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Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK)

Elf Kartoffeln am Tag  

Biodiversität Landwirtschaft Nachhaltigkeit Naturschutz
Kartoffel-Vielfalt in den Anden © Manuela Nagel | IPK

Text: CHRISTIAN SCHAFMEISTER

Der Crop Trust hat Manuela Nagel 2021 mit einer Aktualisierung der Konservierungsstrategie für Kartoffeln beauftragt. Die Arbeit führte die IPK-Wissenschaftlerin am Ende auch zu Bauern nach Peru, die die Knollen seit mehr als 8.000 Jahren in den Hochlagen der Anden anbauen.

Für diejenigen, die lieber hören, statt lesen

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Es geht für Manuela Nagel hoch hinauf Ende September, genauer gesagt auf 3.500 bis 4.000 Meter. Die IPK-Wissenschaftlerin ist in diesen Tagen in Peru und besucht in den Anden bei Huancayo zwei Bauern, die in den Höhenlagen ihre Kartoffeln anbauen. Seniore Jose Inga und Rosendo Mesa gehören zur Gruppe der Aguapan, der Asociación de Guardianes de la Papa Nativa del Centro del Perú. Diese Gruppe umfasst inzwischen mehr als 100 Bauern. Sie werden von zwei niederländischen Kartoffelzüchtern unterstützt und haben sich den Erhalt der Vielfalt auf die Fahnen geschrieben. „Jeder, der in der Gruppe mitmacht, hat auf seinen Flächen mindestens 50 andische Landrassen, die teilweise von den Vätern weitergegeben wurden“, erzählt Manuela Nagel. Doch der Anbau der Sorten erfolgt nicht auf einzelnen, voneinander getrennten Feldern. „Auf jedem einzelnen Feld werden mehrere Sorten gemischt angebaut. Die sogenannten „Miski Papa“ unterscheiden sich nicht nur in den Sorten, sondern entspringen auch entweder Saatkartoffeln oder biologischen Samen. Die Vielfalt findet sich also auf jedem einzelnen Feld“, sagt Manuela Nagel. Und das bringt enorme Vorteile. „So besitzen die verschiedenen Landrassen unterschiedliche Resistenzen und Toleranzen, wodurch sich Krankheiten und Schädlinge nicht so schnell ausbreiten können. Des Weiteren wird durch eine solche Form des Anbaus auch die evolutionäre Entwicklung angeschoben und die Pflanzen können sich im Feld den Herausforderungen sich ändernder Umweltbedingungen anpassen.“

Kartoffeln, das muss dazu gesagt werden, sind eigentlich nicht das Spezialgebiet Manuela Nagels. Vielmehr leitet sie am IPK Leibniz-Institut die Arbeitsgruppe „Cryo- und Stressbiologie“. Konkret beschäftigt sich die Arbeitsgruppe mit der Kryokonservierung von pflanzengenetischen Ressourcen, die nur klonal erhalten werden können. In einer der weltweit größten Pflanzen-Kryobanken sind bei minus 196 Grad aber eben auch 2.000 Kartoffel-AkzessionenAkzessionenMuster einer Pflanzenart oder -sorte in flüssigem Stickstoff eingelagert. Und daher kam der „Crop Trust“ auf die Wissenschaftlerin des IPK zu, als er eine Expertin suchte, die die Konservierungsstrategie für Kartoffeln aktualisieren sollte. „Meine Eltern betreiben zwar Kartoffelanbau, ich hatte aber bisher kein tiefgründiges wissenschaftliches Wissen über Kartoffeln außerhalb der Kryokonservierung“, erklärt Manuela Nagel. Dennoch reizte sie die Herausforderung und so sagte sie zu.

Nach dem Start im Mai 2021 arbeitete sich Manuela Nagel immer tiefer in das Thema ein. Sechs Monate später organsierte und leitete sie im November 2021 ein Treffen mit 80 internationalen Expertinnen und Experten. Und im Februar 2022 reichte sie letztlich ihre 192 Seiten umfassende Strategie beim „Crop Trust“ ein. Eine Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Ihr Konzept, so die Antwort, sei eine der umfassendsten Strategien aller Kulturpflanzenstrategien. „Das hat mich natürlich sehr gefreut und damit hat sich die Arbeit dann ja auch gelohnt“, sagt Manuela Nagel. Damit ihre Strategie eine solide Grundlage hat, hat die IPK-Wissenschaftlerin 32 Genbanken weltweit befragt und mit 19 international renommierten Kartoffelexperten zusammengearbeitet, um am Ende zehn zentrale Empfehlungen für die Erhaltung der Kartoffelvielfalt zu geben. Diese beinhalten die Notwendigkeit der Genotypisierung aller Kartoffelsammlungen, um die taxonomische Charakterisierung zu verbessern, sowie Duplikate und vorhandene Lücken zu erkennen. Auf dessen Grundlage kann aktiv gesammelt und die Erhaltung auf lateinamerikanischen Feldern gezielt unterstützt werden.

Eingeflossen in die Strategie sind jedoch auch zahlreiche selbstgestaltete Grafiken – zum globalen Siegeszug der Kartoffel, zum genetischen Hintergrund der heutigen Kulturkartoffel und der Sammlungen in den Genbanken weltweit sowie zu Züchtungsstrategien. Des Weiteren konnte sie die Begeisterung des Berliner Künstlers Uli Westphal gewinnen, der eigens für die Kartoffelstrategie eine Sonderedition seines Bildes „The Cultivar Series – Solanum tuberosum“ gestaltete. Veröffentlicht wird die Strategie vom „Crop Trust“ und wird zudem durch eine Sonderausgabe zum Thema „Langzeit-Erhaltung von Kartoffelvielfalt“ im renommierten Wissenschaftsmagazin „Frontiers in Plant Science“ begleitet.

Um ihren Wissensdurst weiter zu stillen, konzentriert sich Manuela Nagel zudem auf die „in situ“ Erhaltung der Kartoffel, also die Erhaltung im ursprünglichen Verbreitungsgebiet. Dazu ist bisher noch relativ wenig in wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlicht. Deshalb reiste Manuela Nagel nach Peru, wo die Kartoffel ihren Ursprung hat. Dort, im Hochland der Anden, sind die Vielfalt an Landrassen und die der Wildsorten weltweit am höchsten. Dass die Reise dorthin möglich war, ist ein Stückweit der Pandemie zu verdanken. „Da wir das Treffen im November 2021, anders als geplant, nur virtuell durchführen konnten, waren Projektgelder übrig, und so konnte Peter Giovannini, der Koordinator des Projekts beim Crop Trust, diesen Wunsch erfüllen.“ Und so steht Manuela Nagel eben im September 2022 mit den Bauern in den Anden und schaut ihnen bei ihrer Arbeit über die Schultern und kann mit ihnen ins Gespräch kommen.

„Ich war schockiert und fasziniert zugleich“, schildert die Wissenschaftlerin ihre Eindrücke nach der Rückkehr. Auf der einen Seite sei es erschreckend gewesen, wie viel harte körperliche Arbeit hinter dem Anbau in den Höhenlagen der Anden stecke. Auf der anderen Seite sei es jedoch faszinierend, die enorme Vielfalt, aber auch die Begeisterung der Bauern für ihre Arbeit zu erleben. „Sie hatten häufig ein Leuchten in den Augen, wenn sie uns von ihrer Arbeit und IHREN Kartoffeln erzählten.“

Doch die Idylle täuscht, der fortschreitende Klimawandel, sagt Manuela Nagel, wirke sich auch auf den Kartoffelanbau in den Anden aus. Die Wetterextreme nähmen in der Region ebenso zu wie die Zahl der Krankheitserreger. „Und dann setzen viele Bauern halt doch recht unbedarft Spritzmittel ein.“ Verschärft werde die Lage der Bauern auch durch die wachsende internationale Konkurrenz. „Das wirtschaftliche Interesse im Anbau einer Kulturpflanze und der Wunsch nach Erhalt einer möglichst großen Vielfalt passen oft nicht zusammen“, sagt Manuela Nagel. „Letztlich berauben wir uns selbst der enormen Vielfalt, dabei ist die Erhaltung der Biodiversität auch von Kulturpflanzen enorm wichtig. Diese bilden eine Grundlage zur evolutionären, wie auch zur züchterischen Weiterentwicklung der Kulturpflanze.“ Immerhin: die Gruppe der 100 Aguapan Bauern wird inzwischen von zwei niederländischen Züchtungsunternehmen unterstützt – und es können gerne mehr werden. Derzeit werben Klaus Dehmer, Kurator der IPK-Kartoffelsammlung, und Stef de Han, Koordinator des In-situ-Erhaltungsprogramm am „International Potato Center“ (CIP), bei deutschen Kartoffelzüchtern um Unterstützung für dieses Herzensprojekt.

Während ihres einwöchigen Aufenthaltes besuchte Manuela Nagel auch noch das CIP in Huancayo und am Hauptsitz in Lima. Dieses gilt mit seinen 7.500 AkzessionenAkzessionenMuster einer Pflanzenart oder -sorte bestehend aus überwiegend südamerikanischen Landrassen und über 4.000 Kryoakzessionen als eine der wichtigsten Genbanken für Kartoffeln. Außerdem machte sie Station im berühmten „Potato Park“ in Cusco, dessen Bewohner, die Quenchua, sich auf 12.000 Hektar um die Lebenderhaltung von mehr als 4.000 Kartoffelsorten kümmern. Fünf lokale Bevölkerungsgruppen bewahren hier Quenchua Traditionen und beschützen neben dem kulturellen Erbe auch das sensible Ökosystem der Region. Die Knolle wurde vor 8.000 Jahren auf der Hochebene rund um den Titicaca-See domestiziert, also in der heutigen Gegend von Süd-Peru und West-Bolivien. Spanische Seefahrer brachten dann im 16. Jahrhundert erste Kartoffelpflanzen nach Teneriffa und dann zum europäischen Festland. „Unsere heutige Kulturkartoffel kommt aber zu einem großen genetischen Teil nicht aus Peru, sondern aus Chile“, erklärt Manuela Nagel. Diese blühen im sogenannten Langtag, also bei mehr als zwölf Stunden Licht, und sind damit besser an europäische Bedingungen angepasst. Solche Tage gebe es jedoch in Peru aufgrund der Nähe zum Äquator im Sommer nicht, erklärt die IPK-Wissenschaftlerin.

Und was gab es für sie zu essen? Natürlich Kartoffeln – und das jeden Tag. Geht das? „Ja, das geht“, sagt Manuela Nagel. „Ein Bauer hat mir erzählt, er esse jeden Tag elf Kartoffeln: drei zum Frühstück, fünf zum Mittag und drei zum Abendbrot.“

IPK-Wissenschaftlerin PD Dr. Manuela Nagel beim traditionellen Frühstück mit den Papa Arariwa, den Wächtern der Kartoffel, im Potato Park bei Cusco.
IPK-Wissenschaftlerin PD Dr. Manuela Nagel beim traditionellen Frühstück mit den Papa Arariwa, den Wächtern der Kartoffel, im Potato Park bei Cusco. © IPK
Erschien zuerst im/auf: IPK-Journal 2022-2
Institution: Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK)
Ansprechpartner/in: Manuela Nagel

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