In Zusammenarbeit mit:

Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)

Vertikale Feuchtgebiete  

Artenschutz Biodiversität Gewässer Wasser
Foto: Ralf Steeg / WITE

Entlang urban geprägter Flüsse und Kanäle gibt es kaum naturnahe Ufer und Flachwasserzonen. Stattdessen trennen steile Uferbefestigungen aus Beton, Stahl oder Mauersteinen über viele Kilometer das Wasser vom ehemals natürlichen Ufer. Durch diese harte Abgrenzung fehlen Ufer- und Flachwasserzonen als wichtige Lebensräume für viele Pflanzen und Tiere. Das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) hat gemeinsam mit Partnern so genannte „Vertical Wetlands“ entwickelt. Diese Pflanzmodule dienen als ökologische Trittsteine an naturfernen und künstlichen Gewässern. So ermöglichen sie Fischen und anderen Tierarten den Aufenthalt und die Durchwanderung.

Pilotanlage in Berlin-Spandau, kurz nachdem sie installiert wurde. Foto: Ralf Steeg / WITE

„Die Stärke der Vertical Wetlands liegt darin, dort anzusetzen, wo eine Renaturierung aufgrund intensiver Nutzung oder dichter Bebauung nicht möglich ist. Hierfür werden grüne Schlüsselbausteine angeboten, die schon auf relativ kleinen Flächen helfen, die großen ökologischen Defizite zu reduzieren“, erläutert IGB-Forscher und Projektleiter Dr. Christian Wolter die Grundidee. So können Gewässerabschnitte schnell und kostengünstig ökologisch aufgewertet werden. „Darüber hinaus leisten Vertical Wetlands auch einen Beitrag zur Wasserqualität: Das Beschatten der Uferwände reduziert den Wärmeeintrag in die Gewässer durch die von der Sonne aufgeheizten Uferwände“, ergänzt Wolter. Neben den ökologischen Aspekten ist gerade im städtischen, stark versiegelten Bereich ein weiterer Aspekt besonders wertvoll: Die Ufer werden durch die grünen Vertical Wetlands optisch aufgewertet.

Unbedenkliche Baumaterialien in einem flexiblen System

Mit der technischen Konzeption und Umsetzung der Pilotanlage wurde das Berliner Ingenieurbüro WITE GmbH beauftragt. Das System besteht aus zwei Hauptkomponenten: der an der Uferwand befestigten Tragschiene und den daran eingehängten Pflanzmodulen. Es kann an Spundwänden, Naturstein- oder Betonmauern befestigt werden und besteht ausschließlich aus Materialien, die für Gewässer unbedenklich und biologisch abbaubar sind: unbehandelter Stahl, sägeraues Holz, dem Gewässertyp entsprechendes Substrat, wie z. B. Sand oder Kies, darüber ein biologisch abbaubares Vlies und gewässertypische Gehölze und Pflanzen, wie z. B. Weiden, Erlen, Schilf, Binsen und Rohrkolben. Zusätzlich kann ökologisch wertvolles Totholz zwischen, unter oder auf den Modulen befestigt werden.

„Das System ist sehr flexibel und kann in verschiedenen Höhen, Längen und Neigungswinkeln sowohl vom Land als auch vom Wasser aus installiert werden. So kann sehr gut auf unterschiedliche Standortanforderungen reagiert werden, zum Beispiel auf behördliche Vorgaben zu nutz- und überbaubaren Flächen oder auf Auflagen des Denkmalschutzes. Zudem kann es im Bedarfsfall problemlos rückgebaut werden“, erklärt Ralf Steeg von WITE. Die Vertical Wetlands sind auch für starke Strömungen, Sogwirkung von Schiffen und Wellengang ausgelegt. Sollte es doch einmal zu größeren Schäden kommen, etwa durch einen Schiffsanprall, können die Module ohne großen Aufwand einzeln ausgetauscht werden.

Schon wenige Wochen nach Einrichtung der Pilotanlage profitieren Tiere und Pflanzen nachweislich von den Vertical Wetlands. Foto: Ralf Steeg / WITE

Pilotanlage in Berlin zeigt schnelle Erfolge

Im Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal wurde auf einer Länge von 40 Metern eine Pilotanlage mit Schilf und vier verschiedenen Weidenarten errichtet. Die Anlage besteht aus 76 Pflanzmodulen und wurde im April 2023 innerhalb von 14 Tagen von einer schwimmenden Arbeitsplattform aus montiert. Das IGB führte während des Projekts regelmäßige Beobachtungen durch, um die ökologische Wirkung der Anlage zu bewerten: „Die Beobachtungen haben gezeigt, dass die ökologischen Trittsteine gut angenommen wurden. Bereits wenige Tage nach der Montage wurde Fischlaich an den Modulen festgestellt, nach wenigen Wochen unternahmen Blässhühner erste Nestbauversuche. Schon nach einem Monat hatten sich Wurzelbärte entwickelt, die teilweise bereits einen halben Meter ins Wasser ragten. Diese sind als Rückzugsorte für Fische besonders wertvoll, deren Verweilen in und Durchwandern von urbanen Fließgewässern mit künstlichen Trittsteinhabitaten ebenfalls unterstützt werden soll. Zudem wurden die Module von weiteren Wasserpflanzen, Moosen und Algen besiedelt. Wir konnten darüber hinaus verschiedene Libellen, Käfer, Wespen und Spinnen sowie Wasserschnecken beobachten“, fasst IGB-Projektkoordinatorin Rosanna Wiebe zusammen.

Grundkonzept und Erfahrungswerte sind kostenfrei zugänglich

Damit dieser Erfolg auch an anderen Standorten schnell Schule macht, hat das Team ein kostenloses “IGB Manual” herausgegeben, das den Bau und die Genehmigungsverfahren für Vertical Wetlands erläutert. „Das IGB Manual enthält neben konzeptionellen Zeichnungen auch einen Umsetzungsplan, der auf den Erfahrungen aus dem Pilotprojekt beruht. Mit der kostenlosen Publikation wollen wir die Bekanntheit des Ansatzes steigern, zur Nachahmung anregen und interessierten Interessierten die Möglichkeit geben, an anderen Standorten selbst zu prüfen, ob Vertical Wetlands dort installiert werden können“, erklärt Wolter.

Gefördert wurde das Pilotprojekt im Berliner Programm für Nachhaltige Entwicklung (BENE) aus Mitteln des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) und des Landes Berlin. In der Umsetzung unterstützt wurden das IGB und WITE vom Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt, der Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt und dem Bezirk Mitte. „Ich bin sehr dankbar, wie konstruktiv und erfolgreich alle Beteiligten an diesem Prozess mitgewirkt haben“, betont Wolter.

Institution: Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)
Ansprechpartner/in: Dr. Christian Wolter

Kommentieren

Newsletter abonnieren

Vier- bis sechsmal jährlich informieren wir über Fakten, News und Ideen rund um die Landwirtschaft der Zukunft.