In Zusammenarbeit mit:
Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF)
Säckeweise Hoffnung für Tansania
Text: Heike Kampe
Der schneebedeckte Kilimandscharo, Elefantenherden in Nationalparks oder beeindruckende Savannenlandschaften – diese Bilder verbinden wohl viele mit dem Namen Tansania. Doch das afrikanische Land hat auch eine andere Seite, die Touristen selten zu sehen bekommen. Vor allem auf dem Land leiden die Menschen unter Mangelernährung – es fehlt an Vitaminen und Spurenelementen, die Kindersterblichkeitsrate ist hoch. Seit 2015 entwickelt die Ernährungswissenschaftlerin Dr. Constance Rybak gemeinsam mit ihrem Team Lösungen, die für weite Teile Afrikas beispielhaft sein könnten. Die ersten Erfolge sind bereits sichtbar.
Für diejenigen, die lieber hören, statt lesen
DownloadAn ihre erste Reise in die ländlichen Gebiete rund um die Hauptstadt Dodoma kann sich Dr. Rybak gut erinnern: »In der Nacht davor hatte es geregnet. Zwei Brücken waren weggeschwemmt.« Der routinierte Fahrer steuerte den Jeep stattdessen an einer flachen Stelle durch den Fluss. »Wir haben die Fenster geschlossen und gehofft, dass das Wasser flach genug ist. Irgendwie sind wir dann auf die andere Seite gekommen«, sagt die wissenschaftliche Koordinatorin des Projekts im Nachhinein lachend. Doch aufregend war diese erste Erfahrung mit der tansanischen Infrastruktur allemal.
Kein Hunger, aber zu wenig Nährstoffe
Die Provinz Dodoma ist eine von zwei Pilotregionen in Tansania, die Forscherinnen und Forscher des Leibniz-Zentrums für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e. V. in den vergangenen drei Jahren regelmäßig besucht haben. Was für die Forschenden eher eine Ausnahmesituation ist, gehört hier für die Menschen in den Dörfern, abseits der Touristenziele, zum Alltag. Befestigte Straßen gibt es nicht, in den meisten Häusern auch keinen Strom oder fließendes Wasser. Das Leben ist einfach und hart. Obwohl die meisten hier Felder bestellen und Vieh halten, sind die Ernten mager. Es fehlt an Dünger und Landmaschinen. Dürren in der rund neunmonatigen Trockenzeit und Überflutungen in der Regenzeit machen den Farmerinnen und Farmern das Leben schwer. Hunger ist aber nicht das drängendste Problem. Denn Hirse, Reis oder Mais werden als Grundnahrungsmittel dazugekauft, füllen die Mägen und machen satt. Was fehlt, ist jedoch die Abwechslung auf dem Speiseplan. Nur in wenigen Monaten im Jahr, kurz nach der Regenzeit, kann gesundes Gemüse angebaut werden. Die Folge: Viele Menschen sind mangelernährt. Sie nehmen nicht ausreichend Vitamine oder Spurenelemente zu sich. Diese Entwicklung beobachtet die Forschung auch in anderen Teilen der Welt, und sie wird durch den Klimawandel noch verschärft. Aktuell sind rund 815 Millionen Menschen mangelernährt – Tendenz steigend. Neben dem Kampf gegen Hunger, Armut und Krankheiten ist die Beseitigung von Mangelernährung ein zentraler Faktor für Stabilität und Wachstum, insbesondere in ländlichen Gegenden Afrikas.
Tansania ist aber nicht zufällig in den Forschungsfokus der Brandenburger Landwirtschaftsexperten gerückt. Bereits seit 2007 ist das ZALF dort präsent und hat seither 14 Projekte in Ostafrika durchgeführt. »Zunächst waren es nur Austauschprogramme, die Projekte wurden dann sukzessive aber immer umfangreicher«, blickt Dr. Stefan Sieber, Leiter der Arbeitsgruppe »Nachhaltige Landnutzung in Entwicklungsländern« am ZALF, zurück. »Wir haben über die Jahre hinweg gelernt, dass Forschung, die so viele Teile der lokalen Bevölkerung betrifft, nur mit gewachsenem Vertrauen nachhaltig und damit erfolgreich sein kann. Ein besonders wichtiger Baustein hierbei ist, dass wissenschaftliche Partner aus den Zielländern eingebunden sind.« Heute reichen die Forschungsfragen, für die sich die Forschenden in Entwicklungsländern interessieren, weit über die klassische Landwirtschaft hinaus: »Hilfe zur Selbsthilfe schließt viele Fragen ein, etwa: Wie können wir dabei unterstützen, die Länder vor starken Preisschwankungen bei Nahrungsmitteln zu schützen? Wie können sie sich besser an den Klimawandel anpassen? Welche Verbesserungen im Bildungssystem sind notwendig? Welche politischen Instrumente funktionieren vor Ort?«
Aufklärungsarbeit gegen Ängste
Das große Ziel des aktuellen Forschungsprojekts »Scale-N«, das vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) gefördert wird, ist es, die Ernährungssituation der Menschen in den ländlichen Gebieten Tansanias zu verbessern. Die Forschenden aus Müncheberg arbeiten dabei eng mit lokalen Partnern wie der Sokoine Universität, der führenden Einrichtung für Agrarforschung in Tansania, und örtlichen Bauernverbänden zusammen und verfolgen hierbei einen besonderen Forschungsansatz: »Wir arbeiten transdisziplinär. Das heißt: Von Beginn an definieren wir gemeinsam mit den Menschen vor Ort die Forschungsfragen und begleiten den Prozess, bis eine Lösung gefunden ist, die sich langfristig bewährt«, beschreibt Sieber.
Das ist nicht immer ganz einfach. In Dodoma und Morogoro – der zweiten Pilotregion in der tansanischen Provinz – wollten die beteiligten Forschungs- und Ärzteteams herausfinden, wie der Ernährungsstatus der Frauen und Kinder vor Ort ist. Doch die Untersuchungen mit Blutabnahme war vielen Einheimischen nicht geheuer. Die Menschen hatten Angst, stigmatisiert zu werden. »Es war viel Aufklärungsarbeit nötig« sagt Rybak. Doch schließlich überwanden die 650 Mütter und deren Kinder ihre Angst und gaben ihr Blut für die wissenschaftlichen Untersuchungen ab. Diese Herausforderung zeigt, wie wichtig es ist, Vertrauen zu den lokalen Dorfbevölkerungen aufzubauen.
Die Ergebnisse bestätigten, was die Forschungsteams vermutet hatten: Die Menschen in Dodoma und Morogoro haben zu wenig Eisen, Zink und Vitamin A im Blut. Viele Kinder sind kleiner als für ihr Alter normal wäre – ein Hinweis auf chronische Mangelernährung. Die Untersuchungen brachten auch zutage, dass der Ernährungsstatus der Menschen in der Dodoma-Provinz besser ist als in Morogoro. Mithilfe der Fragebögen, in denen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler detailliert um Auskünfte über die produzierten Lebensmittel, ihre Verarbeitung, Aufbewahrung und die Essgewohnheiten baten, fanden sie schnell heraus, warum: »Die Hirse hier wird nicht geschält«, erklärt Rybak. So gehen wertvolle Nährstoffe aus der Schale nicht verloren. Außerdem essen die Dorfbewohner aus Dodoma mehr grünes Blattgemüse, das sie in der Umgebung sammeln oder in kleinen Küchengärten anbauen, und die Früchte der in der Umgebung wachsenden Papaya-Bäume.
Paradoxerweise sind die Menschen aus Morogoro nicht nur stark mangelernährt. Sie kämpfen gleichzeitig mit einem zweiten Ernährungsproblem: Rund ein Drittel der Frauen ist übergewichtig. Als »Double Burden« bezeichnet die Ernährungswissenschaft dieses Phänomen, das in zahlreichen Entwicklungsländern auftritt. »Die Menschen nehmen zu viele Kalorien über ihre Grundnahrungsmittel zu sich, sind aber gleichzeitig mangelernährt, weil wichtige Nährstoffe fehlen«, so Rybak.
Blattgemüse für Eisen und Vitamine
Wie können diese Probleme gelöst werden? Zum Beispiel mit Sackgärten. »Sie sind ein wunderbares Instrument und leicht einzurichten«, sagt Rybak. »Auch für Menschen, die wenig eigene Fläche besitzen und wenig Wasser zur Verfügung haben.« Gesagt, getan. In hüfthohe, breite Säcke füllten die Dorfbewohner Erde und Dung – Ressourcen, die in den Dorfgemeinschaften vorhanden sind. In die Seiten schnitten sie Pflanzlöcher. Mit dem Saatgut, das sie zusammen mit dem kostenlosen Starterpaket erhielten, zogen sie in diesen »Sackgärten«, die wegen ihres Aufbaus auch mit wenig Wasser auskommen, die ersten Pflänzchen heran. Vor allem schnell wachsendes grünes Blattgemüse wie Chinakohl oder Spinat, das reich an Eisen und Pro-Vitamin A ist, ernteten die Dorfbewohner bereits nach kurzer Zeit und bereicherten damit ihren Speiseplan. Mit Solartrocknern, die dem Dorf im Rahmen der Projektförderung zur Verfügung gestellt wurden, machten sie das Gemüse schonend lange haltbar.
Gärten und Bildung
Die grünen Pflanztaschen waren ein erster, sichtbarer Erfolg. Doch sie allein würden die Ernährung der Menschen nicht nachhaltig verbessern können, wussten die Forschenden. Auf vielen Ebenen stießen sie gemeinsam mit der Bevölkerung weitere Innovationen an: Kompostsysteme, Schulgärten, eine App für transparentere Märkte oder große Regenzisternen, die das kostbare Wasser in der Regenzeit auffangen.
Das Herzstück aber bilden neu errichtete Ernährungszentren in den Dörfern. Im »Nutrition Upscaling Centre« lernen sie, wie man sich gesund ernährt, verkaufen selbstgezogenes Gemüse oder Saatgut für den Küchengarten. Landwirtinnen und Landwirte erfahren, wie sie ihre Produkte veredeln und damit höhere Preise erzielen. Das Thema Ernährung wird zum Dorfgespräch – und zwar nachhaltig. Inzwischen kommen auch die Einwohner der Nachbardörfer zu Besuch, um sich über gesunde Ernährung, den Anbau, die Vermarktung und den gewinnbringenden Verkauf von Gemüse zu informieren.
Nach zwei Jahren zeigten erneute Untersuchungen, dass sich die ersten Erfolge einstellen. In Morogoro, wo die Menschen sehr übergewichtig und trotzdem mangelernährt waren, verbesserten sich die Blutwerte der Mütter und Kinder signifikant. »Blutarmut hat sich nahezu halbiert«, freut sich Rybak.
Vor Kurzem war Constance Rybak noch einmal in Tansania und freute sich über die sichtbaren Sackgärten, die die Menschen weiterhin pflegen. Und auch darüber, dass gesunde Ernährung ein Thema im Dorfalltag geworden ist. Vor allem in den Ernährungszentren bündelt sich das Wissen, mit dem die Dorfbevölkerung neue Wertschöpfungsketten schafft. Die Einrichtungen könnten auch zukunftsweisend für weitere Regionen sein, sind die Forschenden überzeugt. Gemeinsam mit der Politik, der Wirtschaft und den Menschen vor Ort arbeiten sie derzeit an neuen Konzepten, um diese Einrichtungen als Innovationszentren zu etablieren.
Das Team
Projektkoordinatorin Dr. Constance Rybak arbeitet zusammen mit Arbeitsgruppenleiter Dr. Stefan Sieber in der AG »Nachhaltige Landnutzung in Entwicklungsländern« am ZALF.