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Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK)

Forschung zwischen Magie und Tradition  

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Lars-Gernot Otto beschäftigt sich mit Arznei- und Gewürzpflanzen und hat dieses Gebiet am IPK von seinem früheren Chef Tim Sharbel übernommen. © IPK Leibniz-Institut | J. Himpe
Lars-Gernot Otto beschäftigt sich mit Arznei- und Gewürzpflanzen und hat dieses Gebiet am IPK von seinem früheren Chef Tim Sharbel übernommen. © IPK Leibniz-Institut | J. Himpe

Text: CHRISTIAN SCHAFMEISTER

Lars-Gernot Otto beschäftigt sich mit Arznei- und Gewürzpflanzen. Wie er zwischen Weizen, Gerste und Hafer auf dieses Nischen-Thema kam, woran er zuletzt gearbeitet hat und warum Kamille & Co. auch für die Agrobiodiversität wichtig sind, erklärt der Wissenschaftler im IPK-Journal.

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Teuer muss es nicht sein: Eine Packung Kamillentee mit 20 Beuteln gibt es im Drogeriemarkt schon für 79 Cent. Man kann seinen Kamillentee aber auch in der Apotheke, im Fachgeschäft oder direkt beim Hersteller kaufen. Dann muss man jedoch bereit sein, fünf bis sechs Euro zu bezahlen. „Am Ende muss jeder die Frage für sich beantworten, welcher Preis ihm sein Tee wert ist“, sagt Lars-Gernot Otto. Es gehe dabei vor allem um die Qualität des Produktes, sagt der Wissenschaftler der Arbeitsgruppe „Quantitative Genetik“, der sich seit zehn Jahren mit Arznei- und Gewürzpflanzen beschäftigt. „Wichtig ist vor allem, dass die Inhaltsstoffe erhalten bleiben.“

Schaut man auf die Zahlen, so scheint das Thema Arznei- und Gewürzpflanzen in Deutschland im Trend zu liegen. So hat sich die Anbaufläche zwischen 2010 und 2020 nach einer Studie der Uni Hohenheim ebenso fast verdoppelt wie auch die Zahl der Betriebe in diesem Bereich. Grundsätzlich unterschieden wird dabei zwischen Nahrungsmitteln und pflanzlichen Arzneimitteln. Das hängt ab von der Zulassung, etwa durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM).

Gründe für den Aufschwung gibt es laut Lars-Otto Gernot gleich mehrere. „Fast jeder von uns hat einen Bezug zu Pflanzen wie Echter Kamille, Salbei oder Baldrian.“ Hinzu komme die sehr lange Tradition. „Der Besuch eines historischen Klostergartens begeistert auch heute noch die meisten Menschen. Und die Nutzung von Kamille wurde bereits von Hippokrates im 5 Jh. vor Christus beschrieben.“ Eine wichtige Rolle, so der IPK-Wissenschaftler, spiele aber auch das gesteigerte Gesundheitsbewusstsein und das überwiegend positive Image dieser Pflanzen. „Da weht manchmal fast ein Hauch Magie mit hinein.“ Gleichzeitig aber ist das Wissen in weiten Teilen der Bevölkerung häufig auf einige wenige Aspekte beschränkt. Salbei hilft bei Halsschmerzen, Echte Kamille bei Haut- und Magenproblemen, Baldrian zur Entspannung – dann aber hört es bei vielen Menschen schon auf. „Dass viele Aspekte – auch in der Forschung – noch nicht bekannt sind, macht das Thema für mich so spannend.“

Arznei- und Gewürzpflanzen wie Kamille sind häufig um einiges insektenfreundlicher als etwa Raps. © IPK Leibniz-Institut | J. Himpe
Arznei- und Gewürzpflanzen wie Kamille sind häufig um einiges insektenfreundlicher als etwa Raps. © IPK Leibniz-Institut | J. Himpe

Doch nicht nur sein großes Interesse, sondern auch der Zufall und eine günstige Gelegenheit haben den IPK-Wissenschaftler auf das Thema gebracht. „Ich habe dieses Gebiet von meinem damaligen Chef Tim Sharbel übernommen, der sich heute übrigens mit dem Wissen der indigenen Völker in Kanada zu Arznei- und Gewürzpflanzen beschäftigt“, berichtet Lars-Gernot Otto. Parallel entdeckte damals das Bundeslandwirtschaftsministerium das Thema und setzte entsprechende Projekte auf. Dass er sich dabei mit einem Nischen-Thema beschäftigt, stört ihn nicht. „Auch in der Nische ist spannende Forschung möglich.“ Immerhin hat er am IPK noch zwei Mitstreiter. Ulrike Lohwasser beschäftigt sich in der Genbank mit dem Thema, und John D’Auria hat die Inhaltsstoffe im Fokus.

„Das grundsätzliche Ziel sollte es sein, die wirtschaftliche Attraktivität des Anbaus zu gewährleisten“, erklärt Lars-Gernot Otto. Und da bestehe durchaus Handlungsbedarf. Derzeit könnten nur zehn bis 15 Prozent der Nachfrage in Deutschland aus heimischen Produkten gedeckt werden. Sich in dieser Nische erfolgreich zu behaupten, ist aber schwierig. So brauchen Betriebe nicht bloß hochwertiges Ausgangsmaterial und entsprechende Erntetechnik, sondern vor allem auch umfassendes Wissen. „Das betrifft mögliche Krankheiten ebenso wie Kenntnisse zur Trocknung und Lagerung nach der Ernte als auch die entsprechende Qualitätskontrolle“, erklärt Lars-Gernot Otto.

Genau an dem Punkt setzte sein letztes Forschungsprojekt an. Zusammen mit dem Unternehmen Pharmaplant GmbH entwickelte der IPK-Wissenschaftler drei hochselektive Methoden, um eine Verunreinigung des Saatgutes von Arznei- und Gewürzpflanzen zu erkennen. Konkret ging es um Pyrrolizidinalkaloide – potenziell gesundheitsschädliche, sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe, die von bestimmten Pflanzen gebildet werden. Wachsen diese PA-Unkräuter auf einem Feld mit Arznei-, Gewürz- und anderen Kulturen, können sie ins Erntegut gelangen.

Eine Packung Kamillentee mit 20 Beuteln gibt es im Drogeriemarkt schon für 79 Cent. Man kann seinen Kamillentee aber auch in der Apotheke, im Fachgeschäft oder direkt beim Hersteller kaufen. Dann muss man jedoch bereit sein, fünf bis sechs Euro zu bezahlen. © IPK Leibniz-Institut | J. Himpe
Eine Packung Kamillentee mit 20 Beuteln gibt es im Drogeriemarkt schon für 79 Cent. Man kann seinen Kamillentee aber auch in der Apotheke, im Fachgeschäft oder direkt beim Hersteller kaufen. Dann muss man jedoch bereit sein, fünf bis sechs Euro zu bezahlen. © IPK Leibniz-Institut | J. Himpe

Das IPK setzte auf einen molekulargenetischen Nachweis mittels DNA-Barcoding. Dazu isolierten die Forschenden die DNA bestimmter „Problem-Unkräuter“ und entwickelten für sie molekulare Marker, sogenannte Barcodes. Diese sind vergleichbar mit einem artspezifischen, genetischen Fingerabdruck: Die Kontrolle mit ihnen stellte sich als hochselektiv heraus: Die maximale Bestimmungsgrenze lag bei einem Samen des Unkrauts der Gattung Senecio (Greis- oder Kreuzkräuter) auf 100.000 Kultursamen von Arznei- und Gewürzpflanzen-Arten wie Kamille, Thymian und Baldrian.

Die Forschenden nutzten für ihre Arbeiten Saatgut aus dem Handel. PA-Unkräuter stellten vor allem im Kamille- Saatgut ein Problem dar: In einem Kilogramm Saat, im Mittel 13 Millionen Samen, fanden die Forschenden bis zu 30.000 Fremdsamen gefährlicher Arten. Zwei Drittel der Chargen waren dabei betroffen.

Der IPK-Wissenschaftler hat aber über seine Arbeit auch Kontakte in den Iran. Dort beschäftigt sich ein Wissenschaftler mit Süßholz. Aus der Süßholzwurzel wird Lakritze gewonnen, die Pflanze wird aber auch als Tee verwendet. „Der dortige Kollege möchte Süßholz nun in Kultur nehmen, und wir haben ihn unter anderem bei der genetischen Analyse unterstützt, also bei Sachen, die er vor Ort nicht machen kann.“ Anknüpfungspunkte gibt es aber auch direkt vor der Haustür. Zum einen sind Sachsen-Anhalt und Thüringen traditionell stark vertreten bei diesem Thema, zum anderen wurde mit der Bodegold in den 1950er Jahren in Quedlinburg eine bekannte Kamillensorte gezüchtet.

Lars-Gernot Otto hat auch immer einen guten Kamillentee im Schrank. © IPK Leibniz-Institut | J. Himpe
Lars-Gernot Otto hat auch immer einen guten Kamillentee im Schrank. © IPK Leibniz-Institut | J. Himpe

Arznei- und Gewürzpflanzen können aber auch einen wichtigen Beitrag zur Agrobiodiversität leisten. „Mit Blick auf das Bienensterben sollte man bedenken, dass Arznei- und Gewürzpflanzen häufig um einiges insektenfreundlicher sind als etwa Raps“, betont Lars-Gernot Otto. „Raps blüht nur einmal, Kamille hingegen in einem deutlich längeren Zeitraum, da bis zu drei Ernten der Blüten durchgeführt werden. Damit ist das Angebot an die Insekten deutlich größer und solle daher auch genutzt werden.“

Und wie hält es Lars-Gernot Otto selbst mit Arznei- und Gewürzpflanzen? „Salbei kenne ich seit der Kindheit und natürlich habe ich auch guten Kamillentee im Schrank.“ Nur einmal habe er ganz kurz darauf verzichtet. „Da war ich fast den ganzen Tag in der Gewächshauskabine bei den Pflanzen, da mochte ich dann abends keinen Kamillentee.“

Der Begeisterung und der Leidenschaft hat das jedoch keinen Abbruch getan. „Schauen wir z. B. auch nach China oder Indien, dann sehen wir, dass sich in der Verwendung von Arznei- und Gewürzpflanzen Wissen aus Jahrtausenden wiederfindet. Es fasziniert mich unglaublich, wie seit so langer Zeit die Kraft der Natur genutzt wird“, erzählt der IPK-Wissenschaftler. Die hohe Qualität ist ihm dabei auch den Preis wert. Und so wird Lars-Gernot Otto auch künftig im Drogeriemarkt nicht beim Kamillentee für 79 Cent zugreifen.

Erschien zuerst im/auf: IPK-Journal 2023-1
Institution: Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK)
Ansprechpartner/in: Lars-Gernot Otto

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