In Zusammenarbeit mit:
Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK)
Bohnen aus Italien
Text: CHRISTIAN SCHAFMEISTER
Eine möglichst gesunde Ernährung ist vielen Menschen immer wichtiger. Damit geraten automatisch auch Hülsenfrüchte wie Bohnen stärker in den Blickpunkt. Im EU-Projekt INCREASE setzen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dabei auf die Mithilfe möglichst vieler Menschen. Fast 3.500 Menschen aus ganz Europa beteiligen sich an einem Citizen-Science-Projekt zur Vielfalt von Hülsenfrüchten. Mit dabei sind auch Dr. Kerstin Neumann und Prof. Andreas Graner.
Für diejenigen, die lieber hören, statt lesen
DownloadPost aus Italien! Normalerweise ist es eine Ansichtskarte, die einem aus bekannten Städten wie Rom, Florenz oder Venedig in den Briefkasten flattert. Bei Andreas Graner ist das anders, er hat kürzlich Post aus Ancona erhalten. Und auch nicht eine gewöhnliche Postkarte, sondern sechs kleine Tüten mit Bohnen-Samen. Was auf den ersten Blick verwunderlich erscheinen mag, hat einen einfachen Hintergrund: Der Geschäftsführende Direktor des IPK Leibniz-Institutes ist einer von knapp 3.500 Teilnehmern eines europaweiten Citizen-Science-Projektes.
Im Zentrum des EU-Projekts „INCREASE“ stehen Leguminosen, also Hülsenfrüchte wie Bohnen, Kichererbsen, Linsen und Lupinen. „Ziel des Citizen-Science-Moduls im Projekt ist es, das Wissen über die Biodiversität von Bohnen zu vergrößern, aber gleichzeitig auch die Bürgerinnen und Bürger bei der Erfassung zentraler Merkmale wie Wachstum, Aussehen, Blütezeitpunkt und Geschmack einzubeziehen, um so am Ende eine möglichst große Datenbasis zu bekommen“, sagt Kerstin Neumann, Leiterin der Arbeitsgruppe automatisierte Pflanzenphänotypisierung und Leiterin eines Arbeitspaketes im Projekt.
Jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin erhält nach dem Zufallsprinzip sechs Bohnensorten aus insgesamt 1.000 genetischen Ressourcen, die für das Bürgerexperiment ausgewählt worden sind. Allein 900 Sorten hat das IPK beigesteuert. Die Samen können anschließend im Garten, auf dem Balkon oder im Hinterhof angezogen werden. Andreas Graner hat zusammen mit seiner Frau für das Experiment extra ein Hochbeet angelegt und macht gerne bei dem Projekt mit. „Das ist eine wichtige Aktion, um das Thema Biodiversität in der Bevölkerung noch präsenter zu machen. daher freue ich mich natürlich über die enorme Resonanz.“
Die Bedeutung der Bohnen ist schon heute groß und dürfte sogar weiter zunehmen. Die Garten- oder Ackerbohne ist die wichtigste Nahrungsleguminose weltweit für den direkten menschlichen Verzehr und auch die am meisten konsumierte in Europa.
Dabei ist die Nachfrage in den vergangenen Jahren gestiegen. In Europa werden mehr als 544.000 Hektar mit Bohnen bebaut. Die Gesamtproduktion von 1,9 Millionen Tonnen wird größtenteils als Körnerfrucht (Trockenbohnen) oder als Frischgemüse (grüne Bohnen) genutzt. Doch nicht nur das: aufgrund ihrer Fähigkeit zur Fixierung von Stickstoff mit Hilfe von Knöllchenbakterien haben Bohnen auch positive Auswirkungen auf den Boden und damit auf die Kulturpflanzen, die nach den Bohnen angebaut werden.
Außerdem nimmt die Aufnahme von pflanzlichem Eiweiß durch den Menschen in der EU zu. Deshalb gibt es auch eine steigende Nachfrage, die einhergeht mit einem wachsenden Interesse an möglichst gesunden und umweltfreundlichen Lebensmitteln. „Um auf all das reagieren zu können, müssen die genetischen Ressourcen im Bereich der Nahrungsleguminosen besser genutzt werden“, erklärt Kerstin Neumann. „Die Erhaltung und Charakterisierung dieser alten Sorten und ihre Nutzung in der Züchtung bilden einen Kern des EU-Projekts. Zentrale Ziele sind die Entwicklung einer nachhaltigeren Landwirtschaft und gesünderer Lebensmittel.“
In den Genbanken liegen viele alte Sorten, sogenannte pflanzengenetische Ressourcen. Allein am IPK in Gatersleben mehr als 8.000. Damit beherbergt das Institut die drittgrößte Bohnensammlung weltweit. Diese Ressourcen sind das „Backup“, wenn man verlorengegangene Vielfalt zurückholen möchte. „Das Problem: In den Genbanken werden die alten Sorten zwar erhalten und gehen so nicht ganz verloren. Aber sie fristen ein einsames Dasein in einem Einweckglas in der Kältekammer. So hat man letztlich nur wenige Informationen über diese alten Muster“, erklärt Kerstin Neumann.
Auch den meisten Menschen kommen neben den grünen Bohnen nur wenige weitere Typen in den Sinn: Kidneybohnen für Salat oder Chili Con Carne, weiße Bohnen für Suppen und vielleicht noch die schwarzen Bohnen, die meist in Lateinamerika mit Reis gegessen werden. „Es sind nur noch wenige Sorten, die dafür angebaut werden. Noch existiert eine deutlich größere Vielfalt, da Bohnen seit Jahrtausenden als Kulturpflanzen von Menschen genutzt werden. Viele alte Sorten sind jedoch aus dem Blick geraten. Auch das Wissen über sie geht immer weiter verloren. Das wollen wir im INCREASE-Projekt ändern“, erklärt IPK-Wissenschaftlerin Kerstin Neumann.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die bei INCREASE mitmachen, interessiert zunächst einmal alles: Wie ist die Blütenfarbe, wie sehen die Hülsen aus, wie die Bohnen? Sind sie groß oder klein, rund oder lang oder vielleicht kidneybohnenförmig? Blüht die Sorte früh oder spät? Wie viele Bohnen habe ich von dieser Sorte ernten können? Schmeckt sie im Salat, ist sie eine leckere Beilage oder für Suppen geeignet? „Jeder schreibt das auf, was er bemerkt und was ihm auffällt“, betont Kerstin Neumann. „Jedes Merkmal, das erhoben wird, ist besser als gar keines.“ Ziel ist es letztlich, die Daten, die von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern unter ganz unterschiedlichen Wachstumsbedingungen erhoben werden, statistisch zu verbinden und auszuwerten.
Die Registrierung für das Citizen-Science-Experiment und die Merkmalserfassung der Bohnen läuft modern über die kostenlose App INCREASE CSA, die auch in deutscher Sprache verfügbar ist. Wer dabei sein will und sich für den nächsten Zyklus registrieren will, braucht nur ein Smartphone, egal welches Modell. Da es sich beim Saatgut um Material aus der Genbank handelt, muss dann noch per App die Materialübertragungsvereinbarung, das „Standard Material transfer agreement“ (SMta) akzeptiert werden. Im Kern besagt dies, dass das Material nicht zu gewerblichen Zwecken genutzt wird, was im INCREASE-Projekt ganz klar der Fall ist.
Ausdrücklich gewünscht ist die Kontaktaufnahme untereinander. Über die App soll daher eine Bürgercommunity entstehen, in der sich alle über ihre Erfahrungen austauschen und auch Bilder ihrer Pflanzen hochladen können. „Und die alten Sorten, die sie von uns bekommen, können die Teilnehmerinnen und Teilnehmer natürlich weiter nutzen. Wir wollen ja, dass die alten Muster wieder angebaut werden und nicht nur im Weckglas in der Genbank stehen“, bekräftigt Kerstin Neumann.
Bleibt noch die Frage, welche Bohnen daheim auf den Tisch kommen. „Ich mag am liebsten die schwarzen Bohnen aus Lateinamerika, die dort meist mit Reis gegessen werden“, berichtet die IPK-Wissenschaftlerin. Andreas Graner und seine Frau nutzen die breite Vielfalt der Bohnen derweil für Salate und Suppen ebenso wie für Chili Con Carne.
Weiterführende Informationen
An dem INCREASE-Projekt, das fünf Jahre läuft und sich mittlerweile in der zweiten Runde befindet, sind 26 Partner aus 14 Ländern beteiligt. Im Zentrum stehen dabei Leguminosen, also Hülsenfrüchte wie Bohnen, Kichererbsen, Linsen und Lupinen. Ziel des Citizen-Science-Moduls im EU Projekt ist es, das Wissen über die Biodiversität von Bohnen zu vergrößern, aber gleichzeitig auch die Bürgerinnen und Bürger bei der Erfassung von Merkmalen wie Wachstum, Aussehen, Blütezeitpunkt und Geschmack einzubeziehen, um so eine möglichst große Datenbasis zu bekommen und die Öffentlichkeit wieder für die Vielfalt der alten Sorten zu begeistern und für das Thema der pflanzengenetischen Ressourcen zu sensibilisieren
In den Genbanken liegen ungenutzt viele alte Sorten, so lagern in der größten Genbank der EU28 am IPK in Gatersleben mehr als 8.000 alte Bohnenmuster, die drittgrößte weltweite Bohnensammlung. Dies sind die sogenannten pflanzengenetischen Ressourcen. Alle Sorten haben sogenannte Passportdaten, wo und wie genau und wann sie in die Genbank kamen und es gibt genetische Informationen. Mit diesen lassen sich Informationen über die Verwandtschaft der Sorten erheben. Zudem sollen die genetischen Unterschiede mit den erhobenen Merkmalen statistisch in Verbindung gesetzt werden, um zu sehen, wo im gesamten Genom Regionen sind, die etwa mit dem Blühdatum in Verbindung stehen.
Zur Webpräsenz des Projekts INCREASE: https://www.pulsesincrease.eu
Informatonen zum Experiment und zur App: https://www.pulsesincrease.eu/experiment
Informationen zur App: https://www.pulsesincrease.eu/experiment/app