In Zusammenarbeit mit:
Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK)
„Da brummt es richtig im Boden“
Text: CHRISTIAN SCHAFMEISTER
Wie kommen Nährstoffe in die Pflanze? Und wie kommunizieren Wurzeln mit ihrer Umgebung? Nicolaus von Wirén und Diana Heuermann haben die Antworten.
Für diejenigen, die lieber hören, statt lesen
DownloadWie viele gibt es eigentlich? Und wie viel davon sollte es jeweils sein? Während sich bei der menschlichen Ernährung alles um Kohlenhydrate, Eiweiße und Fette dreht, geht es bei Pflanzen vor allem um die Nährstoffe. Die Fragen nach Zahl und Dosierung kann Nicolaus von Wirén präzise beantworten. „Alles dreht sich um 14 mineralische Nährstoffe. Früher waren es 13, erst 1987 kam noch Nickel dazu“, sagt der Leiter der Abteilung Physiologie und Zellbiologie am IPK Leibniz-Institut. Unterteilt sind die Nährstoffe in zwei Gruppen. Zum einen gibt es Haupt- oder Makronährstoffe wie Stickstoff, Kalium und Phosphor. Und zum anderen Spuren- oder Mikronährstoffe wie Eisen, Mangan und Kupfer. Doch wie viel davon braucht eine Kulturpflanze im Laufe ihrer Entwicklung? Bei den Mikronährstoffen sind es meist nur wenige hundert Gramm pro Hektar, bei den Makronährstoffen ist es deutlich mehr. „Weizen beispielsweise braucht unter Hochertragsbedingungen bis zu 260 Kilogramm Stickstoff pro Hektar.“
Was aber fasziniert Wissenschaftler wie Nicolaus von Wirén an den Nährstoffen? „Bei dem Thema bewegen wir uns an der Schnittstelle von Biologie und Chemie, das macht die Sache spannend“, sagt der Leiter der Arbeitsgruppe Molekulare Pflanzenernährung. Er beschäftigt sich vor allem mit Stickstoff und Eisen. „Stickstoff ist allein von der eingesetzten Menge schon sehr bedeutend. Und bei Eisen wechseln ständig die Bindungsformen, was dann wiederum Einfluss auf die Löslichkeit und Verteilung von Eisen in Boden und Pflanze hat. Das macht die Thematik für mich so reizvoll.“ Kollegin Diana Heuermann, die seit April eine Perspektivgruppe in der von Nicolaus von Wirén geleiteten Abteilung „Physiologie und Zellbiologie“ leitet, fasziniert es, über die Nährstoffe den gesamten Prozess in den Blick nehmen zu können. „Nährstoffe sind die Grundstoffe des Lebens. Zusammen mit Wasser und dem aus der Luft aufgenommenen Kohlenstoffdioxid sind Pflanzen in der Lage, ganze Organismen zu entwickeln. Und diese wiederum ernähren eine Vielzahl weiterer Organismen, uns Menschen eingeschlossen.“
Eine der zentralen Fragen ist: Wie kommen Nährstoff und Pflanze überhaupt zusammen? „Vieles hängt dabei zunächst einmal von der persönlichen Situation der Pflanze ab“, erklärt Diana Heuermann. in welcher Entwicklungsphase ist sie? Und welche Nährstoffe benötigt sie gerade? Um an die Nährstoffe zu gelangen, wächst die Wurzel im Boden zu bestimmten Nährstoffen hin. In Wurzelnähe bewegen sich die Nährstoffe dann in Richtung Wurzel. Zwei Prozesse spielen dabei eine Rolle: Massenfluss und Diffusion. „Durch die Wasseraufnahme der Wurzeln entsteht eine Strömung im Boden hin zu den Wurzeln, mit der wieder neue Nährstoffe zur Wurzeloberfläche verfrachtet werden“, erklärt Diana Heuermann den Massenfluss. Bei der Diffusion profitiert die Pflanze von einem durch die Nährstoffaufnahme entstehenden Konzentrationsgefälle an der Wurzeloberfläche, durch das dann weitere leicht lösliche Nährstoffe aus der festen Bodenphase richtung Wurzel diffundieren.
Das Problem: Viele Nährstoffe liegen so vor, dass sie nicht von der Pflanze aufgenommen werden können. „Deshalb muss die Pflanze Prozesse auslösen, mit denen die Nährstoffe mobilisiert werden“, erklärt Nicolaus von Wirén. Eine bedeutende Rolle spielt dabei die Absenkung des pH-Wertes, weil so die Löslichkeit der Nährstoffe erhöht wird. Aber auch Wurzelabscheidungen sind ein geeignetes Mittel. „Die Nährstoffe werden so regelrecht umklammert und dadurch löslich.“ Für den Abteilungsleiter bleiben all das faszinierende Prozesse. „Da brummt es richtig im Boden. Die Pflanze ist wie ein biochemisches Kraftwerk, durch das die Eigenschaften im Boden beeinflusst und verändert werden.“
Um ihre Nährstoffversorgung zu verbessern, treten Pflanzen sogar aktiv in Kontakt mit dem Mikrobiom des Bodens. „Über Wurzelabscheidungen beginnt damit eine sehr lebhafte Kommunikation mit den Mikroorganismen, deren Wachstum wahlweise gehemmt oder gefördert wird“, erklärt Diana Heuermann. „Die Bedeutung dieses Prozesses ist enorm, wird aber von vielen immer noch unterschätzt und ist bisher nur ansatzweise verstanden.”
Ein Beispiel für die Wirkung solcher Wurzelabscheidungen auf die Zusammensetzung der Mikroflora im Wurzelraum zeigt eine frisch veröffentlichte Studie in der Fachzeitschrift „Nature Plants“, an der auch die Arbeitsgruppe beteiligt war. Flavonartige Verbindungen, die über die Wurzeln abgeschieden werden, fördern das Wachstum bestimmter Bodenbakterien, die ihrerseits die Seitenwurzelbildung in den Kulturpflanzen anregen und helfen, deren Nährstoffaufnahme zu verbessern (Yu et al., 2021). Aber wie läuft die Nährstoffaufnahme über die Wurzel eigentlich ab? Zunächst werden an der Wurzeloberfläche die physikalischen und chemischen Eigenschaften der Nährstoffe von spezifischen Transportproteinen abgefragt. „Die muss man sich wie einen Tunnel vorstellen, durch den die Nährstoffe hindurchmüssen und in dem sie abgetastet werden“, erklärt Nicolaus von Wirén. „Anschließend beginnt die Pflanze in der Zelle damit, den Nährstoff so umzuformen, dass sie ihn optimal für lebensnotwendige Prozesse einsetzen kann.“ Über die Wurzelzellen gelangen die Nährstoffe in die Leitgefäße und werden darin in den Sproß transportiert.
Blickt man bei dem Thema zurück, so kommt man an dem Namen Justus Liebig (1803-1873) nicht vorbei. Er gilt als Begründer der Agrikulturchemie. Der Chemiker und Universitätsprofessor erkannte, dass Pflanzen wichtige anorganische Nährstoffe in Form von Salzen aufnehmen, und begründete mit seiner Forschung die moderne Mineraldüngung. „Er hat letztlich das Bewusstsein für mineralische Nährstoffe geprägt und Klassen von Nährstoffen gebildet, auch wenn er noch nicht sämtliche Nährstoffe auseinanderhalten konnte“, erklärt Nicolaus von Wirén. Das Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte Haber-Bosch-Verfahren – benannt nach den deutschen Chemikern Fritz Haber und Carl Bosch – markierte später einen weiteren Wendepunkt. Nun war es möglich, auch synthetische Stickstoff-Düngemittel in großem Stil zu produzieren. „Daraus entwickelte sich später dann die Pflanzenernährung, die neben Pflanzenzüchtung und Pflanzenschutz als eine der drei Säulen der grünen Revolution gilt“, sagt Nicolaus von Wirén.
Die aktuelle Forschung stellt die Mechanismen in der Pflanze in den Vordergrund und beschäftigt sich heute mit dem „Nutrient sensing“. „Pflanzen müssen nicht nur ihren jeweiligen Bedarf an Nährstoffen ermitteln können, sondern auch aufspüren, wo im Boden sich Nährstoffe befinden.”
Geht es heute um Nährstoffe, steht die effiziente Nutzung im Zentrum des Interesses. Auf den Acker des Landwirtes heruntergebrochen, lautet die entscheidende Frage: Wie viele Nährstoffe kommen in die Pflanze? Und wie viele Nährstoffe gelangen in die Umwelt? „Die Herausforderung besteht heute darin, Mechanismen und Wege zu finden, über die Pflanzen trotz reduzierter Düngung unverändert hohe Erträge und Qualität erbringen können“, erklärt Nicolaus von Wirén.
Im CATCHY-Projekt greift Diana Heuermann genau diese Fragestellung auf. „Unser Ziel ist es dabei, Zwischenfrüchte als „Management-Tool“ für Nährstoffe zu nutzen, um die Verluste aus der Düngung minimieren zu können.“ Mit der Einbindung von Winterzwischenfrüchten in eine Langzeit-Rotation zwischen den beiden Hauptfrüchten Weizen und Mais soll der Nährstoffkreislauf optimiert werden. „Wir vergleichen dabei vier Zwischenfruchtarten, nämlich Senf, Phacelia, Rauhafer und Alexandrinerklee. Jede Art hat dabei andere Eigenschaften im Hinblick auf die Nährstoffaufnahme, Durchwurzelungstiefe und -intensität sowie Interaktion von Boden und Wurzel.“ Gesucht wird letztlich die Kombination, die bei den Hauptfrüchten den höchsten Ertrag und eine möglichst optimale Nährstoffaufnahme garantiert. „Wir müssen dabei unter anderem die Frage klären, wie viel Stickstoff die Zwischenfrucht vor der Auswaschung retten kann“, sagt Diana Heuermann. Die Ergebnisse zeigen, dass speziell unter ungünstigen Aufwuchsbedingungen die Mischung einen entscheidenden Vorteil in der Nährstofffestsetzung gegenüber den Reinsaaten zeigt.
Mit ihrer Forschung bearbeitet Diana Heuermann ein Thema, das auch auf politischer Ebene für mächtigen Streit sorgt. 2013 leitete die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein. Später verklagte die EU-Kommission Deutschland sogar, weil das Grundwasser seit mehr als 15 Jahren an zahlreichen Stellen mit zu viel Nitrat belastet war. Im Juni 2018 wurde Deutschland vom Europäischen Gerichtshof verurteilt. „Das Urteil sowie das damit verbundene Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland beruhen darauf, dass die bisherigen Maßnahmen der Düngeverordnung (als wesentlichem Bestandteil des Aktionsprogramms der EU-Nitratrichtlinie) nicht den Anforderungen der EU-Nitratrichtlinie entsprechen“, teilte das Bundesumweltministerium im August 2020 mit. Im Mai 2020 war eine neue Düngeverordnung in Kraft getreten. „All dies unterstreicht die Relevanz unserer Forschung, zumal Zwischenfrüchte ein gutes Mittel sind, um die Nitrat-Auswaschung zu reduzieren“, erklärt Diana Heuermann.
In einem neuen Projekt versucht Diana Heuermann zusammen mit einem europäischen Forschungsverbund herauszufinden, wie Zwischenfrüchte über die Beeinflussung der Mikroorganismen im Boden die Verfügbarkeit von Stickstoff für die Hauptfrucht verbessern können. Schon heute ist Diana Heuermann überzeugt, dass wir alle noch erheblich von Zwischenfrüchten profitieren werden und nennt einige positive Effekte: „Zwischenfrüchte helfen auch mit beim Wiederaufbau der Humusschicht, die auf unseren Äckern durch intensive landwirtschaftliche Nutzung stark zurückgegangen ist. Damit entstehen nicht nur neue Depots für Wasser und Nährstoffe, so kann auch die Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre reduziert werden.“
Um dem Ziel näher zu kommen, den Düngemitteleinsatz weiter reduzieren zu können, ist allerdings noch viel Arbeit und Forschung erforderlich, räumt Nicolaus von Wirén ein. „Dafür benötigen wir Lösungen, die den Erfordernissen der jeweiligen Hauptkulturart, aber auch des jeweiligen Standortes gerecht werden.“ Derzeit werde auch untersucht, wie Pflanzen sich mit Bakterien und Pilzen zusammenschließen können, um künftig gemeinsam Nährstoffquellen erschließen zu können. „Das Thema ist gerade ein richtiger Hype.“
Weiterführende Informationen
Die Forschung in der Abteilung Physiologie und Zellbiologie am IPK Leibniz-Institut konzentriert sich auf Transport-, metabolische und Entwicklungsprozesse in Pflanzen und Hefen, die deren Stresstoleranz, Ressourceneffizienz oder Anpassung an landwirtschaftliche oder biotechnologische Produktionssysteme verbessern. Diese Forschungsziele werden durch die Etablierung und ständige Weiterentwicklung analytischer und technischer Plattformen sowie dem Aufbau der erforderlichen Kenntnissen in der Physiologie, Biochemie und Biotechnologie erreicht. Diese Plattformen fördern nicht nur interdisziplinäre Forschungsansätze innerhalb der Abteilung sondern ergänzen auch Forschungsvorhaben in anderen Abteilungen.
Mehr zum CATCHY-Projekt: https://www.bonares.de/catchy-de
Original-Publikationen zu dem Thema (Englisch):
- Yu et al., (2021): Plant flavones enrich rhizosphere Oxalobacteraceae to improve maize performance under nitrogen deprivation. Nature Plants volume 7, pages 481–499 (2021), DOI 10.1038/s41477-021-00897-y:
https://www.nature.com/articles/s41477-021-00897-y - Markus Meier, Ying Liu, Katerina S. Lay-Pruitt, Hideki Takahashi & Nicolaus von Wirén (2020): Auxin-mediated root branching is determined by the form of available nitrogen. Nature Plants volume 6, pages 1136–1145 (2020), DOI 10.1038/s41477-020-00756-2:
https://www.nature.com/articles/s41477-020-00756-2 - Rajniak, J., Giehl, R.F.H., Chang, E. et al. (2018): Biosynthesis of redox-active metabolites in response to iron deficiency in plants. Nat Chem Biol 14, 442–450 (2018). DOI 10.1038/s41589-018-0019-2:
https://www.nature.com/articles/s41477-020-00756-2
Weitere Veröffentlichungen zu dem Thema (Deutsch):
- Forschungsprojekt belegt Vorteile für Zwischenfruchtmischungen – Artenreichtum bringt Vorsprung:
https://www.praxis-agrar.de/pflanze/ackerbau/forschungsprojekt-belegt-vorteile-fuer-zwischenfruchtmischungen - ‘CATCHY’: Zwischenfrüchte keine H2O-Konkurrenz:
https://www.pfluglos.de/nachrichten/catchy-projekt-zwischenfruechte-stellen-keine-wasserkonkurrenz-dar - Ackerbau: Die Kraft der Zwischenfrüchte:
https://biooekonomie.de/foerderung/foerderbeispiele/ackerbau-die-kraft-der-zwischenfruechte