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Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF)

Das Dilemma des Klimawandels – Interview mit Prof. Claas Nendel  

Agrarpolitik Bodenfruchtbarkeit Ernährung Klimawandel Landwirtschaft Nachhaltigkeit
Eine Landschaftsaufnahme zeigt ein Getreidefeld mit tiefstehender Sonne am Himmel.
© Federico Respini | Unsplash

Interview: SVEN HEITKAMP

Im Gespräch mit Ökotest erläutert Prof. Claas Nendel, vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF), wie in Zeiten des Klimawandels eine zukunftsfähigere Landwirtschaft möglich wird. Auf dem Weg dahin sieht er nicht nur Landwirtschaftsbetriebe, sondern die gesamte Gesellschaft in der Pflicht.

Für diejenigen, die lieber hören, statt lesen

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Ein Portraitfoto von Prof. Claas Nendel. Er ist Co-Leitung der Forschungsplattform „Datenanalyse & Simulation“ am ZALF und hält eine Professur für Landschaftssystemanalyse an der Universität Potsdam. © Katharina Richter / ZALF
Prof. Claas Nendel ist Co-Leiter der Forschungsplattform „Datenanalyse & Simulation“ am ZALF und hält eine Professur für Landschaftssystemanalyse an der Universität Potsdam. © Katharina Richter | ZALF

Die Landwirtschaft ist Leidtragende und Mitverantwortliche der Klimakrise zugleich. Am ZALF simulieren Sie Auswege aus dem Dilemma. Wie das?

Wir beschäftigen uns vor allem mit den Effekten des Klimawandels auf das Pflanzenwachstum und die Prozesse zwischen Boden und Pflanze. Das sind komplexe Systeme, die unser Gehirn kaum erfassen kann. In Simulationsmodellen kann man sie in die einzelnen Prozesse zerlegen, verschiedene Stellschrauben ändern und sich Szenarien und neue Lösungen für die Landwirtschaft überlegen. Wenn wir sie für vielversprechend halten, bitten wir Landwirtschaftsbetriebe, unsere Modellergebnisse zu beurteilen. Und die Bereitschaft, uns zu unterstützen, ist angesichts der spürbaren Veränderungen groß.

Wie stark ist die Landwirtschaft bereits von der Klimakrise betroffen?

Das aktuelle Jahr steht dafür exemplarisch. Nach Meldungen des Bauernverbandes war es wieder ein besonders schwieriges. Wir hatten vor allem im Süden und Südwesten ein sehr nasses Frühjahr, gefolgt von einem sehr trockenen Mai und Juni, wenn die Ackerkulturen das meiste Wasser brauchen. Die Kulturen, die im April und Mai eingesät werden, leiden besonders darunter, wenn in dieser Zeit kein Regen fällt, weil die Wurzeln noch nicht tief im Boden stecken. Danach war der Juli in vielen Regionen wieder extrem nass, sodass die Landwirtschaftsbetriebe wunderbare Erträge, die auf den Feldern standen, erst mal nicht ernten konnten.

War 2023 ein besonders drastisches Jahr – oder ist das ein genereller Trend?

An Meldungen dieser Art gewöhnen wir uns langsam. Die starken Niederschläge kommen häufiger und intensiver, die Dürreperioden werden länger und heftiger. Auch wenn die Gründe jedes Jahr ein bisschen andere sind und die regionalen Unterschiede zunehmen, lassen sich alle Wetterextreme auf den Klimawandel zurückführen. Und damit sind fast immer Ertragsverluste verbunden.

Gibt es nicht auch positive Effekte durch steigende Temperaturen und höhere CO2-Konzentrationen in der Luft?

Eigentlich wären die Voraussetzungen für Rekorderträge bei den Temperaturen, in denen wir uns jetzt bewegen, wunderbar. Wir erleben längere Perioden, in denen Pflanzen wachsen können und steigende CO2-Gehalte, die für die meisten Pflanzen einen Düngeeffekt bedeuten. Aber die Extremwetterereignisse und die große Variabilität des Wetters führen in der Summe zu negativen Effekten.

Prof. Claas Nendel (rechts) erforscht am ZALF unter anderem die Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft
Prof. Claas Nendel (rechts) erforscht am ZALF unter anderem die Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft © ZALF

Wie stellen sich die Landwirtschaftsbetriebe darauf ein?

Viele stellen sich schon um. Sie setzen sich stärker mit der Bodenbearbeitung auseinander, um Wasser möglichst effizient zu nutzen. Dabei sehen wir aber auch zunehmende Debatten um die knapper werdenden Wasserressourcen. Parallel sucht die Züchtung nach hitze- und trockenresistenten Sorten, um ein breiteres Portfolio an pflanzlichen Eigenschaften, die dem Klimawandel trotzen, anbieten zu können. Zum Beispiel wird an Wurzelsystemen beim Mais gearbeitet, die schneller in tiefere Bodenschichten vordringen. Sie sollen nicht erst zur Seite wachsen, sondern gleich nach unten. Aber Züchtung dauert.

Was raten Sie den Betrieben?

Wir empfehlen, sich nicht auf ein einziges Standbein und wenige Ackerkulturen zu stützen. Wichtig ist, die Vielfalt der Pflanzen und der Fruchtfolge nachhaltig zu erweitern und die Bodenfruchtbarkeit auf einem hohen Niveau zu halten. Das kann bedeuten, auf Agroforst zu setzen und mit Bäumen und Gehölzen am Feldrand für mehr Beschattung auf den Äckern zu sorgen. Oder zwei oder gar drei Kulturen im Mischanbau gleichzeitig aufs Feld zu bringen. Auch Leguminosen wie Erbsen, Bohnen und Lupinen sind eine sinnvolle Ergänzung, sie bringen mehr Stickstoff in den Boden. Die Landwirtinnen und Landwirte müssen entscheiden, was regional für sie passt. In der Region Brandenburg haben wir viele Betriebe, die diese Optionen bereits ziehen.

Welche Chancen bieten alternative Feldfrüchte aus wärmeren Erdregionen?

Tatsächlich machen immer mehr Betriebe erste Gehversuche mit Kichererbsen, Hirse, Linsen, Soja und anderen Feldfrüchten. Bei unseren jetzigen Klimabedingungen wie im mediterranen Raum sollte man ohnehin mehr nach Italien, Spanien und Griechenland schauen, oder sogar nach Marokko. Die Landwirtinnen und Landwirte sind dafür auch sehr aufgeschlossen und erfindungsreich. Allerdings müssen die Absatzmärkte für hiesige Produzenten noch wachsen, damit die Landwirtschaftsbetriebe ihre Produkte auch verkaufen können. Und wir dürfen unsere Haupternährungsträger wie Getreide nicht aus den Augen verlieren. Dabei könnte Hartweizen aus Italien, der sehr wenig Niederschlag braucht, eine Option sein.

Die Landwirtschaft ist aber auch ein bedeutender Verursacher der Klimakrise…

Tatsächlich hat die Lebensmittelproduktion einen erheblichen Anteil an den Klimagasemissionen. Beim Lachgas ist die Landwirtschaft der primäre Emittent. Dahinter liegt ein kaum zu lösender Zielkonflikt. Stickstoff muss zugedüngt werden, um ein gewünschtes Ertragsniveau zu erreichen. Doch wo Stickstoff als Hauptnährstoff für Ackerkulturen umgesetzt wird, entsteht Lachgas. Das ist ein natürlicher Prozess, den man nicht unterbinden kann. Um Emissionen zu reduzieren, müssten wir Stickstoff im Boden reduzieren. Doch das würde sich eins zu eins in den Erträgen niederschlagen – was die globale Ernährungssicherheit kompromittiert.

Aber wird nicht immer noch zu viel gedüngt?

Das System ist mittlerweile gut ausbalanciert. Aber die Betriebe klagen darüber, dass sie wegen der Einschränkungen der Stickstoffdüngung die Höchsterträge nicht mehr erreichen. Dennoch hat ihnen die EU im Green Deal eine weitere Reduktion der Stickstoffdüngung auferlegt. Damit würden den Pflanzen in einer guten Saison Nährstoffe fehlen. Die Folgen wären Ertragsverluste von zehn bis 20 Prozent. Diese Einbußen zum Wohle der Klimagas-Reduktion müssten von der Gesellschaft akzeptiert werden. Auch der Gemüseanbau erlaubt eigentlich keine weitere Stickstoffreduktion mehr – es sei denn die Verbraucherinnen und Verbraucher würden akzeptieren, Blattgemüse zu kaufen, das eben nicht dunkelgrün im Supermarkt liegt, sondern hellgrüne Blätter hat und trotzdem essbar ist.

Wie groß sind die Einsparpotenziale in der Massentierhaltung?

Da werden in der Tat die größten Potenziale gesehen. Der ökonomische Anreiz, im großen Stil Tierproduktion zu betreiben, ließe sich ändern, indem weniger und höherwertiges Fleisch nachgefragt wird. Das ist ein Weg, um Klimagase zu reduzieren. Der Verbrauch von Fleisch geht ja tatsächlich zurück oder verschiebt sich zum Beispiel vom Rind zum Geflügel. Allerdings erhält dadurch die Massentierhaltung beim Geflügel Aufwind. Das heißt, die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen ständig aufgeklärt werden und Alternativen finden, die sie sich leisten können und die sie kulturell nicht schockieren. Die Frage, wie viel Tierhaltung und Tierproduktion wir uns leisten dürfen, wird uns wohl noch lange beschäftigen. Ganz wegdenken aus der Landwirtschaft sollte man die Tierhaltung ohnehin nicht. Sie spielt eine wichtige Rolle in den Nährstoffkreisläufen. Und wir haben große Flächen, die sich für die Pflanzenproduktion gar nicht nutzen lassen, etwa auf steilen Flächen der Mittelgebirge oder auf den stark vom Grundwasser beeinflussten Standorten, die mit schweren Maschinen kaum befahrbar sind. Dort kann man kaum etwas anderes als Gras produzieren und Tiere weiden lassen.

Heißt das unterm Strich, die Landwirtschaft kann nicht mehr viel für den Klimaschutz tun?

Die Landwirtschaft kann zwar ihre Emissionen weiter reduzieren, aber das geht einher mit einer Reduktion der landwirtschaftlichen Produktion. An dieser Stelle müssen wir uns als Gesellschaft fragen, was für uns eine höhere Priorität hat: Nahrungsmittel hoher Qualität oder Klimaschutz? Was die Landwirtschaft jetzt tun kann, ist die Nahrungsmittelproduktion so effektiv wie möglich gestalten. Wenn wir eine effiziente, gut funktionierende Landwirtschaft haben, gehen Klimaanpassung und Klimaschutz Hand in Hand.

Laut Bundeslandwirtschaftsministerium sind die Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft zwischen 1990 und 2021 um 22 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente gesunken. Würden Sie sagen: Mehr ist nicht drin?

In der Tat ist schon einiges passiert, aber das ist eine extrem schwierige Berechnung, die wissenschaftlich heiß diskutiert wird. Das größte Potenzial für weitere Einsparungen liegt sicher in den Mooren. Ein verstärkter Schutz der Moore und eine Wiedervernässung sind sehr effektive Hebel, um relativ schnell wieder Kohlenstoff in den Boden zu bringen und zu halten.

Welche Chancen bietet das gehypte Carbon Farming, mit dem Kohlenstoff in Böden gespeichert werden soll?

Ich sehe das kritisch, weil dieser Kohlenstoff in den seltensten Fällen dauerhaft im Boden gespeichert werden kann. Sobald sich eine Anbaumethode auf dem Feld ändert, könnte er wieder freigesetzt werden. Die mittel- und langfristigen Potenziale sind daher sehr gering. Gut mit Humus versorgte Böden sind jedoch ein wichtiger Baustein für ein gesundes Bodenleben und eine Speicherung von Regenwasser für Trockenzeiten.

Wie hilfreich wäre der Umstieg auf mehr Öko-Landbau? Naturschützer sagen, damit werden bis zu 50 Prozent weniger Treibhausgasemissionen emittiert.

Diese Zahlen glaube ich nicht. Ich kenne auch Studien, die sagen, der Öko-Landbau emittiert mehr Klimagase. Tatsächlich sind die Möglichkeiten einer maßgeschneiderten Düngung mit Mineraldünger im Getreideanbau sehr viel besser als mit organischem Dünger. Erhöhte Konzentrationen von Stickstoff im Boden führen zu Lachgas-Emissionen und auch zur Nitrat-Auswaschung. Dies gilt für den organischen Landbau genauso wie für den konventionellen. Daher unterschreibe ich nicht, dass der Öko-Landbau besser geeignet wäre für den Klimaschutz. Er hat natürlich andere Vorteile: Die Variationsbreite ist größer, wir haben mehr Biodiversität und weniger chemische Pflanzenschutzmittel. Es gibt gute Gründe für mehr Bio-Landbau, aber der Klimawandel ist es nicht.

Spielen der Zuwachs an Biogasanlagen und die Pflanzenproduktion für alternative Kraftstoffe eine Rolle für die Klimabilanz?

Die Studien darüber füllen mehrere Regalmeter. Aber sie führen zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen, je nachdem, wo die Systemgrenze gezogen wird. Der Konflikt zwischen Energie- und Nahrungsmittelproduktion – den wir auch beim Biodiesel aus Rapsanbau erleben – ist viel älter und zieht sich durch die Geschichte der Landwirtschaft: Als die Bauern noch Pferde für die Arbeit auf dem Feld eingesetzt haben, haben sie auf einem Drittel ihrer Flächen Hafer für diese Pferde angebaut. Inzwischen dreht sich die gleiche Debatte um die Agrar-Photovoltaik, wo wir Flächen suchen, um Solarstrom zu produzieren. Es wird nach Lösungen gesucht, mit denen man Strom und Nahrungsmittel gleichzeitig auf einer Fläche produzieren kann. Am Ende des Tages gibt den Ausschlag: Fehlt es gerade an Nahrung oder fehlt es an Energie?

Und der Anbau von Biodiesel und Biogas ist im Hinblick auf die Klimakrise eher ein Nullsummenspiel?

Die Bedeutung für den Klimaschutz ist zu vernachlässigen. Die Effekte bei Biogas und Biodiesel, die wir produzieren, um Erdöl oder Erdgas zu ersetzen, sind sehr gering. Wenn man jedoch die fossile Energie vollständig durch erneuerbare Energien ersetzen will, haben auch Biogas und Biodiesel ihren berechtigten Anteil.

Last, but not least: Was können wir von Verbraucherseite dazu beitragen, dass die Landwirtschaft weniger Emissionen ausstößt?

Es wäre jetzt leicht zu sagen: Esst weniger Fleisch, kauft mehr hochwertige Produkte! Dann fragt sich nur, wer sich das leisten kann, gerade in Zeiten der starken Inflation. Und die Gesellschaft wird ja noch mit anderen Themen herausgefordert: Plastik und Mikroplastik reduzieren, Emissionen im Verkehr reduzieren, sauberes Wasser beziehen und vieles mehr. Auch hier gilt: Wenn wir hochwertige Produkte essen und eine gesunde Landwirtschaft haben wollen, müssen wir uns darüber verständigen, wer das bezahlen soll.

Institution: Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF)
Ansprechpartner/in: Prof. Claas Nendel

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