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Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)

Boddenhechte: Rügens Räuberreichtum besser nutzen  

Artenschutz Biooökonomie Fischerei Gewässer Nachhaltigkeit Naturschutz Tourismus Wasser
Eine Frau hält einen Hecht.
IGB-Forscherin mit Boddenhecht © Falk Weiß

Text: JOHANNES GRAUPNER

Die Boddenlandschaft um Rügen ist beliebtes Urlaubsziel und wertvoller Naturraum zugleich. Vielen unbekannt ist, dass sie einen der größten Hechtbestände beherbergt. Dieser zieht national wie international die Anglerszene an, wird aber auch von der Berufsfischerei und natürlichen Räubern wie Kormoran und Kegelrobbe genutzt. Sie alle profitieren von den Hechten, die hier besonders schnellwüchsig sind. Doch es gibt Anlass zur Sorge: Seit Jahren nehmen Hechtfänge und Fanggrößen ab und damit auch das Angelinteresse an der Küste. Forschende des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) suchten im BODDENHECHT-Projekt nach den Ursachen und sprechen nun klare Empfehlungen an Politik, Behörden und andere Nutzungsgruppen aus.

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Wie das Forschungsteam vom IGB in Zusammenarbeit mit der Landesanstalt für Landwirtschaft, Institut für Fischerei in Rostock und einer Reihe weiterer Kooperationspartner nachweisen konnte, ist die Hechtmenge in den Bodden seit 2010 rückläufig. Es gibt auch Hinweise, dass die Boddenhechte heute als erwachsene Tiere deutlich langsamer wachsen als in der Vergangenheit. Laut Modellrechnungen könnte der Hechtbestand die Hälfte seiner Produktivität eingebüßt haben. Das gilt sowohl für den Boddenhechtbestand als Ganzes als auch das Vorkommen von großen Meterhechten, die gerade für Anglerinnen und Angler und den Angeltourismus besonders attraktiv sind.

„Unter den Nutzungsgruppen wurde der Rückgang der Boddenhechte schon seit einigen Jahren moniert. Die negative Entwicklung konnten wir im Projekt nun auch wissenschaftlich belegen. Die Suche nach den konkreten Ursachen ist deutlich komplizierter. Offenbar haben sich die ökologischen Bedingungen an den Bodden deutlich verschlechtert und es wird gleichzeitig zu intensiv gefischt und geangelt“, erklärt IGB-Projektleiter Prof. Dr. Robert Arlinghaus. „Auf Basis der aktuell verfügbaren Daten und Analysen gehen wir davon aus, dass der Bestand von einer ganzen Reihe von Umweltveränderungen betroffen ist. Zugleich ist die Entnahme von Hechten durch Berufs- und Angelfischerei hoch, aber nicht der alleinige Grund für den Hechtrückgang. Auch kann man auf der Datenbasis nicht sagen, dass es ein bestimmter Fischereisektor ist, der alleine den Hechten zusetzt, es ist die Summe aller Laster“, ergänzt IGB-Forscher Dr. Elias Ehrlich, der im Projekt den Beteiligungsprozess aller Interessengruppen koordiniert hat.

Veränderte Umweltbedingungen setzen den Hechten zu

Der Hechtbestand um Rügen leidet neben der Fischerei auch unter hohen Kormoranbeständen und einer insgesamt reduzierten Nahrungsverfügbarkeit und -qualität. Es wandern weniger fettreiche Heringe in die Bodden als früher. Stark zugenommen haben hingegen die invasiven Schwarzmundgrundeln, welche gerade für die größeren Hechte weniger ergiebig sind. Das mindert den Zuwachs der Hechte über 70 cm. Auch die Fortpflanzung der Hechte wird durch die landwirtschaftliche Überdüngung, den großflächigen Verlust von Überflutungsbereichen sowie blockierte Zugänge zu Süßwasserzuflüssen weiter eingeschränkt. Ein Teil der Boddenhechte sind wandernde Tiere, die auf das Laichen im Süßwasser angewiesen sind; diese Teilpopulationen sind heute stark bedroht. Hinzu kommen vielschichtige Auswirkungen des Klimawandels. Im Detail bislang noch zu wenig verstanden, kann sich dieser auf die Reifung und Eiqualität, die zeitliche Abfolge des Aufkommens von Nahrungsorganismen und die Häufigkeit von Bruträubern wie Stichlingen auswirken.

„Weil die biologischen Zusammenhänge und Wechselwirkungen so komplex sind, ist es nicht leicht, den abfallenden Trend durch angepasstes Management umzukehren“, erklärt Robert Arlinghaus. Und weiter: „Das bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass ein ‚Weiter so‘ empfehlenswert ist. Beispielsweise sollte die fischereiliche Entnahme an die reduzierten Bestandsgrößen angepasst werden. Berufs- und Angelfischerei haben nämlich auch einen nachweisbaren Einfluss: Hechte scharf befischter Bestände außerhalb von Schutzgebieten werden nicht nur weniger zahlreich und kleiner, sondern gehen auch immer schwerer an die Angel. Diesen Effekt spüren vor allem die Anglerinnen und Angler. Für die Berufsfischerei dagegen bleiben die insgesamt weniger zahlreichen Hechte aufgrund ihrer hohen Schwimmfreude insbesondere kurz vor der Laichzeit weiter gut fangbar. Das ist ein Problem, wenn in den räumlich begrenzten Laichbuchten intensiv vor der Laichzeit mit Stellnetzen gefischt wird, da es zu lokalen Ausdünnungsereignissen kommen kann, die nur schwer über Wiederbesiedelung aus anderen Gebieten kompensiert werden können. Insgesamt zeigen unsere Daten, dass die Boddenhechte außerhalb der Laichzeit recht standorttreu sind“.

Feldarbeiten im Rahmen des Projektes Boddenhecht
Feldarbeiten im Rahmen des Projektes Boddenhecht © Falk Weiß

Management-Empfehlungen für eine bessere Bestandsentwicklung

Das Forschungsteam hat aus den Studien klare Empfehlungen abgeleitet: Die Aufwertung der Lebensräume ist essenziell. Zu einem besseren Ablaichen und Aufwachsen der Junghechte würde das Renaturieren der in die Bodden einmündenden Bäche und Flüsse und das Schaffen von Überflutungsflächen in Salzwiesen und Randbereichen der Bodden beitragen. Auch sollten Nährstoffeinträge, insbesondere aus der Landwirtschaft, gesenkt werden, damit die Unterwasservegetation ansteigt. Eine Reduktion der Kormoranbestände würde Modellanalysen zufolge einen positiven Effekt auf den Hechtbestand haben, ist aber aus naturschutzfachlicher Sicht sehr umstritten.

Weiterhin sind fischereiliche Schonmaßnahmen zu empfehlen, zum Beispiel die Anhebung des Mindestmaßes von aktuell 50 auf 60 cm und die Einführung eines Entnahmefensters von 60 bis 90 cm. Auch strengere Vorgaben für die Maschenweiten der Stellnetze erscheinen sinnvoll, um die für die Fortpflanzung wichtigen Jung- und Großhechte gleichermaßen zu schonen. Zudem sollten die Wanderkorridore in Laichbuchten und Zuflüsse von Stellnetzen freigehalten sowie Fischschon- und Laichschongebiete erweitert werden, die für alle Akteure verbindlich sind. Aktuell gibt es nur auf ein Prozent der Boddenfläche einen kompletten Fischereiausschluss.

Für Privatpersonen könnte die tägliche Entnahmemenge von aktuell drei auf einen Hecht pro Tag reduziert werden. Alternativ ist das Ausgeben von Entnahmemarken je Anglerin bzw. Angler denkbar. Dadurch bleiben mehrere Entnahmen pro Tag möglich, und die jährliche Gesamtfangmenge wird dennoch reguliert. Sollten sich Fischereibetriebe zugunsten der Hechtbestände und der Angelfischerei beschränken, wären Kompensationen für deren Ertragsausfälle eine konstruktive Lösung. Insgesamt gilt es, alle bisher geltenden und neuen Regeln übersichtlicher für die Zielgruppen aufzubereiten und deren Einhaltung in der Praxis besser zu kontrollieren.

Zwei Wissenschaftlerinnen vermessen einen Hecht.
Vermessung eines Hechtes © Falk Weiß

Konflikte brauchen Moderation und sachliche Grundlage

Aufgrund der komplexen Sachlage kann der Erfolg der Maßnahmen nicht garantiert werden, betonen die Forschenden. In vielen Gebieten der zentralen und südlichen Ostsee sinken die Hechtbestände, obwohl die Berufs- und Angelfischerei zum Teil drastisch reguliert wurde. Das spricht für übergeordnete ökologische Ursachen für den Rückgang vieler Fischbestände in und an der Ostsee: Auch Dorsche, Heringe und andere kommerziell und touristisch wichtige Arten sind rückläufig. Geschonte Hechte könnten auch vermehrt von anderen natürlichen Räubern wie der Kegelrobben gefressen werden, deren Population aktuell zunimmt.

Die Forschenden empfehlen daher die Einführung eines kontinuierlichen Monitorings der Boddenfische und die Beibehaltung des Dialogs mit der Praxis. Konflikte zwischen einzelnen Nutzungsgruppen wird es immer geben, und sie könnten zunehmen – insbesondere, wenn Maßnahmen wie Renaturierungen nicht sofort umgesetzt werden, rasche Erfolge ausbleiben oder weiter eingeschränkte Fangmöglichkeiten bei marinen Arten den Fangdruck der Berufsfischer auf die Bodden erhöhen. Auch Naturschutz und Fischerei sind nicht immer einer Meinung. Hier geht es um Raumkonflikte, zum Beispiel um Zugänge zu Schon- und Schutzgebieten, oder den Kormoran- und Kegelrobbenschutz, regelmäßig aber auch um unterschiedliche Werte und Normen. Was zum Beispiel ist wichtiger – der Schutz natürlicher Räuber, von Vogelpopulationen allgemein oder die Unterstützung der Fischerei? „Die Lösung dieser Fragen verlangt nach der offenen Diskussion mit allen Beteiligten, einer politischen Entscheidung und einer verbindlichen Umsetzung durch die zuständigen Behörden“, betont Robert Arlinghaus.

„Weil es kein Monitoring der Fischbestände in den Bodden gibt, verlaufen viele Debatten emotional und auf Basis von persönlichen Eindrücken und Erfahrungen. Bessere und objektive Daten wie die aus dem Projekt helfen, die Diskussion zu versachlichen und die bestmöglichen Kompromisse zu finden. Wichtig ist, dass die Nutzungsgruppen bei allem Dissens in spezifischen Fragen weiter im Dialog bleiben. Denn es gibt mehr gemeinsame Interessen, als vielen bewusst ist – zum Beispiel haben Naturschutz und Fischerei beide ein hohes Interesse an der Renaturierung der Bodden-Randbereiche. Wir haben im Projekt einen umfassenden Beteiligungsprozess gestartet, bei dem Vertretende der verschiedenen Interessengruppen an einem Runden Tisch sehr erfolgreich zusammengearbeitet haben. Diesen Prozess gilt es nun zu verstetigen“, erläutert Elias Ehrlich.

Zwei Wissenschaftler setzen einen Hecht ins Wasser.
Ein Hecht wird wieder ausgesetzt © Falk Weiß

Die Hechte sind ein handfester Wirtschaftsfaktor

Die Fischbestände der Bodden, so auch die Hechte, werden von rund 50.000 Anglerinnen und Anglern genutzt. Etwa 75 Prozent dieser Personen stammen nicht aus Mecklenburg-Vorpommern und sind daher Touristen, die Geld auf die Insel bringen. „Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Hechtangelns an den Bodden ist hochgerechnet 32-fach höher als die des beruflichen Hechtfischens – Tendenz fallend, da die Bestände nicht mehr so attraktiv für den Angeltourismus sind“, erläutert Robert Arlinghaus. „Die Bedeutung eines Fischereisektors kann man aber nicht alleine an den wirtschaftlichen Zahlen ablesen. Zum Beispiel hat die Berufsfischerei einen kulturellen Wert, sie gehört auch zum Küstenbild und hat eine lange Tradition. Es gilt, die Fischereisektoren nicht gegeneinander auszuspielen, sondern Kompromisse zu finden, die beide Akteursgruppen besserstellen als heute der Fall, und Bewirtschaftungslösungen zu finden, die als gerecht und nach vorne gewandt empfunden werden“, ergänzt Projektleiter Robert Arlinghaus.

Sollte die Hechtpopulation nicht wie früher wirtschaftlich nutzbar sein, müssten entweder alternative Fischarten wie Barsche, Zander, Aale oder Meerforellen stärker befischt werden, was auch zu Folgeproblemen führen könnte – oder ganz neue Einkommensmodelle jenseits der Fischerei und des Angeltourismus gefunden werden. Hier würde sich die Aquakultur, die Arbeit im praktischen Naturschutzmanagement als „Boddenwart“ oder die Arbeit als Dienstleister für das Boddenmonitoring anbieten. Vergleichbare Modelle als „Meeresförster“ werden aktuell an der Außenküste für Küstenfischer erprobt.

 

Weiterführende Informationen

Downloads

IGB Bericht 33: BODDENHECHT – Ökologie, Nutzung und Schutz von Hechten in den Küstengewässern Mecklenburg-Vorpommerns

Empfehlungen für das künftige Management des Boddenhechts (Esox lucius) aus Sicht verschiedener Interessengruppen

Projekt

BODDENHECHT

 

Institution: Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)
Ansprechpartner/in: Robert Arlinghaus & Elias Ehrlich

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