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Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e.V.

Die Kunst des Besserwissens  

Klimawandel Landwirtschaft 4.0 Pflanzenschutz Schädlinge
© Andreas Dress | Unsplash

Text: TOM BAUMEISTER

Vorbei sind die Zeiten, in denen künstliche Intelligenz nur in Science-Fiction vorkommt. Dank immer leistungsfähigerer Computer wird sie mehr und mehr zum wichtigen Bestandteil unseres Lebens. Auch die Landwirtschaft der Zukunft wird ohne künstliche Intelligenz nicht auskommen. Schon heute können Roboter und Drohnen einzelne Feldarbeiten übernehmen. In Zeiten des Klimawandels und Artensterbens stehen jedoch noch viel größere Aufgaben an. Künstliche Intelligenz soll dabei helfen, nachhaltige Agrarsysteme der Zukunft zu entwickeln. Doch bevor es soweit ist, muss auch sie noch einiges dazulernen.

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Argwöhnisch betrachtet Landwirt Schulz die verfaulten Stellen an seinem Mais. Er kann noch nicht genau sagen, was seine Pflanzen schädigt. Ist es ein Pilz? Oder etwas anderes? Bedingt durch den Klimawandel tauchen zunehmend neuartige Schaderreger in seiner Region auf. Immer öfter kann sich Landwirt Schulz nicht mehr auf seine jahrzehntelangen Erfahrungen verlassen. Es braucht neues Wissen und neue Lösungen. Bislang ist nur eine kleine Ecke seines Feldes befallen, doch er muss schnell handeln! Ihm bleibt kaum etwas anderes übrig, als das Feld großzügig mit Pflanzenschutzmitteln zu besprühen und die benachbarten Betriebe zu warnen. Per Smartphone lassen sich die Neuigkeiten recht schnell verbreiten. Voraussetzung ist jedoch, dass sich auch alle Landwirtinnen und Landwirte miteinander vernetzen und der betroffene Betrieb freiwillig den unschönen Fund mitteilt.

Eine neue Zeit

Das Beispiel mit Landwirt Schulz ist nur fiktiv. Prof. Masahiro Ryo hilft es jedoch, zukünftige Herausforderungen und Möglichkeiten neuer Technologien aufzuzeigen. Ryo leitet am Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) die neue Arbeitsgruppe für »Künstliche Intelligenz«, oder kurz KI. »Auch erfahrene Landwirtinnen und Landwirte sind mit Blick auf neue Erkenntnisse, zum Beispiel zu Pflanzenschädlingen, der Wirksamkeit von Schutzmechanismen oder auch den klimatischen Veränderungen auf den persönlichen Austausch, Weiterbildungen und eigene Recherchen angewiesen«, so Ryo. »Das bedeutet zusätzlichen Arbeitsaufwand in dem sowieso schon recht vollen Alltag vieler Betriebe. Bis neues Wissen da ankommt, wo es gebraucht wird, kann es lange dauern.«

Ein per künstlicher Intelligenz gesteuerter Feldroboter hingegen ist mit einem Netzwerk aus hunderten weiteren Artgenossen und Drohnen verbunden. Dieses Netzwerk verfolgt die Ausbreitung von Krankheiten oder Schädlingen in einer Region mit hunderten Kameras gleichzeitig. Ein weiterer Vorteil: Das Netzwerk lässt sich auch mit weiteren Informationsquellen wie Wetter- und Klimadaten, Marktpreisen oder gesetzlichen Vorgaben koppeln. »Auch das Wissen, wie man den neuen Schädling sicher erkennt und befallene Pflanzen behandelt, kann man auf Knopfdruck abrufen, selbst wenn das Wissen aus einem anderen Land stammt«, so Ryo. Ein weiterer Vorteil: Mit moderner Maschinentechnik lassen sich exakt nur die Bereiche des Feldes behandeln, die wirklich betroffen sind. Auch andere Aufgaben, wie Düngen oder Unkrautvernichtung, erledigen sie nur dort, wo es notwendig ist. Das Ergebnis eines solchen sogenannten »Precision Farming« ist eine deutlich umwelt- und ressourcenschonendere Landwirtschaft.

Seit Jahren wird die notwendige Maschinentechnik für »Precision Farming« entwickelt und stetig verbessert. Erste autarke Maschinen kommen schon heute zum Einsatz, zum Beispiel in der Unkrautkontrolle. Doch weit verbreitet ist »Precision Farming« noch nicht. »Wie so vieles in der Landwirtschaft ist die Umstellung mit sehr hohen Investitionen verbunden, die lange im Voraus geplant werden müssen. Auch ist die Technik vielerorts noch nicht wirtschaftlich einsetzbar. Um sie auf die vielfältigen Bedarfe in den Betrieben zu schulen, fehlen uns oft die Daten, zum Beispiel zu den konkret ausgebrachten Mengen von Pflanzenschutzmitteln«, erklärt Ryo. Ein Problem: Die notwendigen Daten sind auch aus Gründen des Betriebsdatenschutzes nicht einfach zu bekommen. »Hier braucht es eine vertrauensvolle Kooperation der Forschung mit den Betrieben. Wichtig ist dabei, dass Daten anonymisiert erhoben werden«, so Ryo. »Und wir brauchen auch ein deutlicheres politisches Bekenntnis zum «Precision Farming» in Form von Unterstützung auf der einen, aber auch Kontrollen auf der anderen Seite.«

Eine KI lernt nie aus

Prof. Ryo und Forschende in der ganzen Welt sehen für die Zukunft noch komplexere Aufgaben für die künstliche Intelligenz. So soll sie uns zukünftig angesichts der Herausforderungen des Klimawandels mit Vorhersagen helfen. Welche Wetterlagen sind vermehrt zu erwarten? Wie passe ich meinen Betrieb daran an? »Wenn wir in der landwirtschaftlichen Forschung von Vorhersagen sprechen, reden wir eigentlich immer von Computermodellen«, so Ryo.

Bislang kommt künstliche Intelligenz in sogenannten »datengetriebenen Modellen« zum Tragen. Diese sagen noch nicht die Zukunft voraus, helfen aber dabei zu verstehen, wie zum Beispiel landwirtschaftliche Erträge in den letzten Jahren vom Klima beeinflusst wurden. »Kurz gesagt, speist man datengetriebene Modelle mit sehr großen Mengen an Daten, dann zeigen sie die wichtigsten Zusammenhänge auf«, erklärt Ryo. All das passiert in einer Schnelligkeit und mit einem Komplexitätsverständnis, wie es kein Mensch leisten könnte. »Wie gut diese Modelle funktionieren, lässt sich überprüfen, in dem man die Ergebnisse mit den real erhobenen Zahlen vergleicht. Wie genau die Modelle jedoch auf ihre Ergebnisse kommen, ist für uns ab einem gewissen Punkt kaum mehr nachvollziehbar.« Er spricht damit ein nicht unerhebliches Problem an: »Eine künstliche Intelligenz, die zukünftig konkrete Vorhersagen macht, dürfte mindestens genauso komplex funktionieren, wie unsere jetzigen Modelle. Bei kleineren Vorhersagen und Empfehlungen würden sich viele Betriebe wahrscheinlich schnell auf die künstlich gesteuerten Maschinen verlassen. Bei großen Entscheidungen sieht das jedoch anders aus«, gibt Ryo zu bedenken. Angenommen, ein Modell gibt die konkrete Empfehlung, ein Betrieb solle seine gesamte Planung für die folgenden Jahre komplett umstellen und andere Fruchtarten anbauen. Auch wenn das Modell damit richtig läge, müssten die Landwirtinnen und Landwirte doch nachvollziehen können, wie es zu dieser Empfehlung kam. »Ist eine Entscheidung zu wichtig, kann man der Maschine nicht einfach blind vertrauen, denn die Verantwortung liegt am Ende immer noch beim Menschen«, so Ryo.

Bis »Künstliche Intelligenz« überhaupt zu solchen Vorhersagen fähig ist, muss sie ohnehin noch vieles dazulernen. Die Arbeitsgruppe um Prof. Ryo arbeitet momentan an einem Modell, das mit Hilfe von Drohnenaufnahmen und Feldmessungen Ernteerträge präzise vorhersagt. Künstliche Intelligenz hilft ihnen auch bei der Erstellung einer Kartierung, um die Vielfalt von Agrarlandschaften in Brandenburg flächendeckend zu erfassen. Eine gut geschulte KI erkennt so anhand von Bildern, was genau wo gerade wächst. Den Gedanken der Vernetzung treibt das ZALF seit Jahren etwa als Koordinator von Projekten wie DAKIS (Digital Agricultural Knowledge and Information System) voran. Mit der neuen Arbeitsgruppe ist das ZALF nun zusätzlich Partner im Netzwerk »Articial Intelligence (AI) and Internet of Things (IoT) for Digital Agriculture«. Alles trägt dazu bei, künstliche Intelligenz für ihre Aufgabe in der Landwirtschaft zu schulen. In jedem Fall steht Prof. Ryo dem Vormarsch der intelligenten Maschinen positiv gegenüber: »Anders als in vielen Science-Fiction-Filmen werden sie nicht die Weltherrschaft an sich reißen. Stattdessen werden sie eher dabei helfen, unsere Kartoffeln zu ernten.«

Der Ingenieur Prof. Masahiro Ryo leitet die Arbeitsgruppe »Künstliche Intelligenz« der Forschungsplattform »Datenanalyse und Simulation« des ZALF. Darüber hinaus ist er Professor für Umweltdatenwissenschaften an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg
Der Ingenieur Prof. Masahiro Ryo leitet die Arbeitsgruppe »Künstliche Intelligenz« der Forschungsplattform »Datenanalyse und Simulation« des ZALF. Darüber hinaus ist er Professor für Umweltdatenwissenschaften an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg © Tom Baumeister | ZALF
Institution: Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e.V.
Ansprechpartner/in: Prof. Masahiro Ryo

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