In Zusammenarbeit mit:

Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL Schweiz

Wasser und Gülle zu Futter machen  

Ernährung Gewässer Nachhaltigkeit Tierernährung
© Thomas Alföldi | FiBL

Text: BEAT GROSSRIEDER

Nutztiere verzehren Unmengen an Importfutter. Dabei könnte viel Protein aus Wasserlinsen kommen.

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Timo Stadtlander taucht seine rechte Hand in den grauen Wasserbehälter, in dem eine leuchtend grüne Masse schwimmt, und erklärt das Prinzip des exponentiellen Wachstums: «Die Masse verdoppelt sich zirka alle 36 Stunden. Ist ein Becken zur Hälfte zugewachsen, ist es übermorgen randvoll.» Das Grün, das der Co-Leiter Gruppe Tierernährung am Departement für Nutztierwissenschaften des FiBL mit der Hand sanft bewegt, ist derzeit sein Forschungsschwerpunkt. Es sind Wasserlinsen der Familie Lemnaceae, die er im Gewächshaus in Frick in Kisten ansetzt und dann in vier große Becken ins Freie gibt. Das Wasser der Linsenzucht reichert der Agronom mit Rindergülle an, die er vom FiBL-Hof bezieht.

Wasserlinsen gehören zu den am schnellsten wachsenden Pflanzen überhaupt und entwickeln dank der Gülle rekordhohe Nährwerte, sagt Timo Stadtlander. «Proteinertrag und Wachstum sind um ein Mehrfaches höher als alles, was wir aus dem Ackerbau kennen; das gibt der Pflanze Potenzial für die Nutztierernährung.» Unter optimalen Bedingungen erzielt die Kultur pro Hektare und Jahr bis zu 70 Tonnen Trockenmasse mit einem Proteingehalt von bis zu 40 Prozent. Was die FiBL-Versuche auch zeigen: Problemstoffe, die in Gülle enthalten sein könnten, nehmen die Linsen nicht in kritischem Maße auf. Weitere Tests haben ergeben, dass Fische, Geflügel und Schweine die Grünmasse gerne fressen. Wie in Asien genießen sie auch die Menschen, als Salat oder Gemüse. Wasserlinsen erforscht der FiBL-Fachmann seit 2015 – mit zunehmender Faszination. Zuerst sei er noch skeptisch gewesen, ob die grünen Winzlinge etwas taugten, doch Sponsoren wie die Landolt Duckweed Collection und später das Bundesamt für Landwirtschaft investierten in die Forschung. Als Erstes ging es um den Einsatz der Lemnaceae in der Forellenzucht, daraus ergab sich 2019 ein Coop-Projekt auf einer Farm für Biopangasius in Vietnam. Wasserlinsen wachsen im dortige Klima so gut, dass die Farm auf einen Teil ihrer Soja-Importe verzichten und ihren CO2-Ausstoß senken konnte.

Vor einem Jahr hat Timo Stadtlander ein Anschlussprojekt gestartet, das bis 2025 dauert und von Mercator und Vontobel getragen wird. Um die Linsenproduktion zu testen, betreibt er eine Outdoor-Pilotanlage. «Allenfalls lassen sich teils automatisierte Abläufe einbauen, denn Ernte und Verarbeitung der Linsen sind aufwendig», sagt der Forscher. Er will die Prozesse so optimieren, dass Bauernhöfe Wasserlinsen mit wenig Energie und Arbeit produzieren, ernten und zu Kraftfutter machen können. «Wobei die Trocknung aus Gründen der Energieeffizienz vielleicht in einer regionalen Anlage erfolgt, schließlich beträgt der Wasseranteil bei den Linsen etwa 90 Prozent.»

In einer Studie von 2021 im Auftrag von Greenpeace haben die Agrarökonomin Priska Baur und die Umweltwissenschaftlerin Patricia Krayer errechnet, dass viele Tierhalter in der Schweiz massiv über ihre Verhältnisse leben, die Biobranche eingeschlossen. Müssten sie auf importiertes Futter verzichten, könnten Geflügelbetriebe noch 17 Prozent ihrer Bestände halten, bei Schweinen wären es 39, bei Rindern 85 Prozent (gemessen an den Durchschnittsbeständen 2016–2018). Das nötige Kraftfutter stammt, so Priska Baur, «zu über 50 Prozent aus dem Ausland, bezogen auf die Proteine sogar zu 70 Prozent». Besonders bei Soja ist die Schweizer Tierproduktion praktisch vollständig importabhängig. Die jährlichen Importe betragen 340 000 Tonnen Sojabohnen, unsere Landwirtschaft produziert maximal 6000 Tonnen. Ohne Futterimporte ginge die Anzahl Nutztiere hierzulande von 74 auf 14 Millionen zurück, die produzierte Fleischmenge pro Kopf und Jahr von 42,6 auf 21 Kilo.

Präsentiert sich wie ein Perpetuum Mobile, das Wasser und Gülle in wertvolles Futterprotein verwandelt: Im Gewächshaus des FiBL im aargauischen Frick gedeiht die Wasserlinse Lemnacaea in Kisten. In die Außenbecken gebracht, verdoppelt sie ihre grüne Masse jeweils innert 36 Stunden. © Beat Grossrieder
Präsentiert sich wie ein Perpetuum Mobile, das Wasser und Gülle in wertvolles Futterprotein verwandelt: Im Gewächshaus des FiBL im aargauischen Frick gedeiht die Wasserlinse Lemnacaea in Kisten. In die Außenbecken gebracht, verdoppelt sie ihre grüne Masse jeweils innert 36 Stunden. © Beat Grossrieder

Tierfutter auf jedem zweiten Schweizer Acker

Die abgespeckte Tierhaltung würde viel Land freisetzen, auf dem direkt menschliche Nahrung gedeihen könnte. «In der Schweiz werden 80 bis 90 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen für die Produktion von Tierfutter verwendet, Wiesen und Weiden eingerechnet», sagt Priska Baur. Beim Ackerland allein seien es 40 bis 60 Prozent, vor allem für Futtergetreide und Mais. Im Ausland sind weitere Ackerflächen von rund 200 000 Hektaren nötig, um Futter für Schweizer Tiere anzubauen. Hier wie dort hat das Ausmaß der Tierproduktion negative Auswirkungen auf Böden, Wasser, Luft, Klima und Biodiversität. Hinzu kommen negative wirtschaftliche und soziale Folgen; von der industrialisierten Tierproduktion, besonders bei Schweinen und Geflügel, profitieren wenige große Akteure am meisten. Die Zürcher Agronomin kommt zum Schluss: «In der Schweiz gibt es zu viele Nutztiere, so ist eine nachhaltige Nahrungsmittelproduktion unmöglich. Die Tierproduktion verschwendet wertvolle natürliche Ressourcen und belastet die Ökosysteme stärker, als die Natur auf Dauer verkraften kann.»

Und Bio? Einer der zentralen Grundsätze ist ja der geschlossene Kreislauf; ein Hof soll nur das produzieren, was er aus eigener Kraft stemmen kann. Beim Futter aber wird das Kreislaufideal brüchig, vor allem in der Hühner- und Schweinehaltung. Fatos Brunner, Produktmanagerin Ackerkulturen bei Bio Suisse, rechnet vor: In den letzten fünf Jahren haben Biotierbetriebe vom Genfer- bis zum Bodensee im Schnitt 30 000 Tonnen Futtergetreide (mit Auswuchs und Mischsaaten) aus dem Inland sowie rund 20 000 Tonnen Soja und Futterkuchen mehrheitlich aus dem Ausland nachgefragt. Aktuell beträgt der Selbstversorgungsgrad 59 Prozent, wobei er beim Getreide viel höher ist als beim Soja, hier liegt die Inlandproduktion bei 900 Tonnen pro Jahr. «Seit 2019 beziehen wir sämtliche Futtermittel nur noch aus der EU», betont Fatos Brunner, brasilianisches Soja sollte also auf Knospe-Höfen nicht mehr zu finden sein. Überdies verlangen die Bio-Suisse-Richtlinien seit diesem Jahr für Wiederkäuer ausschließlich Schweizer Futter. Könnten Biohöfe nicht bei allen Tieren auf Futterimporte verzichten? «Dafür müssten die Anbauflächen massiv wachsen. Ob es dann reichen würde, kann ich nicht sagen.»

Die Agrarökonomin Priska Baur regt an, über den Tellerrand respektive den Futtertrog hinauszudenken. Erstens dürfe das Kreislaufideal nicht dogmatisch umgesetzt werden; so begrenzen das verfügbare Land und das Klima den Anbau von vielen Futter- und Nahrungsmitteln, weshalb Handel nötig sei. Soja ist so ein Fall, aber auch Zucker, der als Import günstiger zu haben ist. Zweitens seien Futteralternativen wie Wasserlinsen auf den ersten Blick eine patente Sache, doch letztlich brauche es einen Wandel der Esskultur weg vom Fleisch: «Eine vermehrt pflanzliche Ernährung ist nicht nur gesund für Menschen, Tiere und die Umwelt, sondern auch genussvoll.»

Timo Stadtlander vom FiBL stimmt diesem Ansatz zu, sieht in seiner Linsenzucht aber dennoch Potenzial: «Ohne Zweifel muss der Fleischkonsum sinken, aber das dauert, und bis es so weit ist, brauchen wir Alternativen zur gängigen Futtermittelpraxis.» Die Importe seien eine Seite der Medaille, genauso wichtig sei das Ackerland im Inland, das jetzt zum großen Teil für Futterkulturen gebraucht werde. «Darauf könnte menschliche Nahrung wachsen und Ökoflächen entstehen, was Mensch und Umwelt zugutekäme.»

Timo Stadtlander vor den Aussenbecken seiner Wasserlinsenzucht. Als Fischfutter hat sich die Pflanze schon bewährt, auch in Vietnam. © Beat Grossrieder
Timo Stadtlander vor den Aussenbecken seiner Wasserlinsenzucht. Als Fischfutter hat sich die Pflanze schon bewährt, auch in Vietnam. © Beat Grossrieder

Weiterführende Informationen:

Wasserlinsen, Insekten und Mikroalgen
Knapp 0,05 Hektaren – so wenig Ackerfläche stehen in der Schweiz pro Kopf zur Verfügung. Daher scheint es unmöglich, alle Futter- und Lebensmittel im Inland herzustellen. Hier setzen die Versuche an, Futterprotein auf alternative Art zu gewinnen. Das FiBL forscht nicht nur zu Wasserlinsen, sondern auch zu Insekten wie der schwarzen Soldatenfliege. Diese lässt sich mit Gülle, Mist oder Kompost aufziehen und zu proteinreichem Geflügel- und Fischfutter verarbeiten. Agroscope und ETH experimentieren zudem mit Mikroalgen, die auch viel Protein enthalten, CO2 aus der Luft binden und den Methanausstoss der Rinder senken können.

FiBL-Projekt ,,Neue landwirtschaftliche Stoffkreisläufe mit Wasserlinsen”: https://www.fibl.org/de/themen/projektdatenbank/projektitem/project/1957

Agroscope-Projekt ,,Schweizer Algen als Proteinquelle für Nutztiere”: https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/aktuell/newsroom/2021/05-05_algen-als-futtermittel.html

Faktenblatt ,,Insektenmehl im Geflügel- und Fischfutter”: https://www.fibl.org/de/shop/1161-hermetia

 

Institution: Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL Schweiz
Ansprechpartner/in: Timo Stadtlander

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