In Zusammenarbeit mit:
Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e. V. & Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW)
Schicht für Schicht
Text: HEIKE KAMPE
Ein Team aus Forscherinnen und Forschern lüftet die Geheimnisse der Böden: Mithilfe eines Computertomografen (CT) beleuchten sie Proben aus dem Erdreich von allen Seiten – und nutzen die neuen Erkenntnisse, um die Bodenfruchtbarkeit zu erhalten.
Für diejenigen, die lieber hören, statt lesen
DownloadNoch glitzert der morgendliche Raureif auf den Wiesen, doch der leichte Frost der letzten Nacht ist kaum in den Boden gedrungen. Für Dr. Monika Joschko und Holger Schulz ist das ein Glücksfall. Denn sie wollen an diesem Tag auf den Versuchsfeldern des Leibniz-Zentrums für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) in Müncheberg besondere Bodenproben nehmen. Starker Frost hätte ihre Pläne durchkreuzt. Doch heute ist der Boden weich genug, um mit einem Spezialgerät in die Erde vorzudringen.
Behutsam setzt der Werkzeugmacher Holger Schulz den Bohrer an, der sich langsam in den Boden schraubt. Gemeinsam mit seinem Team eines Unternehmens für Umwelttechnik in Müncheberg hat Schulz das Gerät entwickelt – nach den Wünschen und Vorstellungen der Bodenforscherinnen und Bodenforscher des ZALF. Durch einen ausgeklügelten Mechanismus senkt sich im Inneren des Bohrers ein Zylinder in den Boden, während die Erde um den äußeren Rand herum weggeschaufelt wird. Mit dem Ergebnis dieses Verfahrens ist die Bodenbiologin Monika Joschko äußerst zufrieden. Ihr geht es vor allem darum, ein intaktes Bodenprofil der oberen Bodenschichten zu erhalten. Am Ende hält sie einen zwölf mal zwölf Zentimeter großen Zylinder aus Plexiglas in der Hand, der genau dieses in seinem Inneren konserviert: Jedes Körnchen und Steinchen, jede Wurzel und jeder Regenwurmgang sind unverändert erhalten geblieben. Ein Spatenstich würde diese Strukturen zerstören.
„Bodengefüge“ nennen die Fachleute die räumliche Anordnung der festen Bodenpartikel, die sich unter der Oberfläche verbirgt. Sie verrät ihnen einiges über den Zustand und die Eigenschaften des Erdreichs, aber auch über seine Bewirtschaftung. „Nur 45 Prozent eines gesunden Bodens bestehen aus festen mineralischen Bestandteilen – aus Tonen, Mineralen, Sand und Lehm –, der Rest sind Wasser, Biomasse und luftgefüllte Poren in allen möglichen Größen“, erklärt der Bodenkundler Prof. Dr. Wilfried Hierold, der gemeinsam mit Monika Joschko am ZALF im Projekt „DIWELA“ forscht – gefördert von der Landwirtschaftlichen Rentenbank und dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Ziel des Projekts ist es, auf Grundlage des Bodengefüges ein Diagnosewerkzeug für Landwirtinnen und Landwirte zu entwickeln, um die Bodenfruchtbarkeit steigern zu können. Denn Fruchtbarkeit und Bodengefüge sind zwei Größen, die untrennbar miteinander verbunden sind.
Auf die Poren kommt es an
Nach einem ersten Blick auf die Bodenprobe erkennt Monika Joschko sofort: „Hier haben wir nur wenige große Makroporen, die Aktivität von Regenwürmern ist gering.“ Für die Forscherin ein erstes Indiz, dass der Boden vielleicht nicht optimal bewirtschaftet wird. Denn eine hohe Anzahl an Regenwürmern ist wichtig und erwünscht. Die Tiere durchlüften den Boden, bauen tote Pflanzenreste ab und geben Nährstoffe frei – sie garantieren, dass der Boden fruchtbar bleibt. Es gibt neben diesem sofort sichtbaren Merkmal aber noch zahlreiche weitere, oft weniger gut erkennbare Strukturen des Bodengefüges, die ebenfalls Aussagen über Fruchtbarkeit, Gesundheit und Speichervermögen von Wasser und Nährstoffen zulassen. Deshalb möchte Joschko noch einen viel detaillierteren Blick auf ihre Probe werfen und nutzt dafür ein Verfahren aus der Medizin. Mit ihren gut verpackten Zylindern macht sich die Wissenschaftlerin auf den Weg nach Berlin. Hier, am Leibniz-Institut für Zoo und Wildtierforschung (IZW), wird sie von Tierarzt Guido Fritsch bereits erwartet. In seinem Labor steht ein Computertomograf, mit dem er normalerweise die Tiere des angrenzenden Tierparks untersucht. „Dieses Gerät ist eigentlich für die Humanmedizin konstruiert“, erklärt Fritsch. „Es ist eines der besten, die es derzeit gibt.“ Der Untersuchungstisch des Geräts hält 320 Kilogramm aus – auf ihm lag auch schon der Eisbär Knut aus dem Zoologischen Garten in Berlin. Hin und wieder scannt Fritsch damit auch ganz besondere Objekte, etwa den versteinerten Urvogel Archäopteryx aus dem Berliner Naturkundemuseum oder Mumien aus der Steinzeit.
Dagegen mögen die Bodenproben aus dem märkischen Müncheberg auf den ersten Blick unscheinbar wirken. Doch auch sie geben viele Geheimnisse preis. Die Röntgendetektoren und die Software des CT-Geräts verwandeln die Proben nach wenigen Sekunden in ein hochaufgelöstes digitales Abbild. Die Forscherinnen und Forscher können so mithilfe von Hunderten Bildern den gesamten Längs- und Querschnitt der Probe bis auf den Mikrometerbereich analysieren. „Virtuelle Brotschneidemaschine“ nennt Fritsch das Hightech-Gerät liebevoll, weil es Schicht um Schicht das Innere von Körpern und Proben sichtbar macht.
Kleinere Steinchen, grober Sand, Wurzelgänge, Verdauungsreste von Regenwürmern, mikroskopisch kleine Aggregate – all das erscheint auf dem Monitor in verschiedenen Grautönen. Je dichter das Material, desto heller ist der Ton. Die luftgefüllten Poren sind fast schwarz.
Mit ihrer Methode machen die Forscherinnen und Forscher diese Mikrostrukturen sichtbar. Sie können mit den Bildern aus dem CT-Gerät gemessen und quantifiziert werden. Die so erhaltenen Daten liefern nicht nur wertvolle Informationen über den Status quo, sondern auch Hinweise dafür, wie ein angepasstes Bodenmanagement das Bodengefüge verbessern kann. Bereits zwei bis vier Proben genügen, um zu ermitteln, wie verdichtet der Ackerboden ist oder wie sich die Bodenbearbeitung auf das Gefüge auswirkt.
„Das Bodengefüge ist die zentrale Schnittstelle für alle wichtigen Bodenfunktionen“, betont Monika Joschko. „Und es ist der beste Indikator für Bodenfruchtbarkeit.“ Von seiner Struktur hängt ab, wie hoch der Kohlenstoffumsatz ist, wie gut die Samen keimen und ob es reichlich Bodenleben gibt. Dort, wo das Gefüge verdichtet ist, haben es Pflanzenwurzeln schwer, das Wasser wird schlechter gespeichert und Nährstoffe sind weniger gut verfügbar. Dann bleiben auch die Erträge niedrig. Ein einheitliches Bild eines gesunden oder kranken Bodens gibt es aber nicht. Je nachdem, ob die Erde sandig oder lehmig, ob das Klima feucht oder trocken ist, variiert auch die Struktur.
In einem „Gefügeatlas“ stellen die Forscherinnen und Forscher des ZALF nun unterschiedliche Gefügebilder zusammen und beschreiben diese. „Hier arbeiten wir die Ergebnisse praxisgerecht auf“, erklärt Isabell Szallies vom Unternehmen agrathaer, das eng mit dem Institut kooperiert und dafür sorgt, dass die Erkenntnisse aus der Forschung auch bei den Menschen ankommen, die die Felder bewirtschaften. Der Gefügeatlas als Handreichung ist ein erster wichtiger Schritt dafür. Er soll vermitteln, auf welche Indikatoren Landwirtinnen und Landwirte achten müssen. Neun Standorte wurden dafür im ersten Schritt analysiert.
Datenschatz statt Spatenstich
Landwirtinnen und Landwirte sollen künftig leichter abschätzen können, was ihrem Boden guttut. Bisher gilt die „Spatendiagnose“ als Methode der Wahl, bei der sich mit einem Stich und auf einen Blick grob erfassen lässt, in welcher Verfassung ein Acker ist. Weitaus mehr Informationen über den Boden kann das bildgebende Verfahren liefern. Auch mithilfe von künstlicher Intelligenz will das Team diesen Datenschatz heben und verfügbar machen.
Dr. Ralf Wieland ist der Herr über das dafür notwendige leistungsstarke Rechencluster am ZALF. Hier trainiert der Informatiker mit Tausenden Bildern aus der Computertomografie seine Systeme. Sie analysieren die Strukturen, erstellen Tabellen, verarbeiten alle Informationen digital. Am Ende sollen die Programme selbstständig erkennen und mathematisch definieren, was die jeweiligen Profile über den Zustand des Bodens verraten. Auf dieser Basis sollen Landwirtinnen und Landwirte Empfehlungen erhalten, wie sie ihren Boden optimal bewirtschaften.
„In Zukunft wollen wir Analysegeräte direkt an den landwirtschaftlichen Maschinen haben“, beschreibt Ralf Wieland seine Vision. Die Instrumente an Bord könnten dann alles in kurzer Zeit und ohne zusätzlichen Aufwand erledigen: Probenahme, Erstellen von Bildern, Auswertung, Diagnose und Empfehlungen für das Bodenmanagement – mit diesem Rundum-Paket sollen Landwirtinnen und Landwirte sofort wissen, was ihr Boden braucht. Sollte die Bodenbearbeitung verändert werden? Ist eine Zwischenfrucht mit Leguminosen wie Luzerne oder Klee sinnvoll, um die Bodenstruktur zu stabilisieren? Muss das Bodenleben durch Kompostgaben gefördert werden? Auf all diese Fragen könnten so schnelle und fundierte Antworten geliefert werden.
Noch ist das alles Zukunftsmusik, aber Monika Joschko ist zuversichtlich: „Die Digitalisierung schreitet voran, gerade in der Landwirtschaft.“ Eine automatisierte Bodenanalyse, die sofort hochdetailierte Ergebnisse liefert – in 20 Jahren sei das sicher Standard.
Weiterführende Informationen
Zum Projekt: DIWELA: Innovative Analyse von Bodengefügen und Bodenleben: Entwicklung eines Diagnosewerkzeugs für den Landwirt zur Steigerung der Bodenfruchtbarkeit. Gefördert von der Landwirtschaftlichen Rentenbank und dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Projektpartner: u. a. Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e. V., Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW), agrathaer und die UGT GmbH in Müncheberg.