In Zusammenarbeit mit:

Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF)

Risikobereitschaft von Landwirtinnen und Landwirten in Europa und deren Auswirkung  

Agrarpolitik Landwirtschaft
Für die Studie kamen Lotterien zum Einsatz.
© Rudy and Peter Skitterians | Pixabay

Text: BETTINA MATZDORF, CHRISTOPH SCHULZE & JENS ROMMEL

Unsere neue Studie zeigt, dass die meisten Landwirtinnen und Landwirte in elf europäischen Landwirtschaftssystemen Risiken meiden. Sie empfinden Verluste stärker als Gewinne und nehmen kleine Wahrscheinlichkeiten verzerrt wahr. Ein Team des ZALF unter der Leitung von Bettina Matzdorf koordinierte den deutschen Teil der Studie. Die Ergebnisse haben für die Politikgestaltung hohe Relevanz, da aus den Risikoeinstellungen auch Schlussfolgerungen zur Akzeptanz von Politik geschlossen werden können.

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Motivation und methodischer Ansatz

In einem Team von 28 Forschenden eines Netzwerks zur Förderung ökonomischer Experimente haben wir die Risikobereitschaft von 1.430 Landwirten aus elf europäischen Ländern untersucht. Die Studie baute stark auf einer früheren Arbeit französischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf. Ziel dieser hier länderübergreifenden Studie war es, die Erkenntnisse aus einer früheren französischen Veröffentlichung zu replizieren bzw. nachzubilden und zu schauen, ob sich Landwirtinnen in anderen landwirtschaftlichen Gegebenheiten ähnlich verhalten wie in der Ausgangsstudie. Ackerbauern in Österreich, Deutschland, den Niederlanden und Schweden, Weinbauern in Kroatien, Kartoffelbauern im Norden Frankreichs, Ökolandwirte im Nordwesten Frankreichs, Olivenbauern in Apulien (Süditalien) und Andalusien (Spanien), Nachwuchslandwirte in Slowenien und Landwirte mit verschiedenen Spezialisierungen in Polen waren Teil der Stichproben. Primäres Ziel dabei war herauszufinden, ob die Ergebnisse der französischen Studie repliziert werden können, bzw. ob es länderspezifische Unterschiede in den Risikoeinstellungen gibt.

Um Erkenntnisse zur Risikobereitschaft von Landwirtinnen und Landwirten gewinnen zu können, haben wir Lotterien verwendet, bei denen für die Teilnehmenden echtes Geld auf dem Spiel steht. Dieser Ansatz hat den Vorteil, dass sich allgemeine Parameter der Risikoeinstellung schätzen lassen, welche dann auch in andere Modelle der Politikfolgenabschätzung Eingang finden können. Die von uns verwendete Lotterie kann zwischen RisikoaversionRisikoaversionDie Risikoaversion ist eine Eigenschaft eines Entscheidungsträgers, bei der Wahl zwischen mehreren Alternativen gleichen Erwartungswerts stets die Alternativen mit dem geringeren Risiko zu wählen, d.h., Risiken werden vermieden. bzw. Risokoscheu, VerlustaversionVerlustaversionVerlustaversion bedeutet in der Psychologie und Ökonomie die Tendenz, Verluste höher zu gewichten als Gewinne. und der verzerrten Wahrnehmung kleiner Wahrscheinlichkeiten, die zu Über- oder Unterschätzungen führen können, unterscheiden. Dies spielt vor allem bei Themen wie zum Beispiel Extremwetterereignissen oder Ernteausfällen eine Rolle, da diese seltener eintreten, als von den Landwirtinnen erwartet.

Ergebnisse

Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Landwirte, im Durchschnitt, Risiken vermeiden. Dabei liegen die spanischen und italienischen Olivenbauern und die französischen Kartoffel- und Ökobauern vor anderen Teilnehmenden. Im Durchschnitt zeigen die Landwirte eine VerlustaversionVerlustaversionVerlustaversion bedeutet in der Psychologie und Ökonomie die Tendenz, Verluste höher zu gewichten als Gewinne. . Diese war besonders stark bei den spanischen Olivenbauern ausgeprägt. Die meisten Teilnehmenden zeigten außerdem eine verzerrte Wahrnehmung kleiner Wahrscheinlichkeiten.

In der nachstehenden Abbildung beschreibt die RisikoaversionRisikoaversionDie Risikoaversion ist eine Eigenschaft eines Entscheidungsträgers, bei der Wahl zwischen mehreren Alternativen gleichen Erwartungswerts stets die Alternativen mit dem geringeren Risiko zu wählen, d.h., Risiken werden vermieden. die Tendenz, weniger variable Ergebnisse vorzuziehen. Dies würde sich zum Beispiel darin zeigen, dass Landwirte lieber 200 Euro mit Sicherheit erhalten, als eine Münze zu werfen bei der sie 100 Euro für Kopf und 300 Euro für Zahl erhalten würden. Ein kleinerer Wert bedeutet eine höhere RisikoaversionRisikoaversionDie Risikoaversion ist eine Eigenschaft eines Entscheidungsträgers, bei der Wahl zwischen mehreren Alternativen gleichen Erwartungswerts stets die Alternativen mit dem geringeren Risiko zu wählen, d.h., Risiken werden vermieden. .

Die Abbildung zeigt den Durchschnitt der früheren Studie mit französischen Landwirten (BJR 2014) und Schätzungen für alle elf neu erhobenen Stichproben.
Die Abbildung zeigt den Durchschnitt der früheren Studie mit französischen Landwirten (BJR 2014) und Schätzungen für alle elf neu erhobenen Stichproben.

VerlustaversionVerlustaversionVerlustaversion bedeutet in der Psychologie und Ökonomie die Tendenz, Verluste höher zu gewichten als Gewinne. bedeutet, dass Risiken für Verluste und Gewinne unterschiedlich bewertet werden. Verluste verursachen in absoluten Zahlen mehr Kosten als gleich große Gewinne Nutzen erzeugen. Ein größerer Wert bedeutet größere VerlustaversionVerlustaversionVerlustaversion bedeutet in der Psychologie und Ökonomie die Tendenz, Verluste höher zu gewichten als Gewinne. .

Menschen neigen auch dazu, Ereignissen, die sehr unwahrscheinlich sind, mehr Bedeutung beizumessen. Ein Ereignis, das nur einmal in tausend Fällen eintreten würde (d. h. die objektive Wahrscheinlichkeit beträgt 0,1 %), kann beispielsweise als einmal in hundert Fällen eintretend empfunden werden (d. h. die subjektive Wahrscheinlichkeit beträgt 1 %). Dieser Parameter gibt Aufschluss darüber, warum einige Landwirte sich Sorgen über Überschwemmungen oder Hagel machen, die vielleicht seltener auftreten als erwartet. Wir schätzen einen Parameter, der das Ausmaß dieses Phänomens widerspiegelt. Je kleiner der Wert dieses Parameters ist, desto verzerrter ist die Wahrnehmung kleiner Wahrscheinlichkeiten.

Nicht alle Landwirte verhalten sich gleich, wenn sie mit Risiken konfrontiert sind, auch wenn wir gemeinsame Trends feststellen können. Es gibt eine große Heterogenität zwischen den elf Stichproben (wie in der obigen Grafik zu sehen ist), aber auch innerhalb jeder Stichprobe für Landwirte im selben Land und Bewirtschaftungssystem.

Unsere Schlussfolgerungen

Die Bestätigung, dass Landwirte risiko- und verlustscheu sind, ist an sich schon eine Erkenntnis, die zur Politikgestaltung, wie z.B. der gemeinsamen Agrarpolitik der EU, genutzt werden kann. Sie hat jedoch auch Auswirkungen auf andere Felder der Agrarökonomik. Forschende, die sich für die Modellierung des Verhaltens von Landwirten interessieren, haben nun eine Reihe von Schätzungen für die am häufigsten verwendeten Risikoparameter an der Hand, mit denen sie die Auswirkungen politischer Maßnahmen besser simulieren können. Politikmaßnahmen und Versicherungsprodukte können mit dem neuen Wissen gezielt auf die Präferenzen abgestimmt werden.

Risikpräferenzen von Landwirten in 11 europäischen Agrarsystemen: Kurzvideo zu einem Verhaltensexperiment welches mit 1430 Landwirten durchgeführt wurde. Die Studie wurde von Mitgliedern des REECAP-Netzwerks (www.reecap.org) durchgeführt. Das Video (mit deutschen Untertiteln) fasst die Arbeit zusammen.

Weiterführende Informationen

Die Studie wurde auf Englisch in der Zeitschrift Applied Economic Perspectives and Policy veröffentlicht und ist unter dem folgenden Link frei zugänglich:
Jens Rommel at al. (2022): Farmers’ risk preferences in 11 European farming systems: A multi-country replication of Bocquého et al., Applied Economic Perspectives and Policy published by Wiley Periodicals LLC on behalf of Agricultural & Applied Economics Association. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/aepp.13330

Die Originalstudie wurde 2014 auf Englisch veröffentlicht:
https://doi.org/10.1093/erae/jbt006

Unsere Studie basiert auf der Prospect Theory, die von Amos Tversky und Daniel Kahneman in den Jahren 1979 und 1992 entwickelt wurde. Einige der Ideen dieser Theorie wurden in Daniel Kahnemans internationalem Bestseller aus dem Jahr 2011 Schnelles Denken, langsames Denken popularisiert.

Eine englischsprachige Version des Artikels befindet sich hier: https://sites.google.com/view/reecap/our-research/reecap-replication-project-2020-2022

Erschien zuerst im/auf: querFELDein-Blog
Institution: Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF)
Ansprechpartner/in: Prof. Bettina Matzdorf, Christoph Schulze (ZALF) und Dr. Jens Rommel (SLU)

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