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Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF)

Welchen Wert hat die Natur?  

Artenvielfalt Biodiversität Boden Bodenfruchtbarkeit Ökosystemleistungen
© Michele Bergami | Unsplash

Text: HEIKE KAMPE

Pflügen, säen, ernten – Landwirtschaft arbeitet in und mit der Natur. Das Zusammenspiel von Landwirtschaft und Umwelt besitzt aber auch eine ökonomische Seite, die lange vernachlässigt wurde. Im Fokus aktueller Forschungen stehen Ökosystemleistungen, die die ökologischen Grundlagen der Nahrungsmittelproduktion und unseres menschlichen Wohlbefindens bilden. Die Ergebnisse zeigen: Damit Agrarökosysteme leistungsfähig bleiben, müssen Politik und Landwirtschaft dringend handeln.

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Wenn die Ernte eingefahren wird, ist das die Belohnung für ein arbeitsreiches Jahr auf dem Acker. Das, was die Landwirtinnen und Landwirte an Arbeitskraft, Maschinen, Saatgut und Düngemittel investiert haben, muss sich nun mit dem Ertrag auszahlen. Dennoch ist die Rechnung nicht vollständig. Unberücksichtigt bleiben all die Leistungen, die die Natur kostenlos bereitstellt, damit Weizen, Rüben, Raps oder Heu wachsen können. Bodenlebewesen sorgen dafür, dass Nährstoffe recycelt und von den Pflanzen aufgenommen werden können. Insekten bestäuben Raps und Obstbäume und sichern damit die Ernte. Hecken halten den Wind von den Feldern fern und verhindern so, dass fruchtbarer Boden fortgeweht wird und die Erde austrocknet.

Unter dem Begriff »Ökosystemleistung« fassen Forschende all das zusammen, was die Natur an Grundlagen für das menschliche Wohlbefinden und Überleben liefert. Dazu gehören sauberes Trinkwasser und saubere Luft ebenso wie Raum für Erholung. »Ökosystemleistungen – das ist eigentlich ein Begriffsmonster«, sagt die Agrarwissenschaftlerin Prof. Dr. Bettina Matzdorf, Co- Programmbereichsleiterin am Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) und Professorin am Institut für Umweltplanung der Universität Hannover. Sie widmet sich seit mehr als 20 Jahren diesem Thema und weiß: Die wenigsten Menschen können sich darunter etwas vorstellen. Nicht nur, dass die Natur einen Eigenwert besitzt, sondern dass der Mensch von intakten Ökosystemen profitiert und auf sie angewiesen ist – diese Sichtweise ist für viele neu.

Inventur des Naturkapitals

Das Konzept der Ökosystemleistungen soll dabei helfen, neue Ansätze für den Naturschutz zu finden. Denn die ökonomische Bedeutung von Ökosystemen wird bisher systematisch unterschätzt. Ein »buchhalterischer Blick« auf die Natur könne dabei helfen, ihren Nutzen besser zu veranschaulichen und auch mit Zahlen zu unterlegen, sagt Bettina Matzdorf.

Einen solchen Blick hat die groß angelegte »Naturkapital-Studie Deutschland – TEEB DE«, an der Bettina Matzdorf und viele ZALF-Kolleginnen und -kollegen beteiligt waren, bereits 2018 in ihrem Abschlussbericht vorgelegt. Darin steht: In Deutschland betragen die volkswirtschaftlichen Kosten für das Artensterben oder den Verlust an Bodenfruchtbarkeit, die Belastung von Gewässern mit Pflanzenschutzmitteln oder überschüssigen Nährstoffen aus der Düngung jedes Jahr Milliarden. Stickstoffeinträge durch Düngemittel verursachen in Europa jährlich Kosten von 20 bis 150 Milliarden Euro. Allein die Schadenskosten, die durch Treibhausgasemissionen auf landwirtschaftlich genutzten Moorböden entstehen, übersteigen die landwirtschaftlichen Erträge bei Weitem. Den Wert der Produkte hingegen, die von der Bestäubungsleistung von Insekten abhängen, beziffert die Studie allein für Deutschland auf mehr als eine Milliarde Euro.

Bestäubung durch Insekten ist eine Ökosystemleistung, die eine entscheidende Rolle in der Landwirtschaft spielt. Laut einer Studie lässt sich der Wert der Produkte, die von Bestäubungsleistung abhängen, allein in Deutschland auf mehr als eine Milliarde Euro beziffern.
Bestäubung durch Insekten ist eine Ökosystemleistung, die eine entscheidende Rolle in der Landwirtschaft spielt. Laut einer Studie lässt sich der Wert der Produkte, die von Bestäubungsleistung abhängen, allein in Deutschland auf mehr als eine Milliarde Euro beziffern. © neelam279 | Pixabay

Anbaumuster werden sich wandeln

Mit diesem Wissen arbeitet auch die Geografin Claudia Bethwell, Mitarbeiterin der Arbeitsgruppe »Bereitstellung von Biodiversität in Agrarsystemen« am ZALF. Gerade die Landwirtschaft ist auf funktionierende Ökosysteme angewiesen und hat umgekehrt einen enormen Einfluss auf Boden, Wasser, Klima und Biodiversität. Wie der Boden bearbeitet wird, welche Kulturen angebaut werden oder welcher Abstand zwischen Feldern und Gewässern eingehalten wird – all das beeinflusst Stoffkreisläufe und Lebensräume.

Die Forscherin nutzt Anbauinformationen aus landwirtschaftlichen Betrieben in Modellregionen in Deutschland und Europa und zusätzliche Daten zu Bodentypen, Biotopen und Gewässern. Mithilfe von Indikatoren und Computermodellen kann Claudia Bethwell daraus den Status quo der Ökosystemleistungen und Biodiversität ableiten und auch auf Zukunftsszenarien anwenden. Im vom Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung geförderten Projekt »OptAKlim« sucht sie gemeinsam mit Projektpartnern Antworten auf die Frage, wie sich der Ertrag auf den Flächen ausgewählter Modellregionen in Deutschland in Abhängigkeit von der globalen Erwärmung und zunehmender Trockenheit künftig wandeln wird und wie sich die Landwirtschaft daran anpassen kann. Welche Kulturen können künftig noch gewinnbringend angebaut werden. Das Besondere am Projekt: Neben den ökonomischen Wirkungen stehen auch die ökologischen Aspekte im Mittelpunkt. Wie wirken sich die verschiedenen Anbaustrategien also nicht nur auf den Ertrag, sondern auch auf die einzelnen Ökosystemleistungen und Biodiversität aus?

Maßgeschneidert für die Region

Im Projekt sollen hieraus zum Beispiel konkrete Empfehlungen für Landwirtinnen und Landwirte entstehen. »Es gibt kein Patentrezept«, betont Claudia Bethwell. Ihre Modellregionen in Nord-, Ost-, und Süddeutschland unterscheiden sich in Bodenqualität und Klima. »Man muss für jede Region maßgeschneiderte Maßnahmen entwerfen und schauen, wie sie optimal zusammenwirken, um Ökosystemleistungen zu schützen und zu fördern«, sagt die Forscherin. In Workshops vor Ort kommen die Forschenden auch mit den Akteuren aus der Landwirtschaft ins Gespräch und ermitteln gemeinsam, welche Maßnahmen regional sinnvoll sind. Hierfür entwickeln Claudia Bethwells Projektpartner eine Software: Mit einigen Klicks können Landwirtinnen und Landwirte dann etwa ablesen, ob es sich lohnen könnte, das Wassermanagement zu verbessern, auf Soja statt Weizen zu setzen oder welche Strategie geeignet ist, ihre Treibhausgasemissionen zu senken und dabei gleichzeitig die Bodenfruchtbarkeit zu fördern. Die Webapplikation soll voraussichtlich ab Mitte 2022 kostenfrei für landwirtschaftliche Betriebe zur Verfügung stehen.

Die Ufer von Bächen und Kleingewässern sind Orte der Biodiversität: Hier leben Nützlinge, etwa Insekten, die Wildkräuter auf angrenzenden Feldern fressen. Die Landwirtschaft profitiert von solchen Landschaftsstrukturen, nimmt selbst aber Einfluss darauf.
Die Ufer von Bächen und Kleingewässern sind Orte der Biodiversität: Hier leben Nützlinge, etwa Insekten, die Wildkräuter auf angrenzenden Feldern fressen. Die Landwirtschaft profitiert von solchen Landschaftsstrukturen, nimmt selbst aber Einfluss darauf. © Yulian Alexeyev | Unsplash

Es geht nur gemeinsam

Dass es höchste Zeit ist, Ökosystemleistungen stärker zu berücksichtigen, steht für Bettina Matzdorf außer Frage. »Der Verlust an Ökosystemleistungen und auch an Biodiversität ist für mich genau so dramatisch wie der Klimawandel«, betont sie. 2015 hat sie das Innovationsnetzwerk »Ökosystemleistungen Deutschland« (ESP-DE) mitbegründet, um die Forschung und Debatten über dieses Thema voranzutreiben. Für die Forscherin ist klar: eine Lösung kann es nur gemeinsam mit den Landwirtinnen und Landwirten geben. Zusammen mit dem Deutschen Bauernverband und über zwanzig europäischen Partnern aus Forschung und Praxis untersucht sie in einem weiteren aktuellen EU-Projekt »contracts2.0«, wie Betriebe zukünftig besser dafür honoriert werden können, Ökosystemleistungen auf ihren Flächen zu schützen. »Neu an unserem Ansatz ist, dass Landwirtinnen und Landwirte nicht für bestimmte Maßnahmen, sondern für konkrete Ergebnisse bezahlt werden«, erläutert Bettina Matzdorf. Künftig könnte es also Geld geben, wenn sich zum Beispiel die Artenvielfalt in landwirtschaftlich genutzten Regionen verbessert.

Institution: Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF)
Ansprechpartner/in: Prof. Bettina Matzdorf und Claudia Bethwell

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