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Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU)

Mit Ackerbäumen gegen die Fluten  

Agroforst Klimafolgen Landnutzung Landwirtschaft
Mit Ackerbäumen gegen die Fluten.
Neu angelegtes Agroforstsystem auf dem Gladbacherhof, Lehr- und Versuchsbetrieb der JLU Giessen. © Katrina Friese | JLU Giessen

Text: GESA COORDES

Die Bilder sahen aus wie 2021 in den Überschwemmungsgebieten der Eifel: Überflutete Straßen, Geröllberge, Schlammmassen. Der Bahnhof und das Gleisbett von Aumenau (Kreis Limburg-Weilburg) waren überschwemmt. Und auch der deutlich höher gelegene Gladbacherhof, ein Lehr- und Versuchsbetrieb der JLU, wurde getro­ffen. Am 5. Juli 2018 wurden mehrere hundert Tonnen des nährstoffreichen, fruchtbaren Bio-Oberbodens auf den Feldern in der Hanglage weggespült. An diesem Tag fiel innerhalb von einer Stunde ein Sechstel des üblichen Jahresniederschlags. „Es sah verheerend aus“, erinnert sich Prof. Dr. Andreas Gattinger von der Professur für Ökologischen Landbau. Dabei hatten die Forschenden auf dem Vorzeigebetrieb noch Glück, weil der Mais schon zwei Meter hoch stand. Gattinger erinnert sich: „Es war nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was wir in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz dieses Jahr gesehen haben.“ Für das Team um den Professor waren die Sturzbäche vor drei Jahren der Anlass, die eigenen Agroforst-Forschungen weiter voranzutreiben. Ihre Vorhersage: Extremwetter wie diese werden sich im Zuge des Klimawandels häufen. Und mithilfe von Agroforst sind die Folgeschäden geringer.

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Altes System neu entdeckt

Agroforst steht für eine Landwirtschaft mit Bäumen. Eigentlich handelt es sich dabei um ein altes System, erklärt Dr. Philipp Weckenbrock, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Professur. Typisch seien die Streuobstwiesen, auf denen Kühe weideten. Aber auch auf den Feldern waren Bäume bis in die 50er-Jahre hinein häufig zu sehen. Dies änderte sich durch die großen Landmaschinen, denen die Bäume im Weg standen. „Bis in die 70er-Jahre gab es Prämien, um diese Bäume zu fällen“, sagt Weckenbrock. Der Geograf, der mehrere Jahre auf Biobauernhöfen in verschiedenen Ländern gearbeitet hat, lernte die Agroforstwirtschaft in Bolivien und Brasilien kennen.

Dort gibt es sehr ertragreiche Kakaoplantagen, die auf das Wissen indigener Völker zurückgehen. Kombiniert mit einheimischen Büschen und Bäumen entsteht dabei ein „Nutz-Dschungel“ mit hohen Erträgen, der zugleich ein „grandioses Ökosystem“ bildet, so Weckenbrock. Er ist sich sicher: „Man kann viel produzieren und zugleich eine artenreiche Natur haben.“

Agroforst soll nämlich nicht nur Erosion verhindern, sondern auch die Artenvielfalt erhöhen, Kohlenstoff­ speichern, die Produktivität stabilisieren und die Bodenqualität verbessern. Prof. Gattinger, der die Agroforst-Idee während seines Studiums im schottischen Aberdeen kennenlernte, holte den Experten nach Gießen. Schon bei dem Hochwasser vor drei Jahren zeigte sich, dass einzelne Haselnusssträucher wie ein Bollwerk gegen die Fluten wirkten.

2020 begann das Projekt auf dem Gladbacherhof, der seit 40 Jahren ökologisch bewirtschaftet wird. Auf dem Lehr- und Versuchsbetrieb haben die Gießener Forscherinnen und Forscher vier verschiedene Arten von Baumreihen angelegt. Damit wollen sie herausfinden, welche Variante für die Landwirtschaft besonders geeignet ist.

Wachsende Artenvielfalt

Jede Woche inspiziert Weckenbrock den dreieinhalb Hektar großen Acker, der 2018 überflutet wurde und nun als Versuchsfläche dient. Auf dem Weg dorthin deutet er auf eine Herde Kühe, die sich exakt im Schatten eines großen Birnbaums niedergelassen hat. „Bäume sind auch wichtig für das Tierwohl“, sagt er. Die über 600 Bäume auf der Versuchsfläche sind derzeit noch zu klein, um viel Schatten zu spenden.

Ein kleiner Pfad im Winterweizen führt zu dem ersten Baumstreifen, der im vergangenen Jahr gepflanzt wurde. Hier stehen Pappeln, Apfel-, Birn- und Walnussbäume, Elsbeeren, Speierlinge und Holunderbüsche, die sich gegenseitig unterstützen sollen. Unter den Gehölzen wächst eine eingesäte Kleegrasmischung. In den Wuchshüllen der Bäume summt es aus zahlreichen Wespennestern. An einer Pappel entdeckt der Forscher ein frisches Loch, vielleicht von einem Dachs? Alle zwanzig Meter lockt eine Sitzstange für Greifvögel, die zugleich die Mäuse in Schach halten. Die Artenvielfalt wächst.

Beim Gang durch den grünen Streifen freut sich der Wissenschaftler über die Walnussbäume, die sich hervorragend entwickelt haben. 18 Meter breit sind die Ackerstreifen, die sich an der Breite der landwirtschaftlichen Maschinen orientieren. Sie werden im achtjährigen Fruchtfolgewechsel des Gladbacherhofs bewirtschaftet. Aktuell wächst hier Hafer. Drei Meter breit sind die Baumstreifen, die insgesamt einen Kilometer lang sind. Es gibt Streifen nur mit Pappeln, Apfel- oder Wertholzbäumen und es gibt gemischte Anpflanzungen, so dass vier verschiedene Arten von Agroforstsystemen verglichen werden können.

Das „Herzensprojekt“ der Forschenden sind die vielfältigen Reihen mit den unterschiedlichen Baumarten. Bei diesem System wachsen die Gehölze in mehreren Stockwerken und Höhen: Hoch werden die Wertholzbäume – Walnüsse, Kirschen, Birnen, Speierlinge und Elsbeeren. Mittelgroß sind die Apfelbäume, deren Leitäste so geschnitten werden, dass sie nicht ins Feld hineinragen. Darunter wachsen Holundersträucher. Und die rasch in die Höhe schießenden Pappeln spenden schnell Schatten, damit sich die Bäume darunter gut entwickeln können.

Was die unterschiedlichen Systeme bringen, wird intensiv erforscht. Regelmäßig nimmt die Biologin Eva-Maria Minarsch Bodenproben, um den Kohlensto­ffgehalt zu messen. Untersucht werden Sticksto­ffgehalt, Ertrag, Nährsto­ffbilanz, Wasserhaushalt, Artenvielfalt, die Entwicklung der Bäume und die mikrobiologische Diversität. Im Boden vergrabene Sonden messen Feuchtigkeit, Temperatur und elektrische Leitfähigkeit. Zudem wird analysiert, wie gut das Wasser in den Boden eindringen kann und wie verdichtet er ist.

Um das Risiko von Bodenerosion zu verringern, wurden sechs Baumreihen des Agroforstsystems quer zum stärksten Gefälle des Ackerschlags angelegt.
Um das Risiko von Bodenerosion zu verringern, wurden die sechs Baumreihen des Agroforstsystems quer zum stärksten Gefälle des Ackerschlags angelegt. © Katrina Friese | JLU Giessen

Felder wie Schwämme

Die Forschenden gehen davon aus, dass die Grünstreifen auch bei Trockenperioden helfen. Weil der Wind gebremst wird, verdunste weniger Feuchtigkeit. Dicke Mulchschichten halten die Bodenfeuchtigkeit auf den Baumstreifen. Nun wird mithilfe einer Vergleichsfläche untersucht, ob die Bäume den Feldern Wasser oder Nährsto­ffe entziehen oder im Gegenteil aus größeren Tiefen nach oben holen, so dass die Feldfrüchte profitieren. „Wir versuchen, die Felder wie Schwämme zu gestalten“, sagt Weckenbrock.

Erfasst wird natürlich auch, wie aufwändig es ist, die Bäume zurückzuschneiden, in die Felder ragende Wurzeln zu kappen und die Grünstreifen zu pflegen. „Landwirte müssen abschätzen können, ob sich Agroforst lohnt“, sagt Gattinger.

Mit dem ausgeklügelten Agroforstsystem betritt der Gladbacherhof Neuland: „So etwas gibt es in Deutschland noch kaum“, so Weckenbrock. Freilich geht der Forscher davon aus, dass sich die Vorteile des Systems erst auf Dauer zeigen. Auch wirtschaftlich: Äpfel können erst in einigen Jahren geerntet werden. Dann soll daraus Apfelsaftschorle für die Mensa der Justus-Liebig-Universität werden. Die Bäume spenden erst nach Jahren nennenswerten Schatten. Und die Werthölzer werden noch später genutzt.

Für landwirtschaftliche Betriebe gibt es noch keine Unterstützung, wenn Baumstreifen angelegt werden. Im Gegenteil: Bisher werden diese Teilbereiche aus der förderfähigen Fläche herausgerechnet. Das soll sich bald ändern. Deshalb wird das Projekt der JLU drei Jahre lang mit insgesamt 437.600 Euro vom hessischen Landwirtschaftsministerium gefördert. Schließlich liegen rund 20 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen Hessens an Hängen. Im vergangenen Herbst wurden noch einmal 600 Bäume auf einem 8 Hektar großen Grünlandschlag des Gladbacherhofs gepflanzt. Ein weiteres Versuchsfeld für Agroforst folgte 2022. „Unser Projekt liefert wichtige Informationen für die Agrarverwaltung“, erklärt Gattinger.

Schon jetzt kommen Landwirtinnen und Landwirte, landwirtschaftliche Beraterinnen und Berater, Studierende sowie andere Interessierte häufig nach Aumenau. Und im Juni 2022 fanden die Ökofeldtage auf dem Hof statt. Dabei richtet sich das System auch an konventionell arbeitende Landwirtinnen und Landwirte mit erosionsgefährdeten Feldern. Weckenbrock meint: „Agroforst ist ein Ho­ffnungsträger.“

Institution: Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU)
Ansprechpartner/in: Prof. Dr. Andreas Gattinger, Dr. Philipp Weckenbrock

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