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Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO)

Mit dem Traktor auf TikTok  

Biodiversität Klimafolgen Klimawandel ländliche Räume Umweltbildung
© Chris Ensminger | Unsplash

Interview: INGA DREYER (für Wissenschaftskommunikation.de)

Während Wissenschaft, Politik sowie Aktivistinnen und Aktivisten im öffentlichen Dialog zu Klimafragen sehr präsent sind, werden andere Stimmen seltener gehört. In ihrer Studie untersuchte İlkay Unay-Gailhard vom Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO), wie junge Landwirtinnen und Landwirte TikTok nutzen, um sich am globalen Diskurs zu beteiligen.

Frau Unay-Gailhard, zusammen mit Ihren Kollegen Kati Lawson und Mark A. Brennan haben Sie untersucht, wie Landwirtinnen und Landwirte über den Klimawandel auf TikTok kommunizieren. Warum haben Sie sich für die Rolle dieser Gruppe im Klimadialog interessiert?

Ausgangspunkt war die besondere Situation der Lebensmittelproduktion. Sie trägt zum Klimawandel bei, ist aber auch stark von ihm betroffen. Innerhalb dieser Dualität beobachten wir, dass Landwirtschaftsbetriebe in erster Linie Empfänger von Informationen darüber sind, wie man mit der Lebensmittelproduktion umgeht, wie man landwirtschaftliche Praktiken an den Klimawandel anpasst und wie man eine neue Beziehung zwischen Verbraucherseite und Betrieb aufbaut. Der Klimadialog in den Medien wird hauptsächlich von Politik, Wissenschaft sowie Aktivistinnen und Aktivisten geführt.

Die Landwirtschaft war lange Zeit eine schweigende Gruppe. Sie steht bei der Nutzung sozialer Medien noch am Anfang, aber wir sehen, dass Landwirtinnen und Landwirte sich zunehmend am Klimadialog beteiligen, sei es als Stimme der Landwirtschaft, des Umweltschutzes oder als Laien. Besonders junge Landwirtinnen und Landwirte wollen gerne mehr über ihre Umweltanliegen sprechen. Wir haben uns gefragt: Was passiert, wenn sie diese Themen in den sozialen Medien diskutieren? Welche Art von Dialog entsteht?

Warum haben Sie sich entschieden, die Kommunikation auf TikTok zu erforschen?

TikTok ist bekannt für dynamische Videos mit Humor und Sarkasmus anstelle von ernsten, vortragsartigen Inhalten. Die Plattform wird typischerweise von Millennials und der Generation Z genutzt. Es gibt immer mehr Belege dafür, dass eine Kommunikation, die nicht auf Schock und Angst beruht, die Beteiligung am Klimadialog beeinflussen kann. So zeigt u. a. eine Studie von Maxwell Boykoff und Beth Osnes, dass Humor und Sarkasmus hier eine wirksame Alternative sein können. Der Grund dafür ist, dass Humor, Metaphern und kulturelle Bezüge ein Publikum auf eine entspanntere Art erreichen können.

Unsere Studie entstand im Rahmen des Projekts “YOUNG FARMERS”, das vom Marie Skłodowska-Curie Global Fellowship gefördert wird. Wir wollten verstehen, wie Landwirtinnen und Landwirte diese alternativen Kommunikationswege nutzen, um über ihre Sorgen bezüglich des Klimawandels zu sprechen. Gibt es Potenzial für einen empathischen Dialog auf einer so spielerischen Social-Media-Plattform? Wir konzentrierten uns dabei auf das zum Zeitpunkt der Studie jüngste gesellschaftspolitische Großereignis: die Klimakonferenz der Vereinten Nationen COP26, die 2021 in Glasgow stattfand.

Ein Portraitfort von Dr. Ilkay Unay-Gailhard vor grünem Hintergrund. Sie trägt eine weiße Jacke und rote Brille.
Dr. Ilkay Unay-Gailhard forscht am IAMO in der Abteilung "Betriebs- und Strukturentwicklung im ländlichen Raum (Strukturwandel)". Im Jahr 2020 erhielt sie das Marie Sklodowska-Curie Global Fellowship der EU für ihr Forschungsprojekt "YOUNG FARMERS - What can digital communications do for generational renewal in farming?" © Markus Scholz (angepasst) | IAMO.

Sie haben sich auf das Konzept der “digitalen Empathie” konzentriert. Was ist damit gemeint?

Kurz gesagt ist Empathie die Fähigkeit, die Gefühle, Erfahrungen und Standpunkte anderer Menschen emotional zu verstehen. In unserer Studie haben wir dieses Konzept in der digitalen Welt untersucht. Digitale Empathie taucht auch in anderen Disziplinen auf, zum Beispiel in der medizinischen Versorgung. Viele Länder gehen über zur Online-Versorgung, weshalb auch hier die digitale Empathie, in Form der Empathie zwischen Arzt und Patient, wichtig ist.

Die Bedeutung von Empathie wurde in der Forschung zur Klimakommunikation in den letzten Jahren immer deutlicher. So untersuchten zum Beispiel Janet K. Swim und Brittany Bloodhart die Bilder von Eisbären, die durch den Klimawandel bedroht sind und häufig in Umweltkampagnen verwendet werden. Ihre Ergebnisse zeigen, dass empathische Botschaften die Spendenbereitschaft für Umweltgruppen erhöhen.

Angesichts der zunehmenden Polarisierung in der Debatte über den Klimawandel gehen wir davon aus, dass das Konzept der digitalen Empathie uns dabei helfen kann, das Dialogverhalten außerhalb von Fachkreisen zu verstehen.

Wie sind Sie bei Ihrer Forschung vorgegangen?

In einem ersten Schritt analysierten wir Kommentare zu ausgewählten TikTok-Videos. Darunter fallen Videos aus dem Zeitraum von Januar bis Februar 2022, die die beliebtesten COP26-Hashtags wie #cop26glasgow zusammen mit Hashtags wie #farmlife verwenden. Wir haben 29 in Frage kommende Videos gefunden. Sie umfassten 2965 Konversationen und bezogen 187 Konten aus den USA, Großbritannien, Kanada, Irland, Australien und Neuseeland ein. Anschließend analysierten wir die Dialogbeteiligung in jedem Video. Emotionale Empathie identifizierten wir in Kommentaren, die Gefühle, Wahrnehmungen und Standpunkte mit Wärme und Mitgefühl gegenüber den Dialogteilnehmenden ausdrückten. Als kognitive Empathie erfassten wir Kommentare, die versuchten die Wahrnehmungen anderer Menschen durch Fragen oder Interpretationen weiter zu erforschen oder besser zu verstehen.

In einem zweiten Schritt befragten wir zwölf TikTok-Landwirtinnen und Landwirte aus den USA, den Großbritannien, Kanada und Australien. Die meisten haben die Höfe von ihren Eltern übernommen und betreiben Viehzucht und Ackerbau. Andere betreiben gemischte Landwirtschaft oder Forstwirtschaft. Wir befragten sie nach ihren Einstellungen, Überzeugungen und Werten in Bezug auf die Kommunikation zum Klimawandel. Warum stellen sie ihre Videos auf TikTok ein? Welche Reaktion erhalten sie? Was denken sie über das Potenzial des empathischen Austauschs auf dieser Plattform?

Welche Art von Reaktionen haben Sie in den Kommentaren beobachtet?

Unsere Studie hat gezeigt, dass der typische empathische Austausch eine emotionale Reaktion ist, wenn Landwirtinnen und Landwirte über ihre Sorgen zum Klimawandel sprechen. Die Kommentare drückten Mitgefühl durch Botschaften aus wie: “Was du erzählst, macht für mich Sinn”.

Kommentare, die kognitive Empathie enthalten, treten jedoch nur bei bestimmten TikTok-Videos häufiger auf. Wir kamen zu dem Schluss, dass die Kommunikation über dynamische Videos eine emotionale Reaktion auslösen kann, dass dies aber meist nicht ausreicht, um kognitive Empathie zu erzeugen. Wir haben auch festgestellt, dass die Stimmung und der Ton der TikTok-Inhalte wichtig sind, um Laien für den Klimadialog zu gewinnen. Ob ein Klimadialog mit kognitiver Empathie entsteht, der Menschen aus der Landwirtschaft als auch darüber hinaus einbezieht, hängt also vom Zusammenspiel zwischen Identität und den Geschichten der Landwirtinnen und Landwirten ab.

Warum nutzen Landwirtinnen und Landwirte TikTok für ihre Kommunikation?

Einer der Hauptgründe ist die Möglichkeit, durch Mikrovideos und einfacher Sprache schnell ein globales Publikum anzusprechen. Sie sehen in der Plattform aber auch das Potenzial einer dynamischen Lernumgebung. Die meisten der befragten Landwirtinnen und Landwirte erwähnten die Q&A-Funktion. Diese erlaubt es ihren Followern Fragen zu stellen oder zu beantworten.

Viele nutzen auch Instagram, Twitter, Facebook und in einigen Fällen YouTube. Die meisten von ihnen sahen jedoch auf TikTok ein größeres Potenzial für einfühlsame Reaktionen zu Umweltfragen als auf anderen Social-Media-Plattformen. Unsere Studie legt nahe, dass es ihnen auf TikTok nicht nur um Spaß geht, oder darum, eine Stimme zu haben. Sie wollen sich mit anderen Menschen austauschen und ihren Lebensstil, ihre Erfahrungen und ihr Wissen aus der Landwirtschaft mit unterhaltsamen Videos teilen. Es ist eine Art informelle Bildung und die unvollkommene Selbstdarstellung fördert den gegenseitigen Austausch.

Was können wir aus Ihrer Studie lernen?

Diese Studie hilft zu erklären, warum Landwirtinnen und Landwirte zunehmend lauter im gesellschaftlichen Dialog über Klimawandel werden, obwohl sie zuvor eine eher schweigsame Gruppe waren. Sie könnte aufzeigen, wie digitale Empathie das Schweigen in traditionell eher stillen Gruppen durchbrechen könnte.

Abschließend lässt sich sagen, dass Menschen aus der Landwirtschaft in der Klimakommunikation aktiver werden müssen, ähnlich wie die Politik und Medienaktivistinnen und -aktivisten. Verbraucherinnen und Verbraucher folgen ihnen, weil sie immer mehr wissen wollen: Wer sind ihre Landwirtinnen und Landwirte? Transparenz des Agrar- und Ernährungssystems ist für Konsumentinnen und Konsumenten heute sehr wichtig. Die sozialen Medien bieten der Landwirtschaft die Möglichkeit, sich zu äußern.

Wo besteht weiterer Forschungsbedarf?

Wir können noch nicht genauer erklären, warum wir nur auf bestimmten TikTok-Konten verstärkt kognitive Empathie sehen. Wir müssen uns diese Videos und ihr Publikum genauer ansehen. Wie gestalten sie ihre Identität und ihre Botschaften? Unsere Ergebnisse können zukünftige Studien unterstützen, die den kognitiven Austausch im gesellschaftlichen Dialog über den Klimawandel untersuchen und wie dieser mit Geschichten und Identitäten zusammenhängt. Wir brauchen auch weitere Forschung zu der Frage, ob diese alternativen Kommunikationsformen den Austausch fördern oder behindern.

Welche neuen Forschungsideen sind aus Ihrer Studie hervorgegangen?

Das Thema, an dem ich gerade arbeite, leitet sich nicht direkt von dieser Studie ab, hat aber etwas damit gemein. Ich untersuche Bilder von urbaner Landwirtschaft in den sozialen Medien. Unsere bisherigen Ergebnisse bestätigen, wie wichtig visuelle Darstellungen sind, wenn es um die berufliche Orientierung hin zur Landwirtschaft geht. Diese neue, laufende Studie untersucht die Social-Media-Kanäle von Institutionen, die sich mit urbaner Landwirtschaft beschäftigen.

Institution: Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO)
Ansprechpartner/in: Dr. Ilkay Unay-Gailhard

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