Erntereste effizienter nutzen

Text: HEIKE KAMPE
Sie bleiben übrig, wenn die Ernte schon eingefahren ist: Erntereste wie Stroh oder Blätter. Was jetzt mit diesem Material geschieht, kann großen Einfluss auf den Humusgehalt im Boden und damit auf dessen Fruchtbarkeit sowie die Klimabilanz haben. Forschende des ZALF suchen Wege für die optimale Nutzung des Restmaterials auf unseren Feldern.

Wenn der Mähdrescher die Getreidepflanzen geschnitten, das Korn aus den sie umhüllenden Spelzen gelöst und die Ernte aus seinem Korntank auf die Hänger der wartenden Traktoren umgeladen hat, wird es ruhig auf dem Feld. Zurück bleiben abgestorbene Pflanzenreste, Stoppeln, Stroh und Wurzeln in der Erde. Oft wird das Stroh später zu Ballen gepresst und als Einstreu in den Ställen verwendet. Ein Teil davon wird aber auch schon während der Ernte klein gehäckselt und bleibt auf dem Feld. Dann machen sich zahllose Würmer, Asseln, Bakterien und Pilze über die wertvolle Nahrung her. Ein ganzes Heer von Bodenorganismen zersetzt das pflanzliche Material, zieht es in unterirdische Gänge, zerkleinert und verdaut es zu Humus.
Wie ein Schwamm speichert der Humus im Boden Wasser und Nährstoffe. Über die sogenannte Humusbilanzierung errechnen Landwirtinnen und Landwirte, wie sie den Gehalt des wertvollen Stoffs, den Fachleute auch als »organischen Kohlenstoff« bezeichnen, im Gleichgewicht halten können. Die Art der Bewirtschaftung, die angebauten Früchte, die Düngung und viele weitere Faktoren entscheiden über den Auf- und Abbau des Humus. Je höher sein Gehalt, desto fruchtbarer und gesünder ist der Boden. »Es gibt eine lange Liste positiver Effekte«, betont der Agrarökologe Dr. Tommaso Stella. »Von der höheren Wasserspeicherkapazität bis hin zum Schutz vor Erosion.«

Böden im Gleichgewicht und ihre Rolle als Kohlenstoffspeicher
Dr. Ioanna Mouratiadou und Dr. Tommaso Stella erforschen gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der Universitäten von Utrecht und Bonn im EU-geförderten Projekt »SUSTAg«, welche Rolle Erntereste für die Kohlenstoffbalance im Boden spielen. Gleichzeitig wollen sie herausfinden, wie das Material bestmöglich für die Produktion von Bioenergie genutzt werden kann, ohne dabei dem Boden zu schaden. »Als Bioenergieressource könnten Erntereste einen wichtigen Beitrag dafür leisten, die Ziele der UN-Klimakonferenz 2015 zu erreichen, zum Beispiel durch Verringerung des Verbrauchs fossiler Brennstoffe«, sagt Mouratiadou.
Auf der UN-Klimakonferenz 2015 wurde unter anderem die Initiative »4 pro 1000« gestartet, die erreichen will, den Anteil des organischen Kohlenstoffs in den oberen Bodenschichten jedes Jahr um 0,4 Prozent zu erhöhen. Wachsende Pflanzen entziehen der Luft durch Photosynthese Kohlendioxid, nutzen den umgewandelten Kohlenstoff für ihr Wachstum und geben Sauerstoff wieder an die Atmosphäre ab. Wenn dieses Pflanzenmaterial als organischer Kohlenstoff dauerhaft im Ackerland gespeichert wird, entzieht dies der Erdatmosphäre klimawirksames Kohlendioxid. Dadurch könnte ein Teil der vom Menschen verursachten CO2-Emissionen ausgeglichen und das Klima sehr effektiv geschützt werden. Gegenwärtig verlieren die meisten landwirtschaftlich genutzten Böden jedoch mehr organischen Kohlenstoff als sie binden – die Bilanz ist vielerorts negativ. Es gilt also sehr genau abzuwägen, ob Erntereste für die Bioenergieerzeugung genutzt oder besser auf den Feldern verbleiben sollten.

Erntereste als Energieressource
»Energie aus Ernteresten zu gewinnen, hat zwar den großen Vorteil, dass es keine Konkurrenz zwischen der Nahrungsmittelproduktion und der Energieproduktion gibt«, erklärt Mouratiadou. Anders ist das etwa beim Maisanbau, bei dem große Ackerflächen allein für die Biomasseproduktion für Biogasanlagen genutzt werden und damit für den Lebensmittelanbau nicht mehr zur Verfügung stehen. »Wenn aber zu viel Material vom Feld genommen wird, sinkt der Kohlenstoffgehalt, was sich wiederum auf die Fruchtbarkeit des Bodens und die Klimawirksamkeit auswirkt«, erklärt die Agrarökonomin den Zwiespalt.
In Interviews mit Landwirtschaftsbetrieben, Behörden und Verbänden in Nordrhein-Westfalen erfragten die Wissenschaftler, welche Barrieren und Bedenken aktuell verhindern, dass aus dem Material Bioenergie erzeugt wird. Dabei zeigte sich, dass die Angst vor dem Verlust von Humus und damit von Bodenfruchtbarkeit tatsächlich die größte Sorge ist. Deshalb lassen die Landwirtinnen und Landwirte einen Teil der Pflanzenreste nach der Ernte auf den Feldern zum Verrotten zurück, um den Humus in ihren Böden zu erhalten. Der Rest gelangt vor allem als Einstreu in Ställe oder wird zu Substrat für Pilzzuchten oder zur Mulchdecke für Erdbeerfelder. Diese konkurrierenden Nutzungsformen, aber auch technologische Begrenzungen und fehlende finanzielle Anreize führen dazu, dass Erntereste bisher wenig genutzt werden, um Energie zu gewinnen.
Doch in diesem System gibt es noch Raum für Entwicklungen, ist Mouratiadou überzeugt. »Es braucht ein optimiertes Management, für eine gute Balance zwischen Bodengesundheit und energetischer Nutzung.« Wie ein solches Management aussehen kann, bei dem die Erntereste möglichst emissionsarm und bodenschonend zur Energieerzeugung genutzt werden könnten, ermittelten die Forschenden mithilfe von mathematischen Modellen und für verschiedene Management-Szenarien.

Entscheidungshilfen für Landwirte
»Eine Pauschallösung für das beste Management gibt es nicht«, betont Tommaso Stella. Agrarsysteme sind komplex. Klima, Boden, Art der Bodennutzung – all das hat Einfluss auf Emissionen, Erträge und den Kohlenstoffkreislauf. Die mathematischen Simulationen unterstützen dabei, die bestmöglichen Maßnahmen zu errechnen. Als ein wichtiger Faktor erweist sich die Bodenbeschaffenheit: »Auf sandigen Böden kann es sogar sinnvoll sein, die gesamte Biomasse aus Ernteresten auf den Feldern zu lassen«, betont Stella. Bisher würden etwa Bodeneigenschaften in den Bilanzierungen des Humusgehalts wenig berücksichtigt. Dabei macht es große Unterschiede, ob ein Betrieb in der sandigen Uckermark oder auf den reichen Böden der Magdeburger Börde seine Erntereste unterpflügt. Der Bodentyp müsste in der Humusbilanzierung berücksichtigt werden, empfehlen die Forschenden.
Wichtig ist den Wissenschaftlern aber auch, dass allein das gute Management von Ernterückständen nicht ausreichen wird, um das Problem der abnehmenden Humusgehalte zu lösen. Wie der Boden bearbeitet und gedüngt wird oder welche Zwischenfrüchte angebaut werden – all das sind weitere wichtige Puzzleteile, die für das Gesamtbild entscheidend sind. »Unsere Simulationen liefern Hinweise dafür, wie die Systeme auf bestimmte Änderungen reagieren und ermöglichen bessere Vorhersagen«, sagt Stella. Für die Landwirtinnen und Landwirte können daraus nützliche Instrumente und Entscheidungshilfen entstehen, die anzeigen, unter welchen Bedingungen Ernterückstände für Bioenergie genutzt werden können oder wann sie besser auf dem Feld verbleiben.
»Es hängt auch davon ab, was sich die Landwirtinnen und Landwirte und die Gesellschaft für ihren Betrieb und für ihre Region wünschen«, betont Mouratiadou. »Es gibt komplexe Wechselwirkungen zwischen wirtschaftlichen Faktoren, dem Emissionslevel, der Bodengesundheit, der Wasserqualität und vielem mehr.« Landwirtschaftliche Flächen sind nicht alle gleich und ihre Nutzung unterscheidet sich. Es braucht ein Management, das diese unterschiedlichen Ansprüche gut ausbalanciert. Die Forschungsergebnisse von Stella und Mouratiadou zeigen, dass ein integriertes, auf den Standort angepasstes Management von Ernteresten auf der Grundlage von Humusausgleich, optimierter Düngung und winterlicher Bodenbedeckung die größten Potenziale bietet, diese Interessenskonflikte auszugleichen.
Weiterführende Informationen:
Publikation: Tommaso Stella, Ioanna Mouratiadou, Thomas Gaiser, Michael Berg-Mohnicke, Evelyn Wallor, Frank Ewert and Claas Nendel (2019): Estimating the contribution of crop residues to soil organic carbon conservation. Environmental Research Letters, Vol. 14, No. 9. IOP Publishing Ltd.
