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Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)

Süßwasserfische & Neunaugen – jede zweite Art gefährdet oder ausgestorben  

Artenschutz Biodiversität Fischerei Gewässer Wasser
Bild einer Forelle
Die Forelle wurde 2009 bundesweit noch als „ungefährdet“ eingestuft. Inzwischen gehen ihre Bestände in vielen Bundesländern zurück. Für Forschende des Leibniz-Instituts IGB ist dies ein erstes deutliches Warnsignal für größere klimabedingte Biodiversitätsveränderungen in deutschen Fließgewässern. © Christopher Cutler | Pixabay

Text: NADJA NEUMANN

Erstmals seit 2009 wurde die Rote Liste der gefährdeten Süßwasserfische und Neunaugen in Deutschland aktualisiert. Sie zeigt einen deutlich negativen Trend. Zu den Ursachen gehören laut Dr. Christian Wolter vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) der Verlust von Lebensräumen durch Gewässerverbauung und -verschmutzung sowie die Folgen des Klimawandels.

Wie die aktualisierte Rote Liste zeigt, gehören Süßwasserfische und Neunaugen zu den am stärksten gefährdeten Tiergruppen in Deutschland: 47 der 90 etablierten einheimische Arten gelten als „gefährdet“ oder bereits als „ausgestorben oder verschollen“. Nur 32 Arten gelten als „ungefährdet“. Die übrigen Arten sind entweder „extrem selten“, stehen auf der „Vorwarnliste“ oder können aufgrund fehlender Daten nicht eingestuft werden.

Damit sind heute 21 Arten stärker gefährdet als 2009. „Wir sehen eine sehr deutliche Verschlechterung der Gefährdungssituation der heimischen Süßwasserfische und Neunaugen in den letzten vierzehn Jahren“, sagt IGB-Forscher Dr. Christian Wolter, einer der Hauptautoren der deutschen Roten Liste.

Die Ursachen sind lange bekannt

Zu den wichtigsten Gefährdungsursachen zählen die Gewässerverschmutzung sowie frühere Flussbegradigungen und Uferverbauungen. Als Folge dieser Eingriffe fehlen vielerorts strömungsberuhigte Altarme und flach überflutete Auen, in denen sich die Fischbrut ungestört entwickeln kann. Auch Querbauwerke wie Wehre und Dämme, die Wanderwege unterbrechen, sind eine Ursache für den Rückgang vieler Arten. Die Auswirkungen des Klimawandels wie die zunehmende Trockenheit, höhere Wassertemperaturen und weniger Sauerstoff im Gewässer sind für den Rückgang von Süßwasserfischen und Neunaugen verantwortlich.

„Für die meisten Süßwasserfische und Neunaugen sind die wichtigsten Gefährdungsursachen und geeignete Hilfs- und Schutzmaßnahmen seit langem bekannt. Dennoch werden Fließgewässer immer noch nicht als wichtiger Lebensraum wahrgenommen. Ein großes Problem ist, dass uns als Gesellschaft oft andere Funktionen, insbesondere der Fließgewässer, wichtiger sind: Hochwasserschutz, Schifffahrt, Entwässerung, Abwassereinleitung, Stromerzeugung, Wasserentnahme, Wärmeeinleitung zählen hier mehr als ökologische Kriterien”, so Wolter.

Die politischen Instrumente sind da, die Umsetzung ist schleppend

Mit dem Inkrafttreten der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie im Jahr 1992 sowie der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie im Jahr 2000 wurde systematisch und flächendeckend erfasst, wie der gewünschte ökologische Zustand der Gewässer hergestellt werden kann. Die Umsetzung der Richtlinien verläuft jedoch schleppend.

Sozioökonomische Rahmenbedingungen und Nutzungskonflikte stehen dem Schutz und der Renaturierung von Gewässerlandschaften häufig entgegen, so die Autorinnen und Autoren der aktuellen Roten Liste. „Unter diesen Bedingungen haben sich die Verbreitung und Populationsgröße von Süßwasserfischen und Neunaugen nach einer vorübergehenden Erholung oft auf niedrigem Niveau stabilisiert. Das führt zu der hohen Zahl an bestandsgefährdeten Arten auf der Roten Liste“, erklärt Wolter. Im europäischen Vergleich steht Deutschland damit nicht besonders gut da: Mit 10 Prozent ausgestorbener Fischarten liegt das Land deutlich über dem europäischen Durchschnitt von 2,5 Prozent.

Forelle, Stör und Lachs

Ein prominentes Beispiel für die zunehmende Gefährdung von Süßwasserfischen ist die Forelle. Dabei handelt es sich um Bach-, See- und Meerforellen. Diese Arten haben unterschiedliche Lebensstrategien und sind reproduktiv nicht voneinander getrennt. 2009 wurde die Art bundesweit noch als „ungefährdet“ eingestuft, unter anderem weil ihr kurzfristiger Bestandstrend damals stabil war. Nun wird ihre Zahl in fünf Bundesländern als rückläufig eingeschätzt – zum Teil auch dort, wo sie früher in sehr großen Beständen vorkamen. „Dieser Bewertungswechsel von ‘stabilen Beständen’ zu ‘überwiegend rückläufigen Beständen’ dieser in Deutschland so verbreiteten und häufigen Art ist auf den Gewässerausbau zurückzuführen und sicherlich auch ein erstes deutliches Warnsignal für größere klimabedingte Biodiversitätsveränderungen in Fließgewässern“, so Wolter.

Störe sind besonders gefährdet: Sieben der acht in Europa vorkommenden Störarten sind europaweit „vom Aussterben bedroht“, die achte gilt inzwischen als „stark gefährdet“. Nur vom Sterlet gibt es in Deutschland eine kleine Population, die sich wahrscheinlich selbst erhält. Der Europäische Stör und der Baltische Stör hingegen halten sich aktuell nur durch Besatzmaßnahmen, die in Deutschland vom IGB koordiniert werden.

Ein junger Baltischer Stör
Ein junger Baltischer Stör © Nadja Wohlleben Photography

Lichtblicke vor allem durch Besatz und Renaturierung

Auch der Atlantische Lachs gilt nach wie vor als „vom Aussterben bedroht”. Die Tiere, die in deutschen Meeresgebieten gefangen werden, stammen überwiegend aus Besatzprogrammen. In Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Sachsen ist man jedoch vorsichtig optimistisch, dass die Lachsbestände dort vielleicht auch ohne Besatz nicht aussterben würden. Stabil sind die Bestände aber noch lange nicht. „Die Durchgängigkeit der Flüsse für Wanderfische wie den Atlantischen Lachs muss weiter verbessert werden, allein schon um die Gefährdung dieser kälteliebenden Art durch den Klimawandel abzumildern“, empfiehlt Wolter. Auch bei den globalen Lachsbeständen ist Vorsicht geboten. Laut IUCN (International Union for Conservation of Nature and Natural Resources) sind diese zwischen 2006 und 2020 um 23 Prozent zurückgegangen.

Die seit vielen Jahren mit großem Engagement durchgeführten Wiederansiedlungsprojekte zeigen nicht nur beim Lachs erste Erfolge. Buntflossenkoppe, Maifisch und Perlfisch profitieren ebenfalls davon. „Diese Erfolge zeigen, dass Besatz sinnvoll sein kann. Dauerhaft können die Bestände aber nur erhalten werden, wenn wir dem Gewässerschutz und der Renaturierung endlich eine höhere Priorität einräumen“, so Wolter.

Stabilste Bestandszunahme bei invasiver Fischart

Nicht zu vergessen sind die Herausforderungen durch invasive Arten. Das Arteninventar der Süßwasserfische hat sich seit 2009 auch durch die Etablierung von sieben weiteren gebietsfremden Arten in Deutschland deutlich verändert; 21 sind es damit insgesamt. Allerdings hat sich noch keine dieser seit 2009 neu etablierten Fischarten stark ausgebreitet.

Einige zuvor schon etablierte gebietsfremde Fischarten sind hingegen weit verbreitet und regional häufig: Goldfisch, Blaubandbärbling, Sonnenbarsch und Schwarzmundgrundel. „Die Bestände dieser vier bereits vor 2009 etablierten Arten haben in den letzten 14 Jahren noch einmal deutlich zugenommen. Vor allem die Schwarzmundgrundel breitet sich aus, wird aber vermutlich auch von Anglerinnen und Anglern sowie Menschen mit Aquarium in die Gewässer eingesetzt“, erklärt Wolter.

 

Weiterführende Informationen

Herausgegeben wurde die aktuelle rote Liste als Heft 170/6 in der Schriftenreihe “Naturschutz und Biologische Vielfalt” des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) in Zusammenarbeit mit dem Rote-Liste-Zentrum : NaBiV 170/6 – Rote Liste und Gesamtartenliste der sich im Süßwasser reproduzierenden Fische und Neunaugen (Pisces et Cyclostomata) Deutschlands

Institution: Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)
Ansprechpartner/in: Dr. Christian Wolter

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