In Zusammenarbeit mit:

Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)

Das IGB-Seelabor für experimentelle Gewässerforschung  

Gewässer Klimafolgen
Luftaufnahme des Seelabors während eines Versuchs mit Huminstoffen.
Luftaufnahme des Seelabors während eines Versuchs mit Huminstoffen. © Andreas Jechnow

Text: NADJA NEUMANN

Seit 2013 führt das IGB an seinem Seelabor im Stechlinsee Großexperimente zu den Folgen des Klimawandels und anderer anthropogener Umweltveränderungen auf Seeökosysteme durch. Zu welchen Projekten, wissenschaftlichen Erkenntnissen und neuen Perspektiven das geführt hat, stellen wir hier in einer Zwischenbilanz vor. Herausgekommen ist eine Zeitreise anlässlich des ersten runden Jubiläums nach zehn Jahren.

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Die ersten Experimente: Auswirkungen extremer Sturmereignisse auf Seen

Im Rahmen des von der Leibniz-Gemeinschaft geförderten Projekts Klimagetriebene Veränderungen der Biodiversität von Mikrobiota (TemBi) wurde im Sommer 2013 das erste Experiment im Seelabor durchgeführt. Die grundlegende Frage lautete, wie thermisch geschichtete Klarwasserseen auf eine Absenkung der Sprungschicht durch Sturmereignisse reagieren. Dazu wurde die Sprungschicht in 3 Versuchszylindern um 2 Meter gesenkt. Drei weitere Versuchszylinder dienten als Kontrolle. Aufbauend auf den ersten Erfahrungen und gestärkt durch Expertise von Stella Berger und Jens Nejstgaard, die dank eines Infrastrukturprojekts der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) die Koordination und weitere Entwicklung des Seelabors übernehmen konnten, war es im Folgejahr möglich, die Auswirkungen eines Extremwetterereignisses mit einer tiefen Durchmischung der geschichteten Versuchszylinder von 7 auf 14 Metern zu untersuchen.

Hans-Peter Grossart, einer der beiden TemBi-Projektleiter, erläutert dazu: „Wir konnten in diesem Experiment zeigen, dass die Einmischung von Tiefenwasser infolge starker sommerlicher Sturmereignisse Massenentwicklungen potentiell toxischer Cyanobakterien in der Oberflächenschicht auslösen können.“ „Dies führt zu einem erhöhten mikrobiellen Stoffumsatz und Nährstoff-Recycling im Oberflächenwasser“, ergänzt sein damaliger Doktorand Thomas Hornick. Die in Zukunft häufiger zu erwartenden Extremereignisse – wie Sommerstürme – können folglich weitreichende Auswirkungen auf geschichtete Seen haben. Das gilt besonders für nährstoffarme Klarwasserseen, die durch den Menschen bisher wenig beeinflusst waren

Die Folgen von Stoffeinträgen in Seen durch Starkregen

Einer ähnlichen Frage ging das von der EU-Kommission geförderte Projekt Managing Aquatic ecosystems and water Resources under multiple Stress (MARS)  im Sommer 2015 nach. Diesmal standen aber nicht die Auswirkungen von Änderungen der Seenphysik im Vordergrund, sondern die Folgen von Stoffeinträgen aus dem Einzugsgebiet infolge starker Niederschläge, die Sturmereignisse häufig begleiten. Dabei zeigte sich, dass die Braunfärbung des Wassers durch niederschlagsbedingte Huminstoffeinträge dem wachstumsfördernden Effekt der gleichzeitig eingetragenen Nährstoffe auf das Phytoplankton stark entgegenwirkte. Nur in Versuchszylindern ohne Huminstoffeintrag, in denen ausreichend Licht verfügbar war, stimulierten Nährstoffeinträge die Algenproduktion.

Besonders sensitiv reagierten Cyanobakterien, die durch Huminstoffe fast vollständig unterdrückt wurden. „Nehmen im Zuge des Klimawandels extreme Niederschlagereignisse in ihrer Häufigkeit und Intensität weiter zu, sind also nicht nur wesentliche Änderungen der Kohlenstoff- und Nährstoffflüsse in Seen zu erwarten,“ schließt Mark Gessner, der das Projekt gemeinsam mit Anne Lyche Solheim vom norwegischen Wasserforschungsinstitut in Oslo koordiniert hat. „Tendenziell werden auch potenziell toxische Cyanobakterien verdrängt – trotz der günstigen Nährstoffverhältnisse.“

Das Seelabor als internationaler Knotenpunkt der Gewässerforschung

Im Rahmen eines EU-Infrastruktur-Projekts schlossen sich im Jahr 2017 über 20 Forschungseinrichtungen und Universitäten sowie drei Unternehmen aus zwölf europäischen Ländern zusammen. Dieses Netzwerk führender europäischer AQUAtischer MesoCOSMos-Anlagen von der Arktis bis zum Mittelmeer (AQUACOSM) wurde ebenso wie das Folgeprojekt AQUACOSM-plus vom IGB initiiert und von Jens Nejstgaard koordiniert.„Wir etablieren in diesen Projekten die systematische Zusammenarbeit und Harmonisierung der Arbeitsmethoden in experimentellen Versuchsplattformen, die in Binnen- und Küstengewässern sowie im offenen Meer installiert sind,“ erläutert er. Als eine der größten Infrastrukturen in diesem europäischen Netzwerk hat sich das Seelabor als Anziehungspunkt für Forschende aus aller Welt entwickelt. An einzelnen Großversuchen haben bis zu 70 Personen teilgenommen.

International etablierte Forschungsgruppen wurden dabei ebenso wie Trainees durch das Transnational Access (TA) Programm von AQUACOSM und AQUACOSM-plus unterstützt. „Dieses Programm gewährt Forschenden insgesamt über 20.000 Tage Zugang zu experimentellen Anlagen, einschließlich des Seelabors, und bietet logistische, technische und wissenschaftliche Unterstützung, sowie die Vergütung von Reise- und Unterbringungskosten während der Dauer eines Experiments“, erklärt Stella Berger, Koordinatorin des TA-Programms.

© Martina Bauchrowitz

Wie reagieren urbane Seeökosysteme auf Lichtverschmutzung?

Anthropogene Belastungen von Seen gehen weit über den Klimawandel hinaus. Eine von ihnen ist die rapide zunehmende Lichtverschmutzung nicht nur urbaner Gewässer. Im Gegensatz dazu ist das Seelabor im Stechlinsee einer der dunkelsten Orte Deutschlands mit einem weitgehend natürlichen Nachthimmel. Das sind beste Voraussetzungen, um die Auswirkungen der global rasch zunehmenden Lichtverschmutzung auf Seeökosysteme zu erforschen.

Mithilfe eines eigens entwickelten Beleuchtungssystems wurde in dem von der Leibniz-Gemeinschaft geförderten Projekt Illuminating Lake EcoSystems (ILES) im Sommer 2016 und 2018 in den Versuchszylindern des Seelabors eine schwache, diffuse Lichtverschmutzung, die auch als Himmelsleuchten bekannt ist, simuliert. Die Kontrollzylinder wurden nur von natürlichem Mond- und Sternenlicht erhellt. Himmelsleuchten entsteht, wenn nächtliches Kunstlicht in Ballungsgebieten an Luftpartikeln gestreut wird und ein Teil auf die Erdoberfläche zurückstrahlt. Über Städten ist die dadurch entstehende Lichtglocke noch in weiter Entfernung sichtbar. Im Fokus der beiden Großversuche stand die Reaktion des aquatischen Nahrungsnetzes und der Stoffumsätze auf diese Lichtverschmutzung.

Ein besonderer Reiz bei der Durchführung des Experiments waren die Bootsfahrten und Probennahmen auf dem Seelabor vor dem Sonnenaufgang – bei schönem Wetter unter einem beeindruckenden Sternenhimmel. „Trotz der äußerst geringen Strahlungsintensität waren auf allen Ebenen des Nahrungsnetzes – von den Bakterien, Algen und Wasserpflanzen über das kleine Zooplankton bis hin zu den Fischen subtile Veränderungen erkennbar“, erläutert Franz Hölker, der das Projekt gemeinsam mit Mark Gessner koordiniert hat.

Teststandort für Datenerhebungen per Fernerkundung

Der Blick von oben verändert unsere Perspektive – auch auf Gewässer. Mit der rasch fortschreitenden technischen Entwicklung werden deshalb Fernerkundungsmethoden auch für die Gewässerforschung immer interessanter. Die aus der Vogelperspektive bestimmte Farbe des Wassers lässt zum Beispiel Rückschlüsse darauf zu, wie stark Seen mit Nährstoffen belastet sind und wie schnell sich Algenblüten in durch Flüsse miteinander verbundenen Seen ausbreiten.

Im Rahmen des von der Leibniz-Gemeinschaft finanzierten Projekts CONNECT, koordiniert von Stella Berger und Sabine Wollrab, wurde 2019 ein Seelaborexperiment zum Einfluss der Wasseraufenthaltszeit in miteinander verbundenen Seen auf die Ausbreitung von Nährstoffpulsen und Algenblüten in Seenketten durchgeführt. Dabei wurden Methoden der Fernerkundung mit Sonden- und Labormessungen kombiniert. Das ermöglichte die Evaluierung der Fernerkundungsdaten als wichtige Grundlage für ihren möglichen künftigen Einsatz im Seenmonitoring. Die Messungen während des Versuchs zeigten, dass die experimentell variierte Wasseraufenthaltszeit in den Versuchszylindern tatsächlich wichtig für die durch einen Nährstoffpuls ausgelöste Entwicklung und Ausbreitung von Algenbiomasse in andere Seen ist.

„Mit diesen Ergebnissen können wir genauere Aussagen über die Reichweite der Auswirkungen pulsartiger Nährstoffeinträge in durch Flüsse miteinander verbundenen Seen treffen,“ erläutert Stella Berger. „Auch unsere theoretischen Modelle zur Fortpflanzung von Nährstoffpulsen und Algenblüten in Seenketten stützen die Daten,“ ergänzt Sabine Wollrab. Dies bildet eine gute Grundlage für die Vorhersage künftiger Entwicklungen von Seeökosystemen im Zuge des Klimawandels.

© 3edata, Carmen Cillero

Ein international koordiniertes Experiment zu den Folgen wetterbedingter Stoffeinträge in Gewässer

Extrem heiße Sommer, extrem hohe Niederschläge und extrem heftige Stürme prägen immer häufiger die Wettersituation in Deutschland, Europa und weltweit. Wie variabel sind die Folgen solcher Ereignisse für Gewässer und ihre Biodiversität abhängig von den Bedingungen im Einzugsgebiet, der Beschaffenheit der Gewässer, dem Klima, der Jahreszeit und vielen weiteren Faktoren? Um diese Frage zu beantworten, wurden im Rahmen des AQUACOSM-Projekts europaweit koordinierte „Joint Mesocosm Experiments“ (JOMEX) durchgeführt, um die Auswirkungen des Eintrags von Humin- und Nährstoffen in unterschiedliche aquatische Ökosysteme vom Mittelmeer bis zur Arktis vergleichend zu untersuchen. Auch das Seelabor beteiligte sich im Sommer 2021.

„Ich freue mich außerordentlich, dass es gelungen ist, diese koordinierten Experimente über mehrere Jahre hinweg an vielen AQUACOSM-Standorten in ganz Europa durchzuführen. Das hat zu einem einzigartigen Datensatz geführt, der zeigt, dass die Auswirkungen des Eintrags von Huminstoffen und Nährstoffen in hohem Maße von der Art des untersuchten Ökosystems abhängen. Dies bestätigt auch, dass es wichtig ist, die Auswirkungen in einem breiten Spektrum von Ökosystemen zu untersuchen”, erläutert Jens Nejstgaard.

© Harald Franzen

Das Seelabor in der nächsten Dekade

Das 10-jährige Jubiläum markiert auch das Ende der ersten Halbzeit der Bewilligung zum Betrieb des Seelabors. In der zweiten Halbzeit werden wir aufbauend auf der ursprünglichen Vision auch einige neue Schwerpunkte setzen. Übergeordnetes Ziel bleibt es, die Chancen der einzigartigen Versuchsanlage zu nutzen, um die Reaktion geschichteter Seen auf den rasanten Umweltwandel besser zu verstehen. Dabei ist von zentraler Bedeutung, die Komplexität des Ökosystems See zu berücksichtigen, um den Auswirkungen der Klima- und Biodiversitätsdoppelkrise realistisch begegnen zu können.

Wichtig bleiben weiterhin Fragen zu den Folgen des Klimawandels, einschließlich extremer Ereignisse, aber andere Aspekte des globalen Umweltwandels wie die bereits untersuchte Lichtverschmutzung oder die EutrophierungEutrophierungEutrophierung bezeichnet die Anreicherung von Nährstoffen in einem Ökosystem oder Ökosystemteil, z.B. Gewässern.
(Quelle: https://www.pflanzenforschung.de/de/pflanzenwissen/lexikon-a-z)
Mehr Infos
von Seen werden ebenfalls eine Rolle spielen. Dabei ist es in Zeiten rasanter Umweltveränderungen unerlässlich, auch konkrete Lösungen zur Verbesserung der Wasser- und Gewässerqualität zu erarbeiten. Deshalb werden im kommenden Jahrzehnt voraussichtlich vermehrt Versuche durchgeführt, die direkt zur Lösung spezifischer Gewässerprobleme beitragen.

Für die Planung der zukünftigen Experimente bauen wir auf den Erfahrungen der ersten 10 Jahren auf. Noch stärker als bisher werden wir modernste methodische Ansätze und Technologien einbeziehen. Dazu gehören Methoden der Fernerkundung, der hochauflösenden Bildanalyse unter Freilandbedingungen, sowie der Charakterisierung von Lebensgemeinschaften und ihren Aktivitäten durch Metagenom-, Metatranskriptom und anderen OMICS-Methoden. Zunehmend wird auch künstliche Intelligenz bei der Datenanalyse zum Einsatz kommen.

Als Testplattform zum Abgleich von Instrumenten zur Interkalibrierung und Validierung von Sensormessungen mit chemisch-analytischen Verfahren steht das Seelabor ebenfalls zur Verfügung. Integriert in die neu konzipierten Kompetenz- und Technologie-Plattformen (CTP) des IGB wird das CTP Seelabor unter der Leitung von Stella Berger und Jens Nejstgaard die interne Kommunikation und Expertise stärken, internationale Kooperation über das etablierte Europäische Netzwerk experimenteller Versuchsplattformen hinaus fördern, globale Expertise zusammenführen und koordinierte Experimente ermöglichen.

© Peter Casper

Weiterführende Informationen

Wie IGB-Forscher und Abteilungsleiter Mark Gessner auf die 10 Jahre Seelabor zurückschaut, lesen Sie in diesem Interview:

„Das Seelabor schafft den Spagat zwischen Realitätsnähe und stringenten Versuchsbedingungen“ | IGB (igb-berlin.de)

Institution: Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)
Ansprechpartner/in: Mark Gessner, Stella A. Berger, Jens Christian Nejstgaard, Hans-Peter Grossart, Armin Penske, Sabine Wollrab

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