesteigert werden – so ist beispielsweise der energetische Aufwand für die Bewegung einzelner Kompartimente deutlich geringer. Auch ist die Isolationswirkung vieler Leichtbauwerkstoffe deutlich höher als die konventioneller Materialien.

Hierbei eignen sich beispielsweise die faserverstärkten Kunststoffe, die mit einer Kombination von hochfesten Fasermaterialien und widerstandsfähigen Kunststoffen einen idealen Leichtbauwerkstoff bilden, der in nahezu jede Form gebracht werden kann. In einer Design-Studie haben wir schon zu Anfang des Projekts ein Kompartiment für die Pflanzenkultivierung gebaut. Der Fokus dieser Arbeit lag jedoch nicht auf hoher Funktionalität, sondern auf einer möglichst organischen Form. Auf diese Weise konnten sich Besucher*innen bei der Internationalen Grünen Woche oder Mind the Lab ein Bild von der Vielseitigkeit der Leichtbaumaterialien machen. Was sie dabei natürlich nicht sehen konnten: Die Design-Studie ist, wenn sie nicht gerade für die Algen mit Wasser gefüllt ist, so leicht, dass sie trotz ihrer Größe mit einer Hand getragen werden kann.

Wie gehen Sie beim Projekt “Etablierung urbaner Bioräume” konkret vor?

Die Hauptaufgabe im Teilprojekt des Forschungsbereiches PYCO ist derzeit die Entwicklung einer Werkstoffkombination und insbesondere eines Kunststoffs, der den speziellen Umweltbedingungen innerhalb der Kompartimente über lange Zeiträume standhält. Die wichtigste geforderte Eigenschaft ist die Stabilität gegenüber UV-Strahlung und Salzwasser. Dies begründet sich dadurch, dass die Organismen in diesem Projekt (Algen, Quallen, Halophyten) genau auf diese Faktoren angewiesen sind. Bei Standardmaterialien sind jedoch gerade die Beständigkeiten in dieser Kombination oft nicht vorhanden, sodass die Kunststoffe hierdurch angegriffen werden und übermäßig stark verwittern.

Nicht zuletzt muss natürlich sichergestellt werden, dass keine gefährlichen Stoffe während der Kultivierung aus den Werkstoffen austreten und in die Nahrungsmittelorganismen übertragen werden und sich dort womöglich anreichern. Grundlagen für die Entwicklung und Beurteilung entsprechender Materialien sind unter anderem die strengen Regeln der EU und des BfR, also des Bundesamts für Risikobewertung, wodurch beispielsweise einzelne Inhaltsstoffe vom Einsatz ausgeschlossen werden.

Hochleistungsfasern aus Kohlenstoff für Leichtbauteile © Michael Setzpfandt | Fraunhofer IAP
Hochleistungsfasern aus Kohlenstoff für Leichtbauteile © Michael Setzpfandt | Fraunhofer IAP

Welche Schritte gehören zur Materialentwicklung? Wie wird ein neuer Werkstoff entwickelt?

Zu allererst müssen wir die geforderten Eigenschaften für ein neues Material definieren – also beispielsweise die Stabilität gegenüber Salzwasser und UV-Strahlung. Zu Beginn des Projekts food4future haben wir hierfür mehrere Workshops mit den Projektpartnern des Arbeitsfelds Organismen durchgeführt, wobei sich alle letztendlich auf die genauen Anforderungen geeinigt haben. Anschließend wird in der einschlägigen Literatur und im Angebot unserer Zulieferer recherchiert, welche vorhandenen Materialien am ehesten diese Eigenschaften erfüllen oder zumindest in der Nähe liegen. Dazu werden chemische Beständigkeiten, mechanische und optische Eigenschaften und Verarbeitungsparameter betrachtet. Die gebündelte Kompetenz und Erfahrung im Forschungsinstitut erleichtert hierbei natürlich die Arbeit. Wurden geeignete Material-Kandidaten gefunden, können diese chemisch oder physikalisch modifiziert werden. Ein Beispiel hierfür ist die Zugabe von Methacrylaten zu Kunstharzen, wodurch ein sehr durchsichtiger Verbundwerkstoff erhalten werden kann. Dabei werden meist verschiedene Ansätze verfolgt und in Versuchsreihen – teilweise über lange Zeiträume – untersucht. Ist der ideale Werkstoff gefunden, kann mit der Herstellung von Bauteilen begonnen werden.

Vorbereitung eines Faserverbundbauteils für die Aushärtung im Autoklaven. Fotograf: Jungblut & Büssemeier © WFBB
Vorbereitung eines Faserverbundbauteils für die Aushärtung im Autoklaven. Fotograf: Jungblut & Büssemeier © WFBB

Was testet man an den Materialien und was können wir uns unter einer Funktionsintegration in die Materialien vorstellen?

In den Materialversuchen werden ganz unterschiedliche Eigenschaften ermittelt. Dies sind beispielsweise das Verhalten bei Langzeitbelichtung mit UV-Strahlung unterschiedlicher Wellenlänge und das Quellverhalten in Wasser, also die Aufnahme von Wasser in den Werkstoff. Die so behandelten Proben werden anhand verschiedener mechanischer Untersuchungen charakterisiert und miteinander verglichen: Wichtige Kennwerte sind hierbei die Steifigkeit und die Festigkeit, die beispielsweise durch Biegeversuche in einer speziellen Prüfmaschine ermittelt werden. Auch die Glasübergangstemperatur, welche einen Hinweis darauf gibt, bis zu welcher Temperatur Kunststoffe verwendet werden können, ist eine relevante Messgröße.

Von einer Funktionsintegration wird allgemein gesprochen, wenn ein Bauteil aus einem bestimmten Material mehr Funktionen als die offensichtlichsten erfüllt. Bezogen auf die Leichtbau-Kompartimente bedeutet dies, dass das Material neben der mechanischen Stabilität und thermischen Isolation auch über integrierte Sensorik und UV-Lichtquellen verfügen soll. Einige Materialien sind hierfür natürlich besser geeignet, als andere. Durch die Verarbeitung von Faserverbundmaterialien bei relativ niedrigen Temperaturen (im Gegensatz zu den Schmelztemperaturen von Metallen) ist die Integration empfindlicher elektronischer Bauelemente theoretisch problemlos möglich – hierfür müssen jedoch noch geeignete Herstellungsverfahren entwickelt werden.

Sie müssen die Kompartimente für die Anforderungen der  food4future-Organismengruppen Halophyten, Makroalgen, Grillen, Quallen, konzipieren – wie ist die Arbeit innerhalb eines breit aufgestellten Forschungsverbundes?

Die stark interdisziplinäre Arbeit ist eine großartige Erfahrung und sie gibt uns Materialwissenschaftlern beispielsweise immer wieder die Möglichkeit auf den Gebieten Biologie und Soziologie dazuzulernen. Daraus ergeben sich natürlich auch hin und wieder Schwierigkeiten, wenn beispielsweise Begriffsdefinitionen oder Einheiten verwendet werden, die bei uns eher unüblich sind. Dies lässt sich aber meist schnell aufklären. Darüber hinaus bietet diese Zusammenarbeit die Möglichkeit, unter Beachtung aller besonderen Anforderungen neue und vor allem zweckmäßige Technologien zu entwickeln.

Modulare Imprägnieranlage für die Herstellung von Faserverbundhalbzeugen. Fotograf: Jungblut & Büssemeier © WFBB
Modulare Imprägnieranlage für die Herstellung von Faserverbundhalbzeugen. Fotograf: Jungblut & Büssemeier © WFBB

Gab es bisher überraschende Ergebnisse Ihrer Arbeit und was wird am Ende Ihres Projektes stehen?

Die Verlagerung der Nahrungsmittelproduktion in die Vertikale hat uns vor eine ganze Reihe von Herausforderungen gestellt. Neben der Entwicklung eines Trägersystems, welches den enormen Kräften standhält, stellte sich auch die Frage, wie die einzelnen Kompartimente gepflegt oder abgeerntet werden sollen. Als Lösung hierfür brachten die Kollegen der pmp Projekt GmbH eine altbekannte Technologie ins Spiel: Den Paternoster. Hierdurch können beispielsweise alle Kompartimente bequem an eine bestimmte Position gefahren und dort abgeerntet werden. Das Produktionssystem könnte so auch mit wenig Aufwand vollständig automatisiert werden. Von diesem äußeren Aufbau leitet sich natürlich auch die Form der zu entwickelnden Urbanen Bioräume ab. Diese werden aus länglichen Röhren mit verschiedenen Querschnitten bestehen, welche die Möglichkeit aufweisen, an beiden Enden in ein solches System integriert zu werden.

In meiner Arbeit und der meiner Kollegen bei food4future sollen natürlich in erster Linie Werkstoffe entstehen, die möglichst leicht sind und die festgelegten Anforderungen erfüllen. Aus diesen Materialien wollen wir im Verlauf mehrere Kompartimente für die Kultivierung der vier food4future-Organismentypen herstellen, welche iterativ verbessert werden sollen, sodass wir am Ende des Projekts eine sehr genaue Vorstellung davon haben, wie diese Kompartimente beschaffen sein müssen.

Jakob Sabban ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung IAP im Forschungsbereich Polymermaterialien und Composite PYCO. Nach seinem Master in Maschinenbau am Lehrstuhl für Konstruktionstechnik und Leichtbau der Universität Rostock beschäftigt er sich nun mit der Konstruktion und Auslegung von Leichtbauteilen in Faserverbundbauweise sowie der Erarbeitung von geeigneten Fertigungsmethoden. In food4future ist er für verschiedene Materialtests sowie die Planung und Fertigung der Organismen-Kompartimente der „Urbanen Bioräume“ zuständig.

Was hat Sie dazu bewogen, sich auf Materialforschung zu spezialisieren?

Im Maschinenbau trifft man immer wieder auf die Frage „Welches ist das optimale Material für meine Anwendung?“. Oftmals stellt sich hierbei heraus, dass die Verwendung zweier nur leicht verschiedener Materialien zu erheblichen Unterschieden in der Verarbeitung oder der Funktion der Anwendung führt. Das kann manchmal auf nur eine einzige Materialeigenschaft zurückgeführt werden – in anderen Fällen aber auch auf viele verschiedene. Deshalb ist oft die Suche nach dem optimalen Material oder eine entsprechende Neentwicklung erforderlich. Genau diese systematische Detektivarbeit ist es, womit mich mein Forschungsfeld so in den Bann gezogen hat.
Was war Ihr bisher eindrücklichstes Erlebnis als Wissenschaftler?

Im vergangenen Jahr war ich an der Ausarbeitung einer DIN Spezifikation für das Recycling von Windenergieanlagen beteiligt. Auch hier werden in großem Maße Leichtbauwerkstoffe verwendet, welche am Ende der Lebensdauer dieser Anlagen in speziellen Prozessen recycelt werden müssen. Dies beinhaltet einen enormen Aufwand. Vor kurzem wurde dieses Dokument nun veröffentlicht und es ist wirklich schön zu sehen, dass so dieses wichtige Thema stärker in den Vordergrund gerückt wird und die technische Entwicklung vorangetrieben werden kann. Meine Hoffnung ist, dass sich infolge von food4future eine ähnliche Entwicklung ergibt.

Im Projekt selbst war es interessant zu sehen, dass mit den Organismen auch wirklich Nahrungsmittel hergestellt werden können. Für die Grüne Woche hat food4future einen Smoothie mit Meeresspargel entwickelt, der bei mir und den meisten anderen Testern sehr gut angekommen ist. Ich würde mich hierbei natürlich freuen, wenn dieses und ähnliche Produkte aus unserer Forschung eines Tages im Handel erhältlich sein werden.

Vielen Dank für das Gespräch.

Weiterführende Informationen

Zum food4future-Projekt: “Etablierung von urbanen Bioräumen

Das Verbundprojekt food4future – Nahrung der Zukunft (f4f), gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Programms Agrarsysteme der Zukunft, untersucht radikale Innovationen für eine nachhaltige und gesunde Lebensmittelversorgung und wird von Prof. Monika Schreiner (IGZ) koordiniert.

Erschien zuerst im/auf: Newsroom von food4future
Institution: Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau (IGZ)
Ansprechpartner/in: Jakob Sabban | IAP & Julia Vogt | IGZ

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